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Januar 2004
Christina Mohr
für satt.org


Phillip Boa & The Voodooclub: C 90
Rca Local (BMG) 2003

Phillip Boa & The Voodooclub: C 90

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Phillip Boa &
The Voodooclub:

C 90



Phillip Boa & The Voodooclub: C 90

Vor einigen Jahren sah ich ein TV-Interview mit Phillip Boa, in dem er die Vorzüge der Langeweile pries. Langeweile sei ein Geschenk, das die meisten Menschen nicht zu schätzen wüssten. Langeweile allein mache kreative Arbeit erst möglich, Boa blickte grimmig und verurteilte unsere auf „Action“ und Ablenkung um jeden Preis ausgerichtete Zeit. Offenbar war dem Meister tüchtig langweilig in den letzten Jahren, denn die aktuelle Platte „C 90“ ist erstaunlich frisch und einfallsreich geraten, ohne sich kurzlebigen Trends anbiedern zu wollen. Der Titel suggeriert ein altmodisches Mixtape, und genau das ist es geworden, im allerbesten Sinne. Vollgepackt mit 16 Songs kommt C 90 abwechslungsreich und vertraut zugleich daher und die schönste Überraschung bekommt man schon im ersten Track, der Single „Slipstream“ präsentiert: Pia Lund ist wieder dabei! Never change a willing team hat sich das Ex-Ehepaar Boa-Lund wohl gedacht: mit diesem Comeback reihen sich die beiden in die Riege unsterblicher Duos ein – wie zum Beispiel Nancy Sinatra und Lee Hazlewood oder oder Cher und Sonny Bono, zumindest in die unmittelbare Nachbarschaft von Mark E. und Brix Smith. Zu weit hergeholt? Klar ist, dass der typische Boa-Sound erst durch das Wechselspiel der beiden Stimmen entsteht. Phillip Boas Stimme klingt noch knarziger und rauher als früher, Pia hingegen scheint kaum gealtert, engelsgleich wie eh und je verleiht sie den Boa-Stücken einzigartigen Glanz und Schimmer. Besonders schön klingt das in „Sunfeel“. Wie früher schon spielen sie ein bisschen mit dem Die-Schöne-und-das-Biest-Image, der jugendliche Ungestüm allerdings ist einer unaufgeregten Altersweisheit gewichen.

Boa muss nichts beweisen, souverän fächert er eine Palette aus Songs auf, die alle Ingredienzien eines Indie-Hits beinhalten wie „Down“: das Stück beginnt noisig, der Melodiebogen öffnet sich weit mit dem Einsetzen des weiblichen Gesangsparts. In „The Age of Reason“ wird gerockt, „By A Soul in Hell“ basiert auf einem langsamen Walzer und “When Onassis Dated Lee“ ist ein Boa-Stück alter Schule. Bei solcher Vielfalt kann man auch über den albernen Refrain von „Courtney Love Why Not“ locker hinwegsehen.

Selbstironisch titelt Boa „I´m An Ex-Half-Popstar“ – stimmt, richtig großen Erfolg hat er nie gehabt, weder mit dem Voodooclub, noch mit seiner Hardrockband, deren Namen ich glatt vergessen habe. Boa entzog sich dem Pop-Business von Anfang an, er gründete sein eigenes Label (Constrictor), war notorisch unfreundlich und wortkarg und verzog sich irgendwann nach Malta, wo auch die aktuelle Platte aufgenommen wurde. Trotz (wegen?) seines wenig zugänglichen Verhaltens ist er aus der deutschen Indie-Szene nicht wegzudenken, Hits wie „This is Michael“, „Containerlove“ und „And Then She Kissed Her“ sorgten für volle Tanzflächen in Wavediscos, die „Ausweg“ oder „Tunnel“ hießen und liefen damals sogar als Video auf MTV.

Klarer Hit der aktuellen Platte ist „It´s not Punk Anymore, it´s now New Wave”, der sogar auf dem monatlichen Spex-Sampler gelandet ist. Ganz egal, wie Ihr es nennt, C 90 ist eine kleine Perle für alte Boa-Häsinnen wie mich; für Youngsters eine lohnende Entdeckung.