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Juli 2002
Heiko Müller
für satt.org


David Bowie:
Heathen

Col/Sony 2002

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THE MAN WHO FELL TO KOELN
David Bowie im E-Werk


Dass David Bowie für das neue Album "Heathen" Tony Visconti, seine Producer -Hassliebe aus den heldenhaften 70ern, verpflichtete, ließ die aufhorchen, die mit den weit unterschätzten Mittneunziger-Releases "1.Outside" und "Earthling" nun überhaupt wenig anfangen konnten. Und auch diejenigen hofften, denen das 99er Album "Hours" etwas zu gefällig geraten war, müde und abgeklärt: Und das zum falschen Zeitpunkt. "Heathen" enttäuscht weder die eine noch die andere Fraktion: Mit spielerischer Grandezza zitieren die beiden sich selbst; reuelos, ohne falschen Sentimentalitätsschmu, dafür mit somnambuler Könnerschaft … Die Promotour für das Album in Europa war klein - umso größer die Form, in der sich David Bowie dort präsentierte.

Das einzige Deutschland-Konzert fand am 12. Juli im Kölner E-Werk statt, in einem fast clubähnlichem Rahmen - etwa 2000 fanden Einlass, der Rest schlug sich draußen bei schönem Wetter mit dreisten Ticketschwarzhändlern herum, die 300 Euro oder mehr für die Karte verlangten.
Mit dem Intro zu L i f e O n M a r s erscheint David auf der Bühne - unter ungläubigem Jubel. So ist es immer, wenn er auftaucht - man kann es nicht richtig fassen. Nach und nach stimmt die Band mit ein, darunter die Gitarristen Earl Slick (ja, genau der), Mark Plati und Gerry Leonard sowie der Drummer Sterling Campbell, Keyboarder Mike Garson (Ziggy lebt), die Percussionistin Catherine Russell und Bowies Geheimwaffe Gail-Ann Dorsey, Bassistin, Vokalartistin und seit Mitte der Neunziger dabei.

A s h e s T o A s h e s, die Entzauberung Major Toms lässt das E-Werk zum ersten Mal kollektiv erbeben. Und jetzt wird deutlich: Bowies Stimme ist an diesem Abend so kräftig und voluminös, wie es sich für einen Fünfundfünzigjährigen nicht ziemt - unglaublich. Nicht einmal im Laufe des Konzerts trifft er einen falschen Ton - und das mit einer aus dem Ärmel geschüttelten Leichtigkeit.
Das Pixies-Cover C a c t u s ist ein Rockhammer, und Earl Slick und Gerry Leonard schenken sich nichts. Ein elegisches S l i p A w a y, ebenso vom Heathen-Album, macht deutlich, dass die neuen Stücke auch live bestens funktionieren.
Bowie ist gut aufgelegt: Er scherzt, schneidet Grimassen, albert mit der Band herum usw. The grin white duke? Ganz anders vor einigen Jahren: beim Auftritt zur Outside-Tour in der Berliner Deutschlandhalle (vor halbgefüllten Rängen) schien er die düstere Stimmung des Albums verinnerlicht zu haben : ätzende Kälte …

S t a r m a n aus seiner Ziggy-Phase folgt: alle zweitausend Anwesenden scheinen den Text zu kennen, denn lauthals wird mitgesungen.
Nie wieder wollte er C h i n a G i r l live spielen - aber hat er nicht auch 1973 seinen Bühnenabschied verkündet? Diese Version ist allerdings entschlackt, viel grooviger als das 83er Original. Die nächsten zwei Stücke von "Heathen" werden begeistert vom Publikum aufgenommen: das seltsam-dräuende I W o u l d B e Y o u r S l a v e und das Neil Young - Cover I ' v e B e e n W a i t i n g F o r Y o u, insistierend-brutal. Dann C h-C h-C h a n g e s, der Mitgröl-Stotterhit schlechthin - herrlich! Das folgende dynamische S t a y aus Bowies verkokster "Station To Staion" - Periode ist kaum je besser dargeboten worden - dank Earl Slick, der das ganze wohl schon zum tausendsten mal spielt und es an diesem Abend neu entdeckt. Und das anschließende F a m e hat nichts von der gepflegten Langeweile, mit der es Bowie während der künstlerisch desaströsen Sound and Vision - Jukebox - Tour zelebriert hat. I ' m A f r a i d O f A m e r i c a n s - Bowie schreit es ins Mikro, es ist nicht auszuhalten, wie intensiv er den Earthling-Klassiker bringt.
Das desperat-resümierende 5 : 15 T h e A n g e l s H a v e G o n e versucht die entstandene Wunde zu schließen, bis ein unversöhnliches H e r o e s nochmals zulangt; selbst Robert Fripps kreischende Gitarre wird semi - authentisch reproduziert, ohne dass das ganze wie ein Abklatsch klingt. Nach H e a t h e n (T h e R a y s), bei dem der neue Tourgitarrist Gerry Leonard seine meisterhafte Technik ausspielen darf, verläst Bowie samt Band unter tosendem Beifall und Getrampel das erstemal die Bühne, um nach wenigen Minuten zurückzukehren.
Das erste Encore ist der an Hunky Dory - Zeiten erinnernde Song E v e r y o n e S a y s H i von Heathen - was für ein Titel; Bowie winkt denn auch während des ganzen Songs ins Publikum. Wie klingt H e l l o S p a c e b o y von "1. Outside" mit drei Gitarristen? Besser als je zuvor. Man möchte auf die Knie gehen …- do you like girls or boys?/it's confusing these days- …
Selbst L e t' s D a n c e bekommt eine Chance - in einer Machoversion, pumpender als das Original.
E v e r y o n e S a y s H i wird erneut gespielt - der WDR, der das Konzert aufzeichnete (wird vielleicht im August gesendet!) hatte beim ersten Durchlauf des Songs wohl Kameraprobleme …als dann das Intro von Z i g g y S t a r d u s t erklingt, ist die ohnehin enthusiasmierte Menge eh nicht mehr zu halten - das E-Werk kurz vorm Kollabieren.

Bowie und Band verschwinden - das E-Werk jetzt im Endtaumel. Und normalerweise müsste doch jetzt das Putzlicht angehen? Doch es kommt alles ganz anders. Aus dem Bühnennebel tauchen sie nochmals auf und Bowie spricht zu uns: Hinten sind die Türen verschlossen … wir kommen nicht raus … was haltet ihr davon, wenn wir zwischenzeitlich das komplette Low-Album spielen? Dieser Moment ist mindestens so magisch und abgekartet wie sein berühmtes "This was our last show" im Hammersmith Odeon, …Und wirklich: sie spielen das komplette Album (nur Weeping Walls fehlte). Die Bassistin Gail-Ann Dorsey übernahm mit Verve einige vocal-parts, die Könnerschaft Mike Garsons, der buddhamäßig hinter seinen Keyboards thronte, entfaltete sich nun vollends und Bowie bediente bei einigen Titeln selbst den Synthesizer.
Von W a r s z a w a, zum S p e e d O f L i f e, B r e a k i n g G l a s s, die ewige Frage W h a t I n T h e W o r l d. Dann S o u n d A n d V i s i o n, der Endorphinknaller dieses Low-Sets, A r t D e c a d e, alles ist in rotes Licht getaucht. I was always looking left and right/ Oh, but I' m A l w a y s C r a s h i n g I n T h e S a m e C a r. B e M y W i f e. A N e w C a r e e r I n A N e w T o w n. S u b t e r r a n e a n s beschließt den fast dreistündigen Abend - und Bowie läßt ein emotionales Schlachtfeld zurück.

Nachtrag: Als wäre das nicht schon die untopbare Climax im Leben eines Bowie-Afficinados gewesen, hatte ich nach dem Konzert mit einigen anderen Devotees die Gelegenheit, Bowie himself die Hand zu schütteln und für ein Photo zu posieren. Danke an Radio Eins und Sony.

Gruppenbild mit Bowie

Ach ja: Bowie sieht auch aus nächster Nähe sehr gut aus.