Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

Juli 2004
Christina Mohr
für satt.org


The Cure:
The Cure

Geffen 2004

The Cure: The Cure (Geffen/Universal 2004)
   » amazon
   » www.thecure.com

The Cure

Rückkehr der Gothic-Heulsusen oder was? Das neue Album von The Cure präsentiert die Band um Robert Smith in alter und neuer Frische und widerlegt alle Vorurteile.




The Cure-Logo

The Cure 2004

Bei oberflächlicher Betrachtung eignen sich The Cure wunderbar als Zielscheibe für Spott und die Verbreitung von Mißverständnissen. Und natürlich kann man es lächerlich finden, wenn ein 45-jähriger Mann mit Vogelnestfrisur, schwarzen Klamotten und verschmiertem Lippenstift wiederholt behauptet, mit Grufties gar nichts am Hut zu haben und auch gar nicht verstehen kann, weshalb man ihn immer wieder in diese Kategorie einordnen will. Ebenso kann man sich über die Weltschmerztexte und Robert Smiths‘ gequälten nörgelnden Gesangsstil lustig machen (wie z.B. der Redakteur des Stern, der vom "Comeback der Heulsusen" spricht). Weil die Pop-Welt Etiketten braucht, wurde sich zumeist an Mr. Smith‘ optischer Erscheinung orientiert und The Cure zur Speerspitze des Goth-Rocks erkoren (Fakt ist, daß Robert Smith bis heute Heerscharen von Zillolesern und –leserinnen als stilbildendes Rolemodel dient, tja, damit wird er leben müssen).

Viel einfacher wäre es, The Cure einfach als das zu begreifen, was sie sind (und auch in ihren Anfangsjahren ohne wilde Frisuren schon waren): eine Band, die es in ihrer immerhin 25-jährigen Geschichte geschafft hat, eine eigene Marke zu bilden, sich nie an anderen Gruppen orientierte, sondern vielmehr Vorbild für hunderte Epigonen ist. Man kann Cure-Fan der frühen, rauhen, eher Punk-beeinflußten Platten (Seventeen Seconds; Boys don't Cry) sein oder dem melancholischen, aber dennoch poppigen und schwer erfolgreichen End-Achtziger-Album "Disintegration" verfallen sein; selbst wenn man des ganzen Weltschmerzes schon immer überdrüssig war, kann man noch einen ganzen I-pod mit den unwiderstehlichen Tanzbärhits von Cure bestücken, ich sag nur "Love Cats", "In Between Days", "Why Can't I be You", "Friday I'm in Love", "Close to me", "The Walk", etc.pp.

Und noch ein Mißverständnis gilt es auszuräumen: Auch wenn es sich viele nicht verkneifen können, von einem "Comeback" zu sprechen, waren The Cure niemals wirklich weg vom Fenster; es gab zwar längere Schaffenspausen, die letzte reguläre Studioplatte, Bloodflowers" ist von 1999, dennoch waren The Cure häufig live zu sehen, veröffentlichten B-Seiten-Compilations, Greatest-Hits-Sammlungen oder Konzertvideos. Sowas machen alle abgehalfterten Ex-Superstars? Jahhaa, aber hört Euch bitte mal das neue Werk an: Der schlichte Titel "The Cure" macht Sinn, da die Platte sowas wie die Essenz des Cure-Schaffens präsentiert. Die Welt ist schrecklich, aber auch schön, das weiß Robert Smith und deshalb werden auf der neuen Platte wie immer scheinbare Gegensätze wie fröhlicher Pop und melancholisch-depressive Düsternis zu einer ganz selbstverständlichen Mixtur, dem typischen Cure-Sound eben, verarbeitet. Auffallend ist die partielle Hardrockigkeit der Band, was daran liegt, daß man den Produzenten Ross Robinson ins Studio geholt hatte, der sich ansonsten um Nu-Metal-Spackos wie Limp Bizkit oder Mummenschanz wie Slipknot kümmert. Robert Smith gibt zu, daß es ihm nicht leichtgefallen ist, die Verantwortung im Studio jemand anderem zu überlassen, zumal trotz der beeindruckenden Bandhistorie Robert Smith die einzige feste Cure-Größe ist. Mit all seinen Mitstreitern hat er sich in regelmäßigen Abständen schwer verkracht, sie aus der Band geworfen und zum Teil wieder ins Boot geholt; von daher kann man es getrost eine große Leistung nennen, daß auf dem neuen Album alle Musiker vereint sind, die auch auf der letzten Studioplatte "Bloodflowers" zu hören waren, inklusive Simon Gallup, einem Cure-Mann der ersten Stunde.

Das von Robinson verordnete Verfahren, alle Titel live im Studio einzuspielen, hat für ein überraschend frisches Ergebnis gesorgt, das an keiner Stelle nach Vermächtnis oder Alterswerk klingt. Der erste Song "Lost" offenbart die Robert Smith'sche Orientierungslosigkeit und Verzweiflung, die ihn bisweilen heimsucht:

"I can't find myself/ I can't find myself / I can't find myself / I can't find myself / in the head of this stranger in love/ holding on given up / to another faded setting sun / and I wonder where I am … / could she run away with him? …"

Die Single "The End of the World" ist ein Cure-Hit par excellence, der auch auf "Kiss me, Kiss me, Kiss me" von 1987 gepaßt hätte: eine bezaubernde Melodie, die nur zu leicht darüber hinwegtäuschen kann, daß es in diesem Song um das Ende einer Liebe, eine Trennung, eben das "Ende der Welt" geht: "Go if you want to / I never try to stop you know there's a reason / For all of this you're feeling low / It's not my call / You couldn't ever love me more …"

Auf "Taking Off" entlockt Robert Smith seiner Gitarre diese einzigartig perlenden Töne, die schon vor vielen Jahren Hits wie "In Between Days" so unwiderstehlich machten, ein Song wie "Labyrinth" fängt die bedrohlich-klaustrophobische Stimmung ein, die auf monolithischen Depri-Brocken wie "Pornography" dominierte. Ein Album wie "The Cure" zeigt, daß es sich lohnt, Mißverständnisse auszuräumen und Vorurteile zu überwinden. Zum Beispiel, daß The Cure Gothic-Dinosaurier seien – lächerlich. Die fangen gerade erst richtig an.