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Januar 2002
Martin Büsser
& Hans Plesch
für satt.org


Iannis Xenakis
(1922 - 2001):
Nachruf und zwei Plattenbesprechungen:
Persepolis
(Fractal Rec./a-Musik)
Orchestral Works & Chamber Music
(Col Legno) Orchestral Works Vol. 1
(Timpani)


Der nebenstehende Text und die beiden Besprechungen stammen aus testcard - Beiträge zur Popgeschichte # 10 (Themenschwerpunkt: Zukunftsmusik).
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

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IANNIS XENAKIS
1922 - 2001

von Martin Büsser


»Ich schreibe Musik, weil ich mich dadurch weniger unglücklich fühle.«
(Iannis Xenakis im Gespräch mit Henning Lohner, 1985)


Iannis XenakisAls Iannis Xenakis im Februar 2001 starb, befand sich die vorliegende Ausgabe mitten in ihrer Entstehung. Das heißt: zahlreiche Korrespondenzen und Telefonate, wer denn nun welches Thema übernehmen möchte und welche Themen letztlich Präferenz besitzen. Ganz oben auf unserer Liste zum Thema »Zunkunftsmusik« stand die Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung von (vor allem elektronischer und elektroakustischer) E-Musik und elektronischen Experimenten in der nichtakademischen Musik. Lange Zeit galt als ehernes, wenn auch in der Regel ungeschriebenes Gesetz, daß die Entwicklung der Neuen Musik außerhalb eines kleinen, akademischen Zirkels weder angemessen rezipiert wird noch - so die arrogante These unter Musikwissenschaftlern - angemessen rezipiert werden kann. Falls das denn überhaupt je gestimmt hat, so stimmt es seit mindestens fünf Jahren überhaupt nicht mehr: Zeitschriften wie Wire definieren ihren Kanon längst jenseits von Kategorien wie Pop- und »E«-Musik, das ehemalige Noiserock-Label Blast First veröffentlichte 1997 eine der besten historischen Aufnahmen von Stockhausens Kontakte (mit James Tenney am Piano) und in den Mailorder-Programmen von a-Musik und Artware finden sich nahezu alle relevanten Aufnahmen Neuer Musik harmonisch neben »Experimental Rock« und »Electronic Beats« vertreten. In einem anderen Mailorder, bei Normal, tauchte John Cage sogar im Update 2/01 unter der Rubrik »Pop/Rock« auf … wahrscheinlich bloß in Ermangelung einer entsprechenden Rubrik innerhalb des Kataloges, aber irgendwie auch gar nicht so falsch: Wer, wenn nicht Namen wie John Cage, David Tudor und Karl Heinz Stockhausen dürfen als die insgeheimen »Popstars« des 20. Jahrhunderts gelten, wenn man Pop einmal im Sinne von Mythen der Moderne und nicht im Sinne von VIVA benutzt?

Auch wenn der Artikel für diese testcard-Ausgabe nicht geschrieben wurde, läßt sich doch ahnen, welches Fazit in ihm gezogen worden wäre: Durch die Veränderungen innerhalb der Popmusik - einhergehend mit der Entwicklung elektronischer Musik -, kam es auch zu einer Neuaufwertung, zu einer Erst- oder Neuentdeckung der Neuen Musik in all ihren Spielarten, von Minimal bis Elektroakustik, vom Futurismus bis zur New York School. Vorbei damit auch die Zeit, wo Rockmusik sich an Bach, Beethoven, Mussorgsky und Prokowjev abgearbeitet hat (all die kuriosen und häufig schauderhaften Beispiele von Ekseption über die deutschen Pell Mell bis zum Alan Parson Project): Das Interesse an 'ernster' Musik ist in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts angekommen. Nicht bei allen, aber bei mehreren denn je.

Jenen, die sich schon lange in den elitären Zirkeln von Donaueschingen und Darmstadt aufhalten, können solche Entwicklungen nicht wirklich egal sein, sie fürchten sie sogar insgeheim: Neue Musik fragt dort nicht nach Möglichkeiten von Wirkung und Verbreitung, sondern meidet eine Verbreitung geradezu in falsch verstandener Gehorsamkeit gegenüber Adorno und dessen Ansicht, daß Verbreitung immer mit Verflachung einhergehe.

Interessanterweise unterscheiden sich die Hardcore-Angänger und Spezialisten der Neuen Musik damit kaum von den Hardcore-Punks: Wer ein 'echter' Punk ist, der fordert ebenso vehement, daß die Musik in der Szene bleibe, weil ihr sonst der Ausverkauf drohe. Wer nach der Zukunft der Musik fragt, wird solche Prozesse einer Wechselbeziehung von Neuer Musik und »Pop« (also: nichtakademische Musik) jedoch erst einmal begrüßen, auch wenn sie bereits zu so materialästhetisch flachen Ergebnissen wie einem völlig ohne Einfühlungsvermögen remixten Steve Reich geführt haben. Nein, nicht aller Anfang ist schwer, sondern die zahllosen mißlungenen Versuche, die nur einer oberflächlichen Image-Aufwertung in beide Richtungen dienen (hier die Popularisierung der Konzertsäle, dort die Intellektualisierung der Clubs, in einem Fall meist Blick auf die Kasse, im anderen meist Distinktionsgewinn), werden wohl auch in Zukunft Tagesordnung sein: Auch noch in hundert Jahren, ist zu befürchten, wird das Populäre die bürgerliche Hochkultur meist nur als dessen ästhetische Schwundform erreichen wie auch umgekehrt meist nur Schwundformen der Neuen Musik Einzug in den Pop erhalten werden. Die Behäbigkeit und bürgerliche Betulichkeit, mit der Hip Hop von Heiner Goebbels in dessen musikalischen Theaterinszenierungen bereits seit zehn Jahren verwendet wird, zeugt davon, wie kärglich, wie wenig groovy Pop fast immer klingt, sobald er zum hochkulturellen Versatzstück geworden ist; dasselbe gilt in anderer Hinsicht für einen via Drum'n'Bass geschüttelten Steve Reich, dem das Eigentümliche, die Aura einer permanent kreisenden und sich dabei schrittweise verändernden Repetition völlig genommen wurde.

Es wäre allerdings verkehrt, sich von solchen mißlungenen, quasi feindlichen Übernahmen abschrecken zu lassen, denn all die positiven Beispiele - von SonicYouth' Goodbye 20th Century bis zu diversen Tzadik-Kompositionen von Mark Dresser, John Zorn und Erik Friedlander - zeigen sehr deutlich, daß zumindest eine hoffnungsträchtige Zukunft der Musik darin bestehen kann, Neue Musik und nichtakademischen Kontext nicht als unüberwindbar getrennte Welten anzusehen. Die gegenseitigen Abgrenzungen in Sachen Hörverhalten sind lange Zeit vor allem künstlich aufrechterhaltene Schichtgrenzen gewesen (hier bürgerliche Hochkultur, dort Musik der Arbeiter und Mittelschicht), gefestigt dank einem schrägen Diskurs von »Bauch« und »Kopf« in der Musik. Hier Pop und Rock als Konstrukt von Straße und Authentizität, also »Bauch« und Ausdruck unmittelbarer Bedürfnisse, dort Musik als eine Art Luxus, als kunstautonomer Bereich der Kontemplation, also »Kopf«.

Iannis Xenakis darf als der Komponist gelten, der allen empfohlen werden sollte, die selbst noch an diesem Konstrukt festhalten. Die Emotionen, die seine Musik auslösen, sind häufig »Bauch« im wörtlichen Sinne (manche Passagen bewirken physische Schläge in die Magengrube), ein emotionaler Overkill, obgleich Xenakis seine Musik wie kaum ein anderer Komponist konstruierte, nämlich nach mathematischen, physikalischen und architektonischen Berechnungen. Daß Xenakis nicht von der Musik her kam, mag seine Sonderstellung ausmachen: Der von der Herangehensweise vielleicht »verkopfteste« Komponist der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, war zugleich einer der Sinnlichsten, ein Musterbeispiel an Science Fiction. Nämlich einer, der Science in Fiction zu übertragen verstand.

Daß Musik in uns ein Moment angenehmer Befremdung auslöst, ein Erstaunen vor dem bislang Ungehörten, ist selten geworden. Der Verschleiß, den sämtliche Spielarten der Musik innerhalb der letzten fünfzig bis hundert Jahre erfahren haben, gilt gerade auch für die Atonalität: Schönberg und Webern klingen uns gewissermaßen vertraut und berechenbar, nicht zuletzt, weil sich der Film abgeschwächt viele ihrer formalen Elemente nutzbar gemacht hat. Auch diesbezüglich ist Xenakis eine Ausnahme. Seine Musik klingt noch immer unerhört zukünftig, eigenartig befremdlich und dermaßen von vertrauten Situationen losgelöst, daß bei ihm selbst noch ein Spinett nicht den Eindruck eines alten, historisch vertrauten Instruments erweckt, sondern den eines eigens für diese Komposition erschaffenen Klangkörpers (höre zum Beispiel Khoai auf Ensemble Intercontemporain, Erato DoCD, 2000 neu aufgelegt). Als Xenakis im Alter von 78 starb, hinterließ er ein Werk, das selbst noch kein bestimmbares Alter hat, das losgelöst von Assoziationen an Epochen und Schulen noch immer ganz nach Zukunft klingt.

Die Kompositionen von Iannis Xenakis waren oft ungeheuer komplex (hohe Dynamikschwankungen, heftige Wechsel der Geschwindigkeit) und erforderten den Musikern eine Virtuosität ab, die bei klassisch ausgebildeten Musikern gewissermaßen unbeliebt ist: Der Virtuose ist hier selten Solist, kann selten als Einzelner brillieren, wenig Raum für Ego und Paganini-Effekte. Zugleich ging Xenakis Wege, die von einer künftigen Musik träumten, die nicht nur unabhängig von Virtuosen, sondern auch unabhängig von Spezialisten und »genialen« Komponisten entstehen sollte. Sein Traum war die computergesteuerte Universal-musik, leicht zu bedienen, aber ungeheuer komplex in den Facetten der Klangerzeugung. Hierzu erfand Xenakis das UPIC (Unite Polyagogique Informatique du CEMAMu), ein Computerprogramm, mit dem es möglich war, jede graphische Notation in Musik umzusetzen. Ziel war es, die direkte Übertragung musikalischer Gedanken in Musik herzustellen: An einem Zeichentisch sollte so direkt Musik lesbar und akustisch umsetzbar gemacht werden - und zwar unabhängig von herkömmlicher Notation. Die Komplexität des Gerätes diente zugleich der Vereinfachung des Komponierens: »der Benutzer soll ganz im Vordergrund stehen, und er soll ohne technisches Wissen alle musikalischen Möglichkeiten des Instruments ausnutzen können ( …).« (In: Musik-Konzepte 54/55 - Iannis Xenakis). Die Spezialisten waren nun vielmehr die unsichtbaren Personen, die Informatiker, Elektrotechniker und Software-Spezialisten, nicht aber mehr die Bediener des Gerätes. Das UPIC diente einer Demokratisierung der Musik, nicht nur der Neuen Musik, denn solche Definitionen werden hinfällig, sobald die Bedienung des Gerätes nicht mehr vom musikalischen Kontext des Bedieners abhängig ist, also von Laien ebenso 'virtuos' bedient werden kann.

Musik ist so komplex, daß das Komponieren der Fülle des musikalisch Denkbaren nur im Weg steht - bei der Transkription auf Papier und der Interpretation durch ein Orchester geht bereits vieles vom ursprünglichen Empfinden verloren. Selbst Laien können sich in ihrem Kopf eine Musik vorstellen oder im Dämmerzustand erträumen, die in ihrer Klangsprache weit über alles bislang realisiert Gehörte hinausgeht. Einen Schritt in die Richtung, das Vorgestellte hörbar werden zu lassen, ohne daß es des Komponisten als Übersetzers bedarf, hatte Xenakis geschaffen. Insofern überschritten seine Vorstellungen von künftiger Musik ganz klar die einengenden Fragen nach »E« und »U«.

Noch vor der Nachricht von Xenakis' Tod entstanden die beiden Besprechungen von Neuerscheinungen, die Hans Plesch und ich unabhängig voneinander geschrieben haben. Auch auf die Gefahr hin, daß es zu Wiederholungen kommt, drucken wir beide in ihrer ursprünglichen Form ab, denn das Interessante an ihnen ist, daß wir beide anhand von ganz unterschiedlichen Xenakis-Arbeiten zu einer ähnlichen Wortwahl gefunden haben. Beide Besprechungen stehen als Neuerscheinungen exemplarisch für zahlreiche Aufnahmen, die noch immer erhältlich sind.


Persepolis
(Fractal Rec. / a-Musik)
Vorgestellt von Martin Büsser

Iannis Xenakis: PersepolisIannis Xenakis ist häufig vorgeworfen worden, er messe den Naturwissenschaften und vor allem der Mathematik zu viel Bedeutung bei. Seine exakten Berechnungen, Kompositionen nach geometrischen Studien und seine Vorstellung von einem dreidimensionalem Klang, über den Musik und Architektur zusammenfinden (Xenakis behauptete einmal, er habe den Philips-Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung 1956 ganz nach den Plänen seiner Metastaseis-Komposition entworfen), klingen vor allem jenen wie Gift in den Ohren, die noch immer im Komponisten ein Genie, einen genuinen Schöpfer sehen und Naturwissenschaft allemal als Feind jeglicher Kreativität ablehnen. Nein, für Anthroposophen und Erdgeist-Beschwörer jeglicher Art ist Xenakis ein denkbar ungeeigneter Komponist. Der Trick bei all seinen Arbeiten, seien es nun solche für Orchester oder elektronische, besteht allerdings darin, daß zwar die Grundlage auf architektonischen, geologischen (z.B. Symmetrie von Kristallen) und mathematischen Strukturen beruht, das musikalische Ergebnis allerdings erschütternd emotional und aufreibend, kurzum sinnlich zu packen versteht. Seine Glissandi, die heftigen Dynamikschwankungen und Wechsel der Geschwindigkeit haben Xenakis berüchtigt werden lassen. Und nun: Die seit Jahren erste brauchbare, weil klanglich saubere Wiederveröffentlichung des Schlüsselwerkes Persepolis für acht elektronische Bänder von 1973. Persepolis war für acht Lautsprecher konzipiert, die bei der Uraufführung im Darius-Palast (auch hier wieder: ganz bewußte Synästhesie von Raum und Klang) so verteilt waren, daß das Publikum verschiedene Klangzonen durchlaufen konnte. Persepolis, ein Stück über die Vernichtung des Persepolis-Palastes durch Alexander den Großen, nach Xenakis' Aussagen ein pazifistisches Stück, wird sich also kaum mehr in der Wucht bieten, die es einmal bei der Uraufführung durch die akustische wie optische Präsentation hatte. Wucht? - Ist dieser Ausdruck denn legitim? Was ist Xenakis denn nun? Ein Formalist, der strengen Vorgaben folgt, oder einer, der bewußt Effekte nutzt, die so gar nichts mit strenger musikalischer Kontemplation zu tun haben? Nun, wahrscheinlich ist er beides, einer, der nach den Gesetzen der Naturwissenschaft arbeitet, weil er getreu dem Kantschen Schwärmen über den gestirnten Himmel noch daran glaubt, auch in der Kunst, an Natur geschult, Erhabenheit ausdrücken zu können - und dem das deshalb ganz unprätentiös und jenseits allen Anthroposphen-Verdachts gelingt, weil er zugleich radikaler Modernist bleibt. Für die elektroakustische Arbeit Persepolis, die 55 Minuten ohne Pausen durchläuft, gilt eben dies: Höchst konzentrierte, weder nach tonalen Gesetzen noch nach Zwölfton-Lehre oder Serialismus faßbare Klangschichtungen elektronischer Partikel und Klangfetzen nachbearbeiteter Orchesteraufnahmen, die bei aller Abstraktheit des Klangmaterials Assoziationen zur Gewalt der Elemente auslösen (immer wieder: das Knistern von Feuer als mögliches Motiv, auf den Palastbrand verweisend), vor allem Musik in höchster Spannung, weil das Hörbare zwischen Ordnung und vermeintlichem Chaos das Ohr auf höchst anregende, laut gehört richtig geile - ja: geile - Weise überfordert, also lustvoll beinahe bis zum Kollaps führt. Persepolis geht weit über die konkrete Musik hinaus, ist Soundbesessenheit, die einen alten Throbbing Gristle-Fan ebenso umhauen dürfte wie die Freunde zeitgenössischer Bleep & Knartz-Musik. Und zwar deshalb umhauen, weil das ganze Spektrum elektronischer Pop-Avantgarde hier einen Ausgangspunkt findet, wie er rhizomatischer bislang noch von keinem Mille Plateaux-Adepten umgesetzt wurde.


Orchestral Works & Chamber Music
(Col Legno)
Orchestral Works Vol. 1
(Timpani)
Vorgestellt von Hans Plesch

Iannis Xenakis, ehemals Assistent von Le Corbusier, war nicht nur einer der berühmtesten griechischen Komponisten, sondern auch Architekt. Und es gab eine verblüffende Erstverwertung dieser Berechnungen. Das Orchesterstück Metastaseis war einige Jahre vorher auf Grundlage architektonischer Berechnungsformeln entstanden: Eine erstaunliche Mehrfachanwendung mathematischer Prinzipien. Folgerichtig gehörte Xenakis auch zu den Pionieren elektronischer Kompositionstechnik und übertrug die dabei gewonnenen Erkenntnisse wiederum auf sein Arbeiten für herkömmliche Instrumente. Stochastische Verfahrenstechniken und andere mathematische Prozeduren führen bei Xenakis jedoch nicht zum eher spröden Klangbild der Darmstädter Schule, sondern meistens zu Klangereignissen von bezwingender Kraft. Cluster und wogende Glissandi schöpfen das Potential der Besetzungen aus, Elastizität und berserkerhafter Furor bilden Spannungsfelder von unmittelbarem Reiz.

Iannis Xenakis Musik ist diskographisch nicht allzuoft vertreten, bislang war vor allem Musik für kleine Besetzungen erschienen. Zwei neue CDs versammeln jetzt vor allem Orchestermusik aus verschiedenen Jahren. Auf einer relativ preiswerten Zusammenstellung bei col legno, die u.a. auch eine historische Aufnahme des frühen Metastaseis enthält, finden sich auch eine Duo-Miniatur und das Chorwerk N'Shima, das am Computer komponiert wurde.

Xenakis Werke trugen lange Zeit griechische Titel, die meist eine Art Beschreibung des Kompositionsprozesses lieferten. Jonchaies von 1977 hingegen ist französisch betitelt und bedeutet etwa Röhricht, Schilf. Es ist so etwas wie Xenakis' Vorstellung vom »Wind in den Weiden« - einem stochastisch abbildbaren Prozeß, der vielleicht vermitteln mag, weshalb die Musik von Xenakis Musik für Elektroniker verschiedenster Herkunft so reizvoll war und ist.

Die andere CD versammelt Neueinspielungen und soll die erste einer Reihe sein, die größere Besetzungen dokumentiert, auf dem kleinen Timpani-Label erschienen. Interpreten sind neben allfälligen Solisten das Luxemburger Philharmonische Orchester, Dirigent ist Arturo Tamayo, der seit langem mit Xenakis zusammenarbeitet.

Iannis Xenakis wurde 1922 in Braila / Rumänien als Sohn griechischer Eltern geboren. Zehn Jahr später kehrte die Familie nach Griechenland zurück. Nach dem deutschen Überfall schloß sich Xenakis dem Widerstand an, wurde schwer verletzt und in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Später lebte Xenakis lange in Frankreich, wo er neben dem Architekturstudium Komposition bei Olivier Messiaen studierte, bevor er als Komponist Weltgeltung erlangte. Auf dieser ersten CD einer geplanten Reihe mit Orchestermusik finden sich das bedeutende Ais - für Bariton, Schlagzeug und Orchester: der Titel greift auf einen altes Wort für Hades zurück - sowie andere Orchesterstücke aus der Zeit zwischen 1974 - 1991.

Xenakis' Musik steht in ihrer Konstruiertheit ziemlich allein im weiten Feld der zeitgenössischen E-Musik. Wer sich ihr jedoch unbefangen nähert, wird erstaunt sein, daß die mathematischen Prozesse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen, so wenig hörbar werden. Ihre Klangsprache ist von einer ganz eigenen Faszination, die überraschenderweise ziemlich nah an den intuitiven Improvisationen eines Giacinto Scelsi steht.