Vespertine
Nach wie vor bin ich der Meinung, daß Björk den Song-Oscar verdient hat, den Bob Dylan stattdessen abgestaubt hat. Das Schwanen-Kostüm, daß sie bei der Darbietung vor der Academy trug, findet sich zumindest motivisch auch auf dem Cover ihres neuen Silberlings wieder, dem ersten regulären Studioalbum seit 1997, wie die Plattenfirma nicht müde wird zu betonen. Doch wo "Homogenic" noch extravagent und opulent erschien, ist der Eindruck von Vespertine eher ein minimalistisch-trotziger. Sowohl visuell (Coverdesign) wie auch akustisch.
Schon die vorabveröffentlichte erste Single "
Hidden Place" thematisierte Björks Rückzug aus dem Rampenlicht, als sterbender Schwan vor ignoranten Amerikanern gab sie ein Bild des Schreckens, statt Perlen vor die Säue zu werfen, schwor sie nicht nur, nie wieder in einem Film mitspielen zu wollen, auch "Vespertine" zeigt sie weniger als selbstverliebte Entertainerin, sondern als introvertierte Eklektikerin. Doch weder dies noch einige bösartige Plattenkritiken konnten etwas daran ändern, daß der Longplayer allenthalben die Charts stürmte. Björk will gar keine Kylie oder Britney (mehr?) sein, auch wenn sie selbst im fortgeschrittenne Alter meines Erachtens noch mit deren Aussehen konkurrieren kann, sondern sie zieht sich zurück ins Studio und veröffentlicht hin und wieder ein Album wie dieses, ist sich aber der Fans ebenso sicher wie etwa PJ Harvey oder Tori Amos.
Sicher kann auch ein Björk-Album die echten Fans enttäuschen, doch sicher keines, daß sich wie "Vespertine" auf die Stärken der Sängerin und Komponisten konzentriert. Nun wimmelt es auf "Vespertine" nicht von Hits wie am Anfang ihrer Solokarriere, und man findet auch nicht die percussionlastigen Tanznummern und symphonischen Kaskaden an jeder Ecke, die in den späteren Jahren die Erkennungszeichen der kleinen Isländerin waren. Was "Vespertine" ausmacht und dem aufmerksamen Langzeithörer auch in früheren Veröffentlichungen nicht entgangen sein kann, sind die leise plätschernden Stimmkapriolen und die etwas auffälligeren anderen Soundspielereien, die sich langsam zu einer stimmigen Atmosphäre zusammenfinden. Einer Atmosphäre allerdings, die einem Großteil der
potentiellen Hörer (und ich meine damit nicht nur die Mitglieder der Akademie, denen ich wahrscheinlich nie verzeihen werde, obwohl ich mich doch längst an solche Frustrationen hätte gewöhnt haben sollen) verborgen bleiben wird, denn "Vespertine" ist in vielerlei Hinsicht jener "Hidden Place", den Björk nur jenem Hörer offenbart, der sich Zeit nimmt, und dem das musikalische Äquivalent eines Eric Rohmer mehr bedeutet als eine oberflächliche Jerry Bruckheimer-Produktion.