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November 2002
Christina Mohr
für satt.org


Beck:
Sea Change

Geffen/Universal 2002

Beck: Sea Change
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Beck: Sea Change


Hier ist die Platte für den November, für einsame Abende, an denen man im Schmerz baden möchte: die 12 Low-Fi-Titel der neuen Beck-Platte "Sea Change" stehen der 1998er Veröffentlichung "Mutations" näher als der funklastigen "Midnite Vultures" von 1999 - auch "Mutations" war eher ruhig gehalten, aber durchaus experimentell, "Sea Change" verzichtet auf jegliche elektronische und auch stilistische Spielereien. Beck will nicht tanzen, er hat den Blues, den Cowboyblues genaugenommen, Spex nennt es Ambient Country. Schon das erste Stück, "Golden Age" zeigt die Richtung an, die auf der ganzen Platte eingehalten wird: extrem zurückgenommene Instrumentierung, hauptsächlich sind Akustikgitarren und Geigen zu hören. Überhaupt, die Geigen: Beck türmt sie auf zu wolkigen Gebirgen und bettet seine Melancholie in ihnen ein. Traurige Lieder hat er schon immer geschrieben, doch er hatte sie bisher auf den B-Seiten seiner Singles versteckt, weil er dachte, dass niemand einen depressiven Beck hören will. Auf "Sea Change" aber lässt er der Traurigkeit freien Lauf: die Platte entstand nach der Trennung von seiner langjährigen Freundin und die Arbeit im Studio hat ihn nicht aufgeheitert. Obwohl er in Interviews gern erzählt, dass er seine privaten Stimmungen nicht auf die Platte übertragen wollte, sprechen Zeilen wie "How could this love ever change the way I feel?" (aus dem Titel Lonesome Tears!) doch eine deutliche Sprache.
Becks Stimme klingt brüchig, dunkel und desillusioniert nach einem Mann, der schon viel gesehen und noch mehr hinter sich gelassen hat – als ob hier bereits das Alterswerk des 32-jährigen vorgelegt werden soll.

Kein amerikanischer Musiker kommt offenbar an Country vorbei und Beck nicht an Johnny Cash: schon auf "Mutations" war die Hommage an Cash "Halo of Gold" zu hören. Vom Halo of Gold (dort zitiert er die Zeilen "Until You're Mine I Walk the Line") ist es nicht weit zum "Ring of Fire" und auf "Sea Change" hat Beck nun vollends das Lonesome-Cowboy-Vokabular verinnerlicht. Signalbegriffe wie desert, drifting away, distant light, leave the past behind werden durchgängig verwendet, die Titel heißen Lost Cause, Already Dead oder Side of the Road; in Paper Tiger erreicht er den todessehnsüchtigen Höhepunkt: "Don't tell a dead man how to die" singt er da.
Er ist so einsam, dass er seine Gefühle nicht mehr klar benennen kann: "Guess I'm doing fine" sagt einer, dem es eigentlich schon egal sein kann, wie's ihm denn wirklich geht. Lediglich auf Sunday Sun ist ein fröhlicherer Grundton zu hören.
Beck will laut eigener Aussage kein Zombie sein, der sich ständig selbst kopiert – davor brauchen seine Fans keine Angst zu haben. Die nächste Platte wird garantiert wieder ganz anders, möglicherweise entdeckt er gerade Hardrock.