Aus dem Leben eines Glaubenichts:
Miss Kittin und ihr
überraschendes erstes Soloalbum
» I Com«
"The long awaited artist album" steht groß auf dem Cover. Dagegen sollte sich die Gewerkschaft wehren: Als ob DJs erst dann Künstler wären, wenn sie endlich auch eigene Titel singen, pah. Miss Kittin aka Caroline Hervé jedenfalls hat sich schon jahrelang als weiblicher DJ im männlich dominierten Zirkus einen Namen gemacht, nicht zuletzt durch ihre Kollaborationen mit Felix da Housecat, The Hacker und Golden Boy, Produktionen, bei denen Miss Kittin niemals nur das Stimmchen obendrauf war, sondern das entscheidende Ingrediens, das die Songs richtig hochgehen ließ.
Das ganz normale Leben eines DJ wird auf "I Com" immer wieder zum Thema, und selten hörte man solch ehrliche Worte dazu: "Maybe they think I am naive / because of my baby face / they don’t know it’s my technique / to survive in this place" heißt es in "Happy Violentine“ und: "switch me in a stand-by mode / until someone presses play“. Man hat’s nicht immer leicht, wenn man die Leute bei Laune halten muss. Küsschen hier, Küsschen da, Lächeln, auch wenn’s einem zum Heulen ist, das typische Stargetue: "Professional Distortion" eben, die wunderbare Single mit einer von Tobi Neumann (der zusammen mit Thies Mynther auch als Produzent fungierte) distorteten Gitarre. "I have to never trust you blind" – die DJane als Glaubenichts auf Tour.
Dass nun aber niemand aufgrund eventueller Hörgewohnheiten denkt, Miss Kittin würde sich zur Galionsfigur einer sterbenden Electroclash-Szene machen lassen: "I Com" ist ruhiger, konzentrierter und songorientierter als man das vermutet hätte, und überrascht lauscht man dem entzückend akzentuierten Stimme der Künstlerin bei minimal-elektronifizierten Chansons wie dem Indochine-Hit "3eme sexe", einer Ode an die Androgynität, die keine Nacktheit verträgt, oder dem düsteren Dub bei "Dub About Me", das mittels eines verstörenden Stimmsamples in Opposition zu Miss Kittins naivem Gesang noch lange nachwirkt. Bezeichnenderweise ist gerade der Electroclash-Hammer "Meet Sue Be She" der einzige Aussetzer dieses Albums, den man nicht weiter vermissen würde. Dagegen begeistern deepe Tracks wie "Soundtrack Of Now" jedesmal wieder von neuem. Techno, House, R’n’B nach links gedreht, Dub über Kopf und sexy Monologisieren – Kittin kriegt das alles hin und hält es trotz entschiedener Diversifikation zusammen.
Auf dem Cover sieht man Madame Hervé übrigens beim Meditieren: "Inhale" steht auf dem der Kamera abgewandten tätowierten rechten Oberarm (der Tradition des Yoga - rechts ein, links aus - folgend), "Kettenhund" liest man auf ihrem Ansteckbutton. Das von so viel Intimität verblüffte Ausatmen überlässt sie dem Hörer.