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11. Dezember 2023
Robert Mattheis
für satt.org
  Jim Carrey und Dana Vachon: Memoiren und Falschinformationen: Ein (fast) autobiographischer Hollywood-Roman

Jim Carrey und Dana Vachon: Memoiren und Falschinformationen: Ein (fast) autobiographischer Hollywood-Roman
Übersetzt von Johannes Sabinski
272 Seiten, 20 Euro
Droemer 2020
» Verlag


„Na ja, und so weiter, und so weiter.“

Jim Carrey hatte mir gerade seine Manga-Kollektion gezeigt. Hunderte, tausende Bände, darunter auch von ihm eigenhändig gezeichnete.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie Mangas zeichnen“, sagte ich.

„Nein?“ Der Schauspieler sah mich müde aus den Augenwinkeln an. „Ich auch nicht.“ Er kraulte seine Dobermänner mit den Stahlgebissen, die friedlich ihre Zungen aus dem Maul hängen ließen. Killermaschinen, die mich zerfetzen würden, sobald ich eine falsche Frage stellte. „Aber solange es der Sache dient ...“

Plötzlich kehrte das Leben in ihn zurück.

„Wird Thomas Vorwerk auch noch etwas über mich schreiben?“

Ich zuckte zusammen. Ständig kam er mir mit Thomas Vorwerk! Seit ich vor vier Stunden in seiner Villa eingetroffen war, gab es kein anderes Thema.

„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete ich ausweichend. „Wenn Sie mal wieder einen tollen Film ins Kino bringen ...“

Jim Carreys Gesicht nahm einen schwärmerischen Ausdruck an. „Ich mochte sehr, was Thomas über meinen Film I Love You Philip Morris‘ geschrieben hat ...“

Ich kramte in meinen Notizen, auf der Suche nach einer halbwegs intelligenten Frage. War aber alles nur Quatsch und Klatsch.

Jim Carrey gab ein schmatzendes Geräusch von sich. „Dieser Satz hat es mir besonders angetan: Es fällt schwer, sich diesen Film mit einem anderen Schauspieler vorzustellen.’ Das war Balsam für meine Seele. Und dass er dann noch Brad Pitt und Robert Downey Jr. abwatscht — Bob ist kein schlechter Schauspieler, by the way. Kein schlechter Schauspieler.“

„Nein, ich denke, das hat er spätestens mit dem Film über J. Robert Oppenheimer bewiesen ...“

„Ich dachte eher an Iron Man‘.“

„Auch ein toller Film.“

„Wissen Sie zufällig, was Thomas Vorwerk über Iron Man‘ geschrieben hat?“

„Nein“, sagte ich und räusperte mich ungeduldig. „Und ich wollte mit Ihnen ja auch über Ihr Buch sprechen. Memoiren und Misinformationen.‘ Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben?“

Jim Carrey zeigte sein berühmtes Breitwandgrinsen. „Nur zwei Dinge. Langeweile und Geld.“ Er lachte. „Ich spiele ja nur die Hauptrolle! Die ganze Arbeit hat Dana gemacht.“

Dana Vachon, der Co-Autor. Ein ehemaliger JP-Morgan-Investmentbanker. Auf X (vormals Twitter) hatte er vor Kurzem gepostet: „Ich vermisse Axl Rose.“

Ich beschloss, Carrey ein bisschen mit meinen Rechercheergebnissen aus der Reserve zu locken.

„Ich lese Ihnen mal vor, was mein Kritikerkollege Stefan Mesch im Deutschlandfunk Kultur über Ihr Buch gesagt hat ...“

„Im was?“

„Im Deutschlandfunk Kultur.“

„Was soll das sein?“

„Ein Radiosender, der sich dem Thema Kultur widmet.“

Jim Carrey machte große Augen. „So was gibt’s bei Ihnen?“

„Aber ja. Deutschland ist ein modernes Land ...“

„Offenbar nicht.“ Jim Carrey schnippte, und seine Rottweiler sprangen auf die Beine und fletschten die stählernen Zähne.

Meine Finger zitterten leicht. „Also, hier das Kritikerurteil: Mesch findet, Ihr Buch mischt billige Ironie, müde Übertreibungen, kalifornischen Selbstfindungskitsch und ein sehr naives, freudloses Menschenbild: Alle sind Puppen, beherrscht von Oberflächenreizen. Ein Buch, in dem jedes Adjektiv und jede Übertreibung „gewitzt“ wirken will – doch das über 20 Jahre verspätet kommt. Witzlos. Bisslos. Aufgewärmt.‘ So weit Deutschlandfunk Kultur.“

Jim Carrey seufzte. „Sie leben halt in einem Land, das sich einen Radiosender leistet, der nur der Kultur gewidmet ist. Ich lebe in einem Land, das sich Donald Trump als Präsident leistet. Bald vielleicht zum zweiten Mal.“ Er warf seinen Killerhunden ein Stück Fleisch zu — schleuderte es weit hinaus auf den Rasen, und beiden Vierbeiner wetzten geifernd und jaulend hinterher.

„Ich kann mir schon vorstellen, dass ihr in Deutschland mit dieser Art des Turbo-Textens nicht viel anfangen könnt. Bin mir noch nicht mal sicher, ob man diesen Stil gut in eine eher träge, langsame Sprache rüberbekommt, die sich ächzend vorwärts schleppt unter dem Gewicht ihrer grammatikalischen Finessen. Ist aber natürlich nicht mein Problem — und auch nicht das von Dana. Für uns war es wunderbar, unsere Leser liebten uns, wir haben im Ganzen glänzende Kritiken bekommen. Wir beschreiben Amerika, wie es ist: Publicity-geil, Ego-fixiert, eine einzige Super-Bande von durchgeknallten Schauspielern. Unsere Nation hat das Drehbuch für den amerikanischen Traum verloren. Tja. Pech gehabt. Jetzt bleibt uns nur noch Achtsamkeit und die Suche nach dem Selbst.“ Jim Carrey lachte. „Aber beides dürfte sich inzwischen auf dem Mond befinden, zusammen mit den Idealen, die dieses Land groß gemacht haben!“

Ich saß da, mit gesenktem Blick. Für Carrey waren wir Deutsche einfach ein Haufen Hinterwäldler, die seine Post-Post-Post-Ironie (fehlt da ein „Post-“?) nicht überrissen. Tatsächlich lebten wir in einem ähnlich weltfremden Traum wie unsere transatlantischen Brüder. Nur waren unsere Sehgewohnten sehr viel braver, sehr viel irdischer. Kindlicher. Unser Michael Jackson hieß Roland Kaiser, und unser Walt Disney war ... ja, wer? Horst Tappert?

Ich erhob mich. Die Pitbulls hoben ihre Schnauzen und schnüffelten. Sie hatten ihre Portion Fleisch sauber in Fetzen zerlegt.

Jetzt, dachten sie vielleicht, wäre ich ein schöner Nachtisch.

„Mir hat das Buch sehr gut gefallen“, sagte ich ratlos. „Ich weiß nur auch nicht, was ich dazu sagen soll. Kann schon sein, dass wir noch mal zwanzig Jahre brauchen, um es zu kapieren. Um in der Welt Ihrer Fiktion anzukommen.“

„Sie leben in der Truman Show“, rief Carrey gut gelaunt, mit seinem breiten Grinsen. Er war aufgesprungen und schüttelte meine Hand. „Aber Sie haben noch nicht kapiert, dass Ihre Realität nur eine Inszenierung ist, die Fiktion von irgendwelchen mächtigen Arschlöchern — vielleicht sogar außerirdischen Arschlöchern?“ Er blinzelte aus den Augenwinkeln hinauf in den blauen kalifornischen Himmel und feixte.

Wir schlenderten hinüber zu seiner Einfahrt, wo mein VW geparkt war.

„Es ist schade, dass Thomas Vorwerk damals noch zu jung war, um etwas über Truman Show‘ zu schreiben“, sagte Carrey. Mit den Händen in den Hosentaschen spazierte er neben mir her. „Es hätte mich sehr interessiert, was er dazu zu sagen gehabt hätte. Ein faszinierender Typ ...“

„Ich frage ihn, wenn ich ihn sehe“, sagte ich. „Okay?“

„Aber ... das wäre so lieb von Ihnen!“ Jim Carrey hatte Tränen in den Augen. „Ein Traum!“

„Mach ich gern“, sagte ich. Dabei hatte ich Thomas Vorwerk noch nie gesehen. Ich wollte einfach dieses Thema beenden. Ich wollte einfach weg.

Als ich die Tür zu meinem Auto öffnete, fasste ich mir endlich ein Herz: „Sagen Sie, Jim, was ich Sie die ganze Zeit über schon fragen wollte: Diese Leiche in Ihrem Pool — ist die echt?“

Jim Carrey zuckte die Achseln. „Denke ja. Wir hatten da heute Nacht ein kleines Problem. Die Selbstschussanlage, wissen Sie? Immer unangenehm, so was, aber kommt vor, wenn man ein Weltstar ist. Mein Sicherheitsmann Avi wollte sich darum kümmern. Aber ich glaube, er hatte Hemmungen, in Erscheinung zu treten, solange Sie da waren.“

„Warum?“

„Er ist Isreali. Sie sind Deutscher.“

Wir erreichten die Einfahrt. Das Stahltor glitt geräuschlos auf. Jim Carrey stand da, seine Hände in den Hosentaschen. Seine Pitbulls fixierten mich.

„Grüßen Sie Thomas Vorwerk von mir, ja?“

Ich öffnete die Wagentür, deswegen hörte man das Knirschen meiner Zähne nicht. Zumindest hoffte ich das.

„Das werde ich.“

„Und machen Sie sich nicht zu viele Gedanken. Ist ja nur ein Buch.“

Mit einem wütenden Lächeln düste ich davon in meinem himmelblauen New Beetle, direkt in die Redaktion.