Tom Zé Foto: Eric Johnson
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Während ehemalige Mitstreiter wie Caetano Veloso inzwischen ihre alten Songs, süßlich instrumentiert und mit vollem Streichorchester im Rücken, in den großen internationalen Konzerthallen zum Besten geben, ist Tom Zé ein Geheimtipp geblieben. Vielleicht liegt es daran, dass er seine Liebe zur Dissonanz, zu unvermittelten Tempo- und Dynamikwechseln, nie aufgegeben hat. Zés tropicalischer Mix aus dadaistischer Lautpoesie, Samba, Rock, rituellen Gesängen aus dem armen Nordosten Brasiliens und neuerdings auch Forró verirrt sich nur selten in versöhnlichere Gefilde. Oft genug brechen die Songs genau dann ab, wenn der Refrain zu schmeicheln anfängt.
René Pollesch hat Zés schräge Musik kürzlich wieder entdeckt: 80 Prozent des Soundtracks für sein Stück Telefavela stammen von dem Multi-Instrumentalisten. Was im Theater wie eine musikalische Synthese der Geräuschkulisse der Megastadt São Paulo wirkt, stellte sich am Freitagabend im Konzert als Gesamtkunstwerk heraus. Kein Ton, kein Soundeffekt, keine Geste war unbedacht – selbst die Kommentare Zés zu seinen Stücken wirkten genauestens choreographiert.
Dazu zeigte der 67jährige in der Volksbühne vollen Körpereinsatz: Er tanzte und sprang wie ein Derwisch, dirigierte die Einsätze seiner fünf Mitmusiker an Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboard und Percussion. Beim ersten Stück "Letters" schlug sich Zé auf Brust und Stirn, prustete und spuckte Wasser in die Luft. Während sein ganzer Körper zum Instrument wurde, verwandelte er seine Gitarre in seine ferne Geliebte, nach der er sich in den Liedzeilen sehnte.
Aber Zé wollte nicht nur gefühlvoll und freundlich sein. Er sang auch Stücke über Kinderprostitution und Sextourismus, über multinationale Konzerne, die Doppelmoral der UNO und den Irak-Krieg. In "Companheiro Bush" heißt es: "Se você já sabe quem vendeu aquela bomba pro Iraque, desembuche: Eu desconfio que foi o Bush. Foi o Bush." (Wenn Sie schon wissen, wer jene Bombe an den Irak verkauft hat, spucken Sie’s aus: Ich glaube, dass es Bush war. Es war Bush.). Ein eilends auf die Bühne gezerrter Dolmetscher kapitulierte bei dem Stück, das Zé als Teil der Kampagne gegen den Krieg Anfang vergangenen Jahres gratis ins Netz gestellt hatte, an den Wortspielen.
Am Ende des Konzerts stand die Band in Blaumännern und Bauarbeiterhelmen auf der Bühne. Kurz zuvor hatten sie noch im Takt der Musik geschweißt, Teile von Überschriften der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen und gegessen. Hatten die Musiker des Tropicalismo in den 60er und 70er Jahren gegen Militärdiktaturen in Südamerika angesungen und die brasilianische Popmusik revolutioniert, so wirkte Zés Solidaritätsadresse an die Arbeiter vor dem arrivierten Publikum – übertriebene 28 Euro waren als Eintritt fällig – seltsam deplatziert. Auch wenn seine Musik heute noch mitzureißen vermag, stimmt sie wehmütig: Fast so als wäre Tom Zé nur noch ein Zitat seiner selbst. Während andere brasilianischen Musiker wie Moreno Veloso, Arnaldo Antunes und Lenine ihr Klangspektrum längst um die Mittel der Elektronik erweitert haben, bleibt Zé beim handgemachten Rocksound. So als wäre die Zeit einfach stehen geblieben.