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Mai 2004


The Streets:
A Grand Don’t Come For Free

Warner 2004

The Streets: A Grand Don’t Come For Free
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The Streets:
A Grand Don’t
Come For Free

Mike Skinner setzt noch eins drauf:
Eine geschlossene Geschichte über Geld,
Vertrauen, Handykommunikation und Liebe





Mike Skinner
Mike Skinner
Foto © 2004 WEA Records


Wieder ein Tag im Leben eines Geezers? Im Jahr 2002 geschah es, dass sich alle alle alle – Musikmagazine, CD-Käufer, Subkulturen – auf einen schmalbrüstigen Jungen namens Mike Skinner einigen konnten, der mit seinem Debütalbum "Original Pirate Material" der UK-Garage-Szene zeigte, wo der Hammer hing. In breitestem Cockney-Englisch erzählte Skinner aus dem ganz normalen Leben eines Jugendlichen zwischen Mädchen, Pubs und Fernsehen, und er tat das mit einem sprachlichen Furor und Flow, der immer auf den Punkt war. The sky was the limit.

Mittlerweile ist Mike Skinner gerade mal 24 Jahre alt, er hat ein bisschen Speck zugelegt, und auch musikalisch schafft er es, noch einen draufzusetzen. "A Grand Don’t Come For Free“ erzählt eine geschlossene Geschichte von Skinners ersparten 1.000 Pfund (a "grand"), die auf einmal verschwunden sind, von verlorenem Vertrauen in die Freunde, vom Sich-verlieben in die schlechteste Poolspielerin unter der Sonne, von Tripping im Pub, von verlorenen Fußball-Wetten, von One-Night-Stands und Beziehungskrach, und er gibt diesem in sich schon sehr authentisch geschilderten Sittenbild des kontemporären England auch noch zwei verschiedene Enden (eines davon happy), sodass man als Hörer wirklich mit einem breiten Grinsen aus diesem Album auftaucht.

Dabei ist das Gerüst der Songs reduzierter als noch auf "Original Pirate Material" – der Einfluss von Grime, dem Nachfolger von Garage: harte, skelettierte, dreckige Beats, wie sie in letzter Zeit zum Beispiel von Dizzee Rascal zu hören waren und wie sie im Moment in den Straßen East Londons erschallen. Und darüber die Stimme dieses modernen Geschichtenerzählers. Zum Beispiel "Blinded By The Lights“: Zu einem Beat, aus dem andere eine Dancesong gemacht hätten, rapt Skinner mit einer Seelenruhe perfekte Rhymes, das Tempo wird so verschleppt, dass man vor Nervosität mit dem Nägelkauen beginnt und sich immer nur fragen kann: Wo mag das alles noch enden? Oder "Empty Cans": Wie da anhand eines simplen Tonartwechsels entschieden wird, ob die Geschichte gut oder schlecht ausgeht, das ist schon ziemlich wunderbar. Noch dazu weil hier die Utopie wahr wird, man könnte Dinge mit simplem Rewind rückgängig machen.

Skinner schafft es, Dinge des alltäglichen Lebens genau und mit Witz darzustellen: zum Beispiel wenn er mit seiner Freundin streitet und ihr Verhalten kritisiert, aber sich im selben Moment schon überhaupt nicht mehr erinnern kann, was er ihr eigentlich vorwerfen will. Das Ganze mit einem Flow, der an Exaktheit nichts zu wünschen übrig lässt. Und niemals im Leben hätte ich gedacht, dass ich bei einem Skinner-Song mal Tränen in den Augen haben könnte – bis "Dry Your Eyes" kam, dessen Geigen einem das Herz brechen können, auch wenn diese Erzählung einer endenden Liebe jedes Klischee bedient, das man sich zu diesem Thema vorstellen kann - inklusive Handmetaphorik und sich im Gehen nochmal in Zeitlupe umdrehen und so weiter – aber es ist einfach auch so verdammt schön traurig! Insgesamt genau der richtige Soundtrack zum Leben in der Großstadt, zum Weinen und Lachen, für die kleinen Lügen und die großen Wahrheiten.