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Bei aller subjektiven Auswahl schätzt Klaus Walter die "mündigen Hörer", die auch Wir sind Helden oder Kylie Minogue in die Jahrescharts der Sendung wählen, obwohl deren Platten niemals im Ball zu hören waren. Legendär sind die langen Ballnächte, die in unregelmäßigen Abständen laufen: bis morgens früh um sechs wird mit Gästen wie Knarf Rellöm oder FSK geplaudert, gefachsimpelt und vor allem viel Musik aufgelegt. Nicht nur in Hessen wird der Ball gehört: in den Jahrespolls von SPEX und Intro belegt Klaus Walter mit seiner Sendung seit Jahren Spitzenplätze in der Rubrik "Beste Radioshow". Dank Internet und Kabel kann man – bis jetzt noch! – in der ganzen Republik "Der Ball ist rund" empfangen. Walter selbst begnügt sich nicht damit, "nur" Radiomoderator zu sein, er ist ausserdem DJ, Autor, Fußballfan (wer hätte das gedacht) und wer öfters in und um Frankfurt ausgeht, wird ihm häufig bei Konzerten begegnen. Künftig kann man Klaus Walter auch häufiger im Bayrischen Rundfunk mit der Sendung "Zündfunk" hören. Jetzt wird der Ball unglaubliche zwanzig Jahre – eine echte Rarität in der deutschen Medienlandschaft – eigentlich ein Grund zum Jubeln und Feiern! Doch was passiert beim Sender? Der Ball ist rund wird ab dem 19.4. vom populären HR3 zu HR2, der Kulturwelle des Hessischen Rundfunks verlegt. Ist dieser Schritt eine Auszeichnung für den Ball (Kultursendung!) oder stellt sich der HR ein Armutszeugnis aus, weil man sich dort nicht zwischen Kultur und Kommerz, Anspruch und Formatradio, qualitativ hochwertiger Musik und "den besten Hits der Achtziger, Neunziger und dem Besten von Heute" entscheiden kann? Wie bist Du vor über zwanzig Jahren darauf gekommen, Radiomoderator zu werden?
Ich war damals Schreiber und dann Redakteur beim "Pflasterstrand", einem linken Stadtmagazin für Frankfurt, und habe dort über Musik geschrieben. Ich hatte in diesem Althippie-Umfeld alle Freiheiten, was heutzutage im Zeichen homogener und formatierter Medien nicht mehr möglich wäre; ebenso hatte ich die Möglichkeit, wirklich lange Texte zu veröffentlichen. Gab es Hörerreaktionen?
Ja sicher, man muss sich auch klarmachen, dass es 1984 kein MTV, kein Viva, kein Planet Radio, kein Internet gab – die Hörer haben der Sendung entgegengefiebert, was nichts mit mir zu tun hat, sondern einzig und allein damit, dass es keinerlei Öffentlichkeit für bestimmte Arten von Musik gab. Man konnte nicht in jeder Stadt die neue Platte von den Violent Femmes kaufen – heute gibt es Amazon und ebay, damals ist man von Pontius zu Pilatus gelaufen! Warst Du immer frei in der Gestaltung Deiner Sendung?
Heute würde ich – wenn ich mein eigener Vorgesetzer wäre – viel häufiger sagen "Walter, was machst Du da überhaupt, wie positionierst Du Dich, wer ist Deine Zielgruppe, wie verändert sich Dein Umfeld, wo siehst Du Dich zwischen Charlotte Roche und Zündfunk auf Bayern 2?"
"Der Ball ist rund" ist ein erratischer Block und deswegen fliegt die Sendung ja jetzt auch bei HR 3 raus. Der Wellenleiter hat bis vor kurzem immer sinngemäß gesagt - eine Haltung, die ich mittlerweile zu schätzen weiss – : "Ich verstehe nicht, was Du machst, ich mag die Musik nicht, aber Du hast Deine Fans, also mach mal!" Dabei hätte ich konstruktive Kritik von kompetenten Gesprächspartnern auch mal ganz gern gehört! Inzwischen ist aber der Druck von aussen und oben gestiegen, so dass man sich die Sendung bei HR 3 angeblich nicht mehr leisten kann.
Bedeutet die Verlegung des Balls von HR3 nach HR2 eine "Herabwürdigung" für Dich?
Jjjein, das Umfeld in HR2 ist inzwischen adäquater, die Sendung passt gut in die Crossover-Schiene vor Mitternacht, die Hörer werden dort als vernünftige Menschen angesprochen, nicht als Fun-Automaten. Ein Nachteil besteht darin, dass hr2 nicht übers Internet zu hören ist – auch paradox, wenn man bedenkt, dass hr3 über einen Webstream verfügt, sich aber inhaltlich kaum mehr von anderen Pop-Radioformaten unterscheidet. Wer will in Berlin Verkehrsmeldungen aus Hessen hören? Wer in München Ausgehtips für Kassel? Dagegen bietet hr2 eine ganze Reihe interessanter Sendungen, die gerade für Internet-User attraktiv sind, aber es gibt keinen Webstream. Schade, zumal sich in den letzten Jahren herausgestellt hat, dass Hörer in Hamburg oder Berlin, die aus Hessen weggezogen sind, die Sendung übers Web hören.
Wie siehst Du Deine Rolle als "Radiomann" – als Kulturvermittler? Hast Du eine Mission?
Ja klar, auf jeden Fall. Popmusik war und ist was Faszinierendes und Prägendes, darüber zu reden und anderen Leuten interessante neue Musik vorzuspielen ist ein toller Job.
Hast Du mit dem Ball einen Trend gesetzt?
Bestimmt, aber darauf will ich mir kein Ei backen: es gab viele Glückstreffer und Zufälle für mich. Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass – und wieder ist Charlotte Roche die amtliche Ausnahme – anderen Moderatoren nicht gesagt wird, "Du hast alle Freiheiten, mach mal" , sondern dass es praktisch nur noch Spezialsendungen gibt, die eine einzige Sparte bedienen. Hier eine Sendung für die HipHopper, eine für Indierocker, für die Lounger etc. Für sich genommen sind diese Spartensendungen eher langweilig, weil eben nur Musik eines Genres gespielt wird. Es werden keine Beziehungen innerhalb der verschiedenen Musikrichtungen geknüpft. Ich sehe aber an den Jahrescharts, die ich von meinen Hörern geschickt bekomme, dass die völlig heterogen sind: da kommen die Queens of the Stone Age genauso vor wie 50 Cent, Kylie, Blumfeld und die Go-Betweens. Mich ärgert die vorherrschende Engstirnigkeit, den Moderatoren wird zu wenig Freiheit zugestanden.
Offenbar wird die Vielseitigkeit, die Du bietest, von Deinem Sender nicht angemessen gewürdigt …
Naja, 20 Jahre lang wurde diese Vielseitigkeit toleriert, was in der heutigen Medienlandschaft nicht eben üblich ist. Andererseits: wenn ich sehe, mit welchem Werbeaufwand neue Programme an den Start gebracht werden, dann komme ich schon mal ins Grübeln. Für den Ball jedenfalls wurde in 20 Jahren kein Cent in Werbung investiert. Was die Vielseitigkeit angeht: ich glaube, den HipHopper oder den Indie-Rocker in Reinkultur gibt es so kaum noch: Die wenigsten Leute über 20, 25 sind wirklich irgendwelchen Tribes angeschlossen. Wenn ich fernsehe, schaue ich doch Arte und 3Sat genauso wie die Sportschau und die Lindenstraße! Es ist schade, dass das Radio sich die Möglichkeit zur eigenständigen Gestaltung selbst immer mehr nimmt. Das ist das Schönste an dem Job überhaupt, die Verbindung von Destiny's Child zu Blumfeld herzustellen, was ja gar nicht so abwegig ist! Solche überraschenden Übergänge und Querverweise haben mich in meiner eigenen Hörpraxis bei anderen Moderatoren immer am meisten begeistert. Und nicht dieses: ich mache eine Spezial-Indierock-Sendung und spiele alle zwanzig Platten, auch die schlechten, die in der letzten Woche in diesem Genre rausgekommen sind, nur um meine Sendung vollzukriegen. Das ist doch langweilig! The Fall – Roxy Music- Franz Ferdinand- Dexy's Midnight Runners – passt erstmal nicht, passt aber doch! Das kann man superschön im Radio machen. Wäre für Dich eine Fernseh-Karriere in Frage gekommen?
Nein. Ich habe drei- oder viermal Beiträge fürs HR-Fernsehen gemacht, aber meine Beiträge waren immer von einem völligen Wort-Overkill geprägt – ich habe mir auch nie Gedanken gemacht, welche Bilder zum Text laufen sollten. Die HR-Kameraleute kotzen bestimmt heute noch, wenn sie an das Blumfeld-Interview denken, das ich mal zu deren erster oder zweiter LP gemacht habe. Der Beitrag sollte ca. fünf Minuten lang werden, und ich habe – vor laufenden Kameras – ungefähr vierzig Minuten mit Blumfeld gesprochen. Wir haben uns verplappert, weil ich natürlich alles ganz genau wissen wollte.
Wie hältst Du Deine Begeisterungskurve? Hast Du mittlerweile häufiger den Eindruck, alles schon mal gehört zu haben, dass sich alles wiederholt?
Ja schon, obwohl das sehr komplex ist. Die Musik, die "wir" so sehr lieben und geliebt haben, ist natürlich immer mit kollektiven und subjektiven Erinnerungen verknüpft, wir hören immer einen bestimmten Kontext mit. Ich kann nicht bestreiten, dass diese starken Eindrücke nicht immer zu wiederholen sind. Aber es gibt immer wieder super Erschütterungen, bei den Queens of the Stone Age zuletzt, oder Phantom Ghost. Aber eben auch eine gewisse Teilnahmslosigkeit: bei Emo beispielsweise, da würde ich sagen, das ist nicht für Dich gemacht, Klaus, lass die jungen Männer ihren Emo machen. Ich kann zwar erklären und verstehen, was Emo bedeutet und für wen und warum Emo durchaus funktioniert, aber das berührt mich nicht weiter. Nachspielzeit:
» Schönstes/peinlichstes Ball-Erlebnis » Ewige Lieblingsbands und –platten » Lieblingsfussballclub » Wird der Ball archiviert?
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