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Mai 2002
Willi Andrick
für satt.org


Herbert:
Bodily Functions
Studio K7 (ZOMBA)

Herbert: Bodily Functions

Release:
14. Mai 2001

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Links:
magic and accident
the mechanics of destruction

Diskographie (Auswahl):
"Secondhand Sounds" Remixe. peacefrog 2002
"Bodily Functions" Herbert. k7/soundslike 2001
"Cafe de Flore" Dr Rockit. lifelike 2001
"Let's all make mistakes" dj-mix. Tresor 2000

Herbert: Bodily Functions

"theft, contrary to popular myths,
does not good art make …"
m.h.


Zwei scheinbare Widersprüche: Es gibt heutzutage noch Alben, die einen Sommer überdauern. Es gibt Künstler, die es schaffen, Nachdenklichkeit tanzbar zu machen. Vor einem Jahr erschien "Bodily Functions" von Matthew Herbert, wieder ist es Sommer, ein Blick zurück ist ausnahmsweise mal zukunftsweisend. Matthew, der sich auch gerne "on the move" Herbert nennt, trat seitdem in allen Teilen der Erde auf, mit einer an Schizophrenie grenzenden Alter-ego-Mentalität.
Herbert=Radioboy=Dr.Rockit und wenn es sein muss, noch einige mehr.
Was ist das Besondere an diesem Workaholic, der seit einiger Zeit zu den gefragtesten Produzenten Europas gehört? Er selbst beschreibt seine Musik schlicht mit zwei Worten: "acoustic and bouncy". Ganz gute Idee, "bounce" heisst soviel wie sprunghaft sein, kann aber auch die Bedeutung haben, jemanden zu einer Handlung zu provozieren. Angeblich stammt es vom niederdt. "bunsen", was auf englisch wiederum "beat" heisst.
Das soll hier aber weniger ein linguistisches Seminar werden, als die Andeutung, dass hier jemand Forderungen stellt. Mit 130bpm. Deephouse ist gemeinhin ein Genre, von dem man keine Kritik erwartet. Es herrscht Hedonismus vor, es ist schwierig, Inhalte zu transportieren.

Wahrscheinlich gerade ein Anreiz für den 31jährigen Engländer, Konventionen einzurennen.

© Rieko AkatsukaFotos: © Rieko Akatsuka 2002
www.magicandaccident.com

© Rieko Akatsuka
Was seine Songs auszeichnet, ist eine eher schüchterne Geradlinigkeit in der Komposition und eine umso selbstbewusstere Anarchie in der Produktion. Der Sampler wird zum wichtigsten Instrument, Percussion-Sets entstehen aus Haut- und Haargeknister, Zähnefletschen, Knöchelknacksen. Das Rauschen einer Blutbahn eingefangen per Kontaktmikrophon. Der Song "Foreign Bodies" ist gestrickt aus den intimen Geräuschen fremder Menschen. Und das ist dann tatsächlich wieder House, Körperkult ganz anderer Art.
Herbert hat mit vier Jahren Klavier gelernt, eine klassische Ausbildung als Jazzmusiker folgte. "Bodily Functions" ist eine Melange aus Jazz-Standards, unaufdringlichen Housebeats und einer Menge nicht bestimmbarer Noises. Und dann diese Stimme. Seine Lebensgefährtin Dani Siciliano gibt so wunderbare Vocals, aufwühlend, melancholisch.

Das gewöhnliche Samplen, soll heissen, das übernehmen von Sounds anderer, verachtet Matthew Hebert. Es ist für ihn eine reine Konsumhaltung. In einem Manifest hat er eine Reihe von Forderungen an sich selbst gestellt, Richtlinien für die Komposition seiner Musik. Keyboard- oder andere Fabriksounds müssen in jedem Fall editiert werden, Samples müssen nach der Fertigstellung des Tracks gelöscht werden.
Diese Details entprechen seiner konsequenten Haltung gegenüber einer Beliebigkeit, wie sie kennzeichnend ist für die postmoderne Gesellschaft. Er will sein gesamtes Schaffen in einem kritischen Kontext sehen, seinen Platten fügt er Leselisten bei (Naomi Klein, Paul Virilio …), in dem Song "Hymnformation" heisst es: "We are selling anthrax to our enemies."
Politics goes dancefloor, in diesem Fall eine erstaunlich überzeugende Gratwanderung, die mit Westerwelle nicht viel gemein hat.
Momentan tourt Herbert mit dem Projekt "The Mechanics of Destruction" durch die Lande und verteilt das gleichnahmige Album non-profit. Es ist im Handel nicht erhältlich, kann aber bei accidental records bestellt werden. Die Songs sind pures Recyclen des Globalismus, Titel wie "McDonalds" oder "Rupert Murdoch" verraten die Soundquelle: ein "Bic-Mac- Meal" oder die "Sun".
Nebenbei entwickelt er mit Pedro Almodovar ein Musical, macht Musik für den Dogma-Film "Intended", arbeitet an seinem zehnten Album. Matthew Herbert is burning. Respekt.