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Februar 2004
Christina Mohr
für satt.org


Thomas Venker: Ignoranz und Inszenierung. Schreiben über Pop.
Ventil Verlag, Mainz 2003

Thomas Venker: Ignoranz und Inszenierung. Schreiben über Pop.

260 Seiten, € 13,90
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Thomas Venker:

Ignoranz und Inszenierung
Schreiben über Pop



Thomas Venker ist Chefredakteur des Popmagazins Intro und hat in diesem Buch Interviews und Artikel versammelt, die bereits in Intro erschienen sind. Die Interviews sind thematisch zusammengefaßt, vorangestellt ist jeweils ein Essay Venkers: die Rubriken heißen "Ignoranz vorm Pop", Musik Macht Politik", "Popfeminismus – das letzte gute Gewissen des Popjournalismus" oder auch "Die Popinszenierung des Gesprächs".

In seiner Einleitung stellt Venker Popjournalisten vor, die ihm bedeutend oder exemplarisch für eine bestimmte Haltung des Schreibens über Popmusik erscheinen. Es fallen Namen wie Greil Marcus, Lester Bangs, Hunter S. Thompson, aber auch deutsche Autoren wie Diedrich Diederichsen, Clara Drechsler und die Grether-Schwestern werden genannt. Allen gemeinsam – und in dieser Reihe sieht Venker sich auch selbst – ist die bedingungslos subjektive Herangehensweise an das Phänomen Pop und der daraus entstehende Umgang mit den Künstlern. Der Schreiber/die Schreiberin und deren stilistische Eigenheiten werden ebenso wichtig wie die zu portraitierenden Künstler und Platten.

Ein Extremfall ist der amerikanische Kritiker Richard Meltzer, der Platten besprach, ohne sie jemals angehört zu haben und so die Popmusikkritik zum eigenständigen Genre erhob. Angefüllt mit subjektiven Erlebnissen, Schilderungen ihrer momentanen Befindlichkeit und oftmals ohne sich mit vielen Details über die neue Platte oder Tournee eines Künstlers aufzuhalten waren auch die Artikel Clara Drechslers im Spex (eine der Spex-Gründerinnen). Für Venker ist gerade die Vermittlung eines Gefühls, einer Stimmung wichtiger als die reine Info und deshalb Drechsler für ihn eine der interessantesten Schreiberinnen über Pop. Venker selbst, der wie viele seiner KollegInnen die ersten Schritte als Journalist bei einem Fanzine machte, ist die Obsession mit Popmusik und deren soziokultureller Bedeutung in jeder Zeile anzumerken. Bescheidenheit ist seine Tugend nicht: So läßt er es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass er! David Bowie! Plattentipps gegeben hat.

Ein wenig angestrengt und vollgestopft mit illustren Namen von Adorno über Judith Butler bis Bikini Kill ist seine Einleitung zum Thema "Popfeminismus", in der er wortreich für eine neue Herangehensweise für den Umgang mit Popkünstlerinnen einsteht, aber beinah ein wenig verstimmt darüber zu sein scheint, dass ja "leider" Björks großes Thema nicht "die Durchsetzungsfähigkeit anderer Frauen" sei. Tja, Mist aber auch, wenn sich die mit post- und popfeministischen Vorschußlorbeeren versehene Interviewpartnerin eigene Antworten überlegt hat, die nicht in den diskursiven Kosmos des (männlichen) Interviewers passen. Trotz aller zum Teil nervigen Geschwätzigkeit und besserwisserischen Penetranz des Autors – möchte man seinen Stil ins Positive wenden, könnte man behaupten, dass ihm vor lauter Begeisterung und Identifikation mit dem Objekt halt öfter mal die Pferde durchgehen – bietet das Buch interessante Interviews mit Kelis, Moby, Greil Marcus, Pulp, Radiohead, undundund. Ausserdem ist die von Venker ins Leben gerufene (von wem auch sonst) Reihe "Kochen mit …", nachzulesen im jeweils aktuellen Intro, ja wirklich mal was anderes als das typische Hotelinterview mit abgestumpften Stars.