Im Sommer dieses Jahres habe ich in der Rostocker Fußgängerzone drei Straßenmusiker gesehen und gehört, die mich so begeisterten, dass ich ihnen drei Euro in den Hut warf. Das mache ich ganz selten, warum diesmal? Die drei Jungs klangen so rauh und roh wie einst die Violent Femmes und ich wurde ganz wehmütig, weil ich die „echten“ Femmes noch nie live gesehen hatte. Ein paar Monate später: ein kleiner Hinweis im Lokalblatt, Violent Femmes, 22.11.2002, Wiesbaden, Schlachthof keine Sekunde überlegt, Freunde überredet, Karten bestellt, freudig abgewartet.
Und dann stehen sie da, pünktlich um viertel nach zehn, wie´s der Schlacht(hof)plan vorgesehen hat, auf der Bühne der gut gefüllten Halle und beginnen mit den bekannten, unheilschwangeren Takten des „Country Death Song“ Raunen, Gänsehaut und Jubel im Publikum. Gordon Ganos Gesang ist so nölig wie eh und je, Victor de Lorenzo bearbeitet sein schlichtes Standschlagzeug, Bassist Brian Ritchie zeigt Muskeln, Tattoo und Bauch. Drei alte Freunde sagen hallo (übrigens ganz viel in Deutsch), aber mit Karacho! Das Klanggerüst der Femmes besteht seit zwanzig (!! Ja, 20!) Jahren aus Gitarre, Schlagzeug, Bass. Punkt. An der Reinheit dieses Dreiklangs gibt´s nix zu verändern oder zu verbessern, für liebevolle Details ist aber durchaus Platz: wie auf den Platten tauchen zwischendurch die „Horns of Dilemma“ auf (leider ohne John Zorn oder Fred Frith, aber das wäre ja schon ein Konzert für sich) und präsentieren chaotischen Bläser-Noise; nach einem knackigen Drumsolo wird augenzwinkernd der Jazzstandard „Salt Peanuts“ zitiert und Brian Ritchie spielt zwischendurch Xylophon.
Ein paar Stücke kommen ein bisschen langsamer daher als früher, das ist alles an Veränderung. Obwohl die Femmes ganz sicher für den Großteil der Anwesenden den Soundtrack ihrer Jugend geliefert haben, kommt keine Sekunde lang das Gefühl auf, einer Retroveranstaltung beizuwohnen: das Publikum ist begeistert und VF klingen so rumpelnd frisch und grollend lärmig, als gäbe es sie erst seit zwei und nicht seit zwanzig Jahren. Sie spielen alle ihre bzw. unsere Hits: Add it up, I Hear the Rain, Jesus Walking on the Water, Black Girls, Blister in the Sun - zum Glück bin ich rechtzeitig zu American Music wieder vom Klo zurück! Lautes Mitsingen ist angesagt, obwohl ich den Text nie so richtig kapiert habe: „everytime I look at this ugly lake it reminds me of me …“ egal.
Die Violent Femmes haben 1982, als ihre erste LP herauskam, einen absolut unkaputtbaren Sound erschaffen: sie nahmen sich die amerikanischen Musikarchetypen Folk, Blues, Country und Rockabilly vor und verquirlten sie mit Punkrock. Dazu Ganos unverwechselbare Nörgelstimme, die eindringliche Geschichten vom Grauen hinter dem American Dream erzählt.
Je schlichter die Mittel, desto weniger abgestanden wirkt die Musik nach ein paar Jahren, Verfallsdatum gibts für die Violent Femmes keins. Ihr Straßenmusikerinstrumentarium hat eine wesentlich längere Halbwertszeit als die verschiedensten elektronischen Spielzeuge: wer nie Fashion Victim war, kommt auch nicht aus der Mode.
0:00 Uhr: es ist ähnlich wie nach einem Ramones-Konzert (auch Meister der Einfachheit), in anderthalb Stunden hat man circa 48 Songs gehört, nach der Zugabe „Kiss Off“ kann nix mehr kommen, das wissen wir. Das war auch bei den Partys in den Achtzigern so: danach entweder knutschen, umfallen oder halt heimgehen.