Moby, das ist doch der süße, kleine, schmächtige Veganer, den wir alle so lieben. Der uns Respekt vor der Erde und vor Tieren im Besonderen lehrt, der um Worte nie verlegen ist (siehe das "Vorwort", bzw. den Booklet-Text zur letzten CD "18" oder seine fleißig-ausführlichen Einträge auf seiner Website moby.com). Der Moby, der Gospel mit smoothem Technopop vermischt und Videos mit selbstgemalten drolligen Nasenmännchen dreht - offenbar hat er aber genug vom Niedlichsein, denn: Moby rockt! Und zwar L-A-U-T. Bevor er aufdreht, erscheinen Röyksopp auf der Bühne, zwei bis drei (je nach Song) niedliche Lads aus Norwegen, die mit Spaß bei der Sache sind und vom Publikum erstaunlich begeistert aufgenommen werden - hier wird die Vorgruppe nicht verheizt, sondern auch lieb gehabt. Als sie ihr letztes Stück spielen (Little Leno) wird mir klar, dass Röyksopp ja selber schon berühmt sind: das Video läuft oft bei MTV und Viva.
Aber jetzt, 21:15: mehr Licht! Mehr Sound, mehr Krach! Bereits nach dem zweiten Stück sind Ohrstöpsel fällig, es dröhnt gewaltig. Moby springt wie aufgezogen über die Bühne (seine erstaunliche Fitness wird ihn in den nächsten zwei Stunden nicht verlassen) und zeigt uns, dass er alles kann und auch macht - er spielt Gitarre und Bongos, scratcht, tanzt und singt. Auf der Bühne werden jede Menge Pop-Klischee-Figuren aufgefahren: die schwarze dicke Gospel-Sängerin, der Londoner Star-DJ, der live mixt und scratcht, zwei Geigerinnen, ein Bongo-Spieler aus Kolumbien, ein wasserstoffblondes Rock-Chick in weißem Overall - sie und Moby lieben das Gitarrenposen: Luftgitarre mit Gitarren sozusagen. Überhaupt hat Moby das Spielen mit Klischees lieben gelernt: das obligatorische Vorführen von Deutschkenntnissen (einer der fünf deutschen Sätze, derer er mächtig ist, lautet natürlich "Ich bin ein Veganer"), die komödiantische Einlage (er und die Band tragen Afro-Perücken, um mit dem schwarzen DJ konkurrieren zu können), das ins-Publikum-rennen auf dem Laufsteg.
Moby bietet uns sein gesamtes Hitprogramm, vom ersten Charterfolg "Go" über seine Bearbeitung des James-Bond-Themas bis zu den Gospelhits "Why does my Heart feel so bad?" und "Natural Blues". Er selbst singt "We Are All Made of Stars" und "Extreme Ways". Seine "favourite styles" sind Punk und HipHop, wie er uns vor einem Stück mitteilt und er schafft es tatsächlich, diese beiden Pole immer wieder in seinen Songs zu verbinden. Toll gelungen ist "Another Woman", ein sehr souliges Stück von der letzten CD, die Frauenstimme wird nicht reingesampelt, sondern live gesungen. Das letzte Stück ist "Feeling so Real", Mobys hymnischer Technohit, als Zugaben hat er sich "Creep" von Radiohead und "Blitzkrieg Bop" von den Ramones ausgesucht, passenderweise: vorher nennt er unter großem Applaus George W. Bush einen Nazi. Nach "September 11" (übrigens auch Mobys Geburtstag) spielt er "That's When I Reach for my Revolver" nicht mehr live.
Mobys "Trick" ist, dass er trotz allem Stardoms immer noch erstaunt wirkt über seinen Erfolg, ein kleiner blasser Junge, der plötzlich mit allen Poptools spielen darf und damit die Massen anzieht. Er kokettiert mit den Kontrasten seiner Person: der zurückgezogene Intellektuelle, der an elektronischen Instrumenten frickelt, der Antistar mit Glatze und Brille, der im Big Business gelandet ist und trotzdem sympathisch bleibt. Meinetwegen darf Moby in Zukunft sich gern mal total danebenbenehmen und großkotzig aus der Reihe fallen: vor lauter Bemühen, es allen recht zu machen, könnte er die Glaubwürdigkeit, die ihm so viel bedeutet, bald verlieren. Dazu paßt vielleicht, wie unabsichtlich komisch es wirkt, wenn man den Titel der letzten CD und die dazu hergestellten T-Shirts betrachtet: war "18" nicht die verunglückte Kampagne der FDP … äh, sorry.