Kurzer historischer Abriß: 1980 veröffentlichten die Fehlfarben mit "Monarchie und Alltag" die wichtigste und beste deutsche Platte aller Zeiten. Auf dieser Platte auch der ungeliebte Hit "Es geht voran", der die Band zwar unsterblich machte, aber auch dafür sorgte, dass sie auf unzähligen NDW-Samplern landeten und bis heute in einem Atemzug mit UKW und Hubert Kah genannt werden. Peter Hein, der zornige Sänger von Zeilen wie "was ich haben will, das krieg ich nicht und was ich kriegen kann, gefällt mir nicht" verließ die Fehlfarben nach der ersten LP. Es erschienen noch weitere großartige Fehlfarben-Platten ("33 Tage in Ketten", "Glut und Asche"), Peter Hein gründete Family Five und arbeitete weiter bei Rank Xerox.
22 Jahre später: die Veröffentlichung der neuen Platte mit Peter Hein "Knietief im Dispo" wird von großem Medieninteresse begleitet. Die Fehlfarben bzw. Hein sind überall; im Spiegel, in der TAZ, zum Interview geladen mit Mieze von Mia. Natürlich ist diese Aufmerksamkeit zu einem großen Teil dem Erfolg von Jürgen Teipels Buch "Verschwende Deine Jugend" geschuldet – bleibt zu spekulieren, was zuerst da war: Teipels Buch oder die Idee zur neuen Fehlfarben-LP. Wie auch immer, zum Glück haben sich die Fehlfarben entschlossen, wieder zusammenzuarbeiten!
Schon beim ersten Stück, "Rhein in Flammen" wird offensichtlich, wer Jochen Distelmeyers oder Martin Coburgers (Boxhamsters) stimmliches Vorbild ist. Heins Gesangsstil ist noch knarziger, noch deklamierender geworden, auf drei Stücken ist reiner Sprechgesang zu hören. Insgesamt bietet "Knietief im Dispo" ein sehr heterogenes Klangbild – die Fehlfarben-typischen Bläser werden moderat dosiert, manchmal rockt es sogar ("Reiselust"). Durchgängig ist die melancholische Grundstimmung, aufgelockert durch Mitsing-Hits wie "Club der schönen Mütter" oder "Sieh nicht nach vorn". Zeilen wie "Ein goldener Oktober will gar nicht mehr enden, täuscht einem vor es wär alles gut" ("Der Fremde") lassen die Fehlfarben gar als Visionäre erscheinen: konnten sie den frühlingshaft warmen, endlos goldenen Herbst 2002 vorausahnen?
Immer wieder prallen das Politische und das Private aufeinander bzw. greifen ineinander, so zum Beispiel in "Die Internationale": Hein wünscht sich einerseits eine neue Oktoberrevolution ("Es müsste noch mal wie 89 sein, 17 nicht 19, aber weltweit"), will Religionen verbieten und Politiker enthirnen, gleichzeitig aber denkt er "nur daran, wie ich mit Dir vergessen kann". Ähnlich romantisch wird's in der "kleinen Geldwäscherei" mit dem Schlußrefrain " …da saßen wir zwei" (erinnert mich an das Lied von der kleinen Konditorei, das mein Opa immer meiner Oma vorgesungen hat, kennt das noch jemand?).
Hein und die Fehlfarben heben oft den mahnenden Zeigefinger, im Bewußtsein, daß früher tatsächlich vieles besser war ("Musik will niemand mehr hören, nur noch sehn, 15 Minuten sind schnell vorbei"/ Rhein in Flammen), verfallen aber nicht in sentimentale Vergangenheitsverklärung. Das Leben geht schließlich auch für die Veteranen der verschwendeten Jugend weiter – mit Politik, Sex (höre: "Herzen gelandet"!) und bereits erwähnter Reiselust. Das Stück "Schnöselmaschine" bezieht Stellung gegen Religionswahn jeglicher Couleur – "Kreuz oder Halbmond, der gleiche Beschiss, man weiss wirklich nicht, was ekliger ist". Hein positioniert sich außerhalb der Gesellschaft, außerhalb geltender Normsysteme: "Zur christlichen Welt gehör ich immer noch nicht". Diese Rolle ist den Fehlfarben eh am liebsten: Beobachter mittendrin und trotzdem draußen, hellwach im Hier & Jetzt, aber wohnhaft ganz woanders. Am liebsten wollen sie in Ruhe gelassen werden, kriegen aber trotzdem alles mit – besonders scheint sie zu stören, wenn andere über das eigene Leben besser bescheid wissen wollen als sie selbst, siehe "Das Leben zum Buch". Der Song verweist klar auf Teipels Dokuroman: "Ich brauch nicht mehr wissen, wer ich bin, es steht doch sowieso alles irgendwo drin", richtig, nämlich in "Verschwende Deine Jugend"!
Du Ran Du Ran – Hä? Duran Duran? Ein Witz vielleicht? Egal, ein schönes Stück über ein nervtötendes Telefon und eine nervige Beziehung, bei dem im Hintergrund ein bißchen "Teenage Kicks" von den Undertones mitläuft (wie auch bei "Die kleine Geldwäscherei" "The Boy with the Thorn in His Side" von den Smiths und bei "Rhein in Flammen" "Verstärker" von Blumfeld eingebaut ist). Mit diesen Zitaten und Hommagen wählen die Fehlfarben ihre Verwandtschaft selbst und ersparen den Kritikern die mühsame Suche nach der Verortung in der Pophistorie!
Auf der neuen Platte nehmen die Fehlfarben die Fäden von vor 22 Jahren wieder auf, "Knietief im Dispo" steckt voller Bezüge und Anspielungen auf "Monarchie und Alltag" und macht so deutlich, daß es zwei unterschiedliche Fehlfarben-Existenzformen gibt: mit und ohne Peter Hein (aka Janie Jones, in "Die Internationale" spricht er sich selbst an: "Ach Janie, Du spinnst"). "Was der Himmel verbietet" ist eine melancholische Spiegelung von "All that Heaven Allows" – sexuelle Ausbeutung mal aus anderem Blickwinkel beschrieben.
"Sieh nicht nach vorn, was hab ich denn da vorn verlorn", ein Klasse-Hit am Schluß der Platte – hier wird die Zeile "Es geht voran" ein für alle mal getilgt, überschrieben und eine späte Antwort auf die unbeabsichtigte Hymne einer sogenannten Generation gegeben.
Für uns alle gibt's aber einen verdammt guten Grund zum nach-vorne-schauen: die Fehlfarben-Tour zum Jahresanfang 2003!