Leslie McKeown:
Rollermaniac
Filzläuse unterm Schottenkaro
Ich war ja nie ein Rollers-Fan. Als Kind in den Siebziger Jahren berührte mich die Schottenkaro-Kostümierung der Band eher peinlich, ich stand mehr auf Smokie. Mein Vater hingegen dachte, dass ich als kleines Mädchen natürlich BCR-Fan sein müsste und schenkte mir die LP "Once Upon a Star", die ich desinteressiert entgegen nahm und Jahre später an einen Klassenkameraden verscherbelte. Schön blöd. Die Rollers waren ein Phänomen, wie es vorher und nachher in der Popwelt nicht mehr auftauchte. Klar, es gab schon die sogenannte Beatlemania, aber die Rollermania der Mittsiebzigerjahre definierte eine neue Kategorie von Fan-Hysterie. Trauben von sexwilligen Mädchen vor Hotelzimmern, eingetretene Türen und am Abheben gehinderte Hubschrauber standen auf der Tagesordnung. Auch wenn gewissenhafte Chronisten auf die Beatles, die Monkees und was weiß ich noch wen verweisen, ist es legitim, die Bay City Rollers als die erste Boygroup überhaupt zu bezeichnen. Die Rollers schufen den Archetypus, dem so viele Epigonen wie Take That, die Backstreet Boys und natürlich New Kids on the Block folgen sollten (in ehrerbietigem zeitlichen Abstand versteht sich; außerdem mußte nach den hysterischen Siebzigern erstmal Ruhe bzw. Coolness in Form von Wave, etc. einkehren).
Von Manager Tam "Tatty" Paton als ewig grinsende Saubermänner präsentiert (bei Pressekonferenzen bekamen die Jungs reglmässig ein Glas Milch hingestellt), brodelte es unter der glatten und quietschsauberen Oberfläche gewaltig. Sex, Drogen und Ausschweifungen aller Art bestimmten das Leben der Schotten. Die Bandmitglieder wechselten häufig, der Gründe waren viele: zu hohes Alter, Herz- und Nervenschwäche zum Beispiel.
Die Musik? Ach ja, die gab es auch, gefälliger Bubblegum-Pop, dem Zeitgeist geschuldet (kennt noch jemand die Rubettes, Hello oder Kenny?), einige schöne Hits wie "Bye Bye Baby" oder "You Made Me Believe in Magic", sind im Gedächtnis geblieben. Angeblich spielten die Rollers ihre Instrumente nicht selbst, jedenfalls nicht im Studio: um Zeit und Kosten zu sparen wurden erfahrene Musiker engagiert, lediglich Les McKeown sang selbst. Angeblich. Auf der Bühne war's egal, das Gekreische der Mädchen machte es eh unmöglich, etwas von der Musik mitzubekommen (auch die Beatles litten seinerzeit sehr unter ihren undisziplinierten Fans.)
Die Rollers können sich bis heute über eine treue Fangemeinde freuen (siehe diverse Fan-Webseiten), viele Bücher sind über die Band geschrieben worden, und nun also die Autobiographie von Leslie McKeown, der offenbar das Gefühl hat, er müsse das eine oder andere Gerücht geraderücken; ausserdem wartet er noch immer auf Millionen, nein, Fantastilliarden, um die ihn die Plattenfirmen betrogen haben.
Les McKeowns Image ist das des Bad Boy, immerhin hat er mit 19 eine Oma totgefahren, mit 20 einen Fan angeschossen; Drogen, ausschweifender Sex, und Alkoholexzesse runden die Palette ab. Außerdem stammt er aus einfachen Edinburgher Verhältnissen, drei Brüder, die wie er allesamt wilde Jungs waren und den Eltern nicht nur Freude bereiteten, wie man seinen Ausführungen entnehmen kann.
Die Warnung zu Beginn der Biographie verspricht: "Das Buch, das Sie zu lesen im Begriff sind, enthält deftige Kraftausdrücke und Passagen von eindeutig sexuellem oder gar gewalttätigem Inhalt. Viel Spaß damit!" Nun ist Les McKeown kein Marquis de Sade, aber er versäumt es natürlich nicht, auf seine zahlreichen, wenn nicht unzählbaren Sexabenteuer hinzuweisen, Worte wie "bumsen" und "Scheiße" finden sich in "Rollermaniac" häufiger als in John Lydons a.k.a. Johnny Rottens Buch "No Irish, No Blacks, No Dogs" und auch die Filzläuse einer Münchner Verehrerin finden Erwähnung.
Les erzählt seine Geschichte von Anfang an, überraschenderweise sang er vor den Rollers bereits in einer Band namens "Threshold", die er 1973 wegen BCR verliess. Für Fans ist natürlich die Zeit von 1974 bis 1979 am bedeutendsten; Les McKeown plaudert aus dem Nähkästchen und genießt die Seitenhiebe, die er austeilt, vor allem an den Bandkollegen Eric Faulkner, der sich als Rollers-Gitarrist offenbar künstlerisch unterfordert fühlte. Die Animositäten der Rollers untereinander führten dazu, dass Les gegen Ende seiner Bandmitgliedschaft eigene Bodyguards hatte, weil er sich innerhalb seiner Band nicht mehr sicher fühlte. Er selbst wurde so misstrauisch (= paranoid), dass er in den Hotelzimmern der anderen Rollers Wanzen anbringen liess, um mithören zu können, was sie über ihn lästerten. Genüsslich reitet Les auf der Eifersucht – vor allem von Eric Faulkner – herum, da er als Sänger ja schließlich automatisch im Rampenlicht stand, konnte er ja auch nichts dafür, wenn sich das mit den Egos der anderen nicht vertrug. Aber es schimmert durch, dass er für seine Kollegen ungefähr so angenehm wie ein Furunkel am Hintern gewesen sein muss.
Als ausgesprochenem Womanizer fühlte sich McKeown verletzt durch die Bestrebungen des Managers Paton, homosexuelle Fan- und Käuferschichten für die Rollers zu erschliessen. An mehreren Stellen im Buch äussert Les mehr oder weniger unverhohlene Abscheu gegen das schwule Image, seine Ablehnung wird verständlich, wenn man bedenkt, dass Tam Paton dafür bekannt war, all seine stets männlichen Schützlinge zu betatschen und – viel schlimmer – wegen Verführung Minderjähriger angeklagt wurde.
Es gibt aber auch einiges zu lachen in "Rollermaniac", zum Beispiel wenn McKeown nicht ohne Selbstironie beschreibt, welches Bauchweh ihm das Aufkommen von Punk bereitete. In Konkurrenz zu Punk erschienen Gruppen wie die Rollers natürlich unglaublich lächerlich und uncool, das Ende der Teeniebopper war besiegelt. "Der Erfolg von Punkrock trug aber nicht gerade dazu bei, dass ich mich in meinem Job sicherer fühlte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich selbst mit den Punkgrößen um die Wette spucken und kotzen würde. Aber dann wurde mir rasch klar, dass das hoffnungslos war, und ich trank brav mein Glas Milch aus." (S. 193)
Das Buch ist voll mit Anekdoten, Selbstbeweihräucherung, Apologien, Beschuldigungen, Les schont weder sich, noch seine Mitmusiker, noch die Leser. McKeown knabbert immer noch an seinem Image als Teeniestar, durch häufiges Erwähnen von crediblen Namen wie Irvine Welsh oder David Bowie will er zeigen, dass er mehr ist als "just a pretty face". Seine Versuche, als Solokünstler erfolgreich zu sein, scheiterten. Er konnte zwar in Japan an vergangene Rollers-Erfolge anknüpfen, der Rest der Welt war ihm weniger wohlgesonnen. Ende der Achtziger Jahre bot ihm ein deutscher "Songschreiber und Produzent" (S. 240) fünf Songs an, von denen einer, "She's A Lady", in Deutschland in die Charts kam. Der Name des Produzenten: Dieter Bohlen.
"Rollermaniac" ist sicher keine Weltliteratur, aber streckenweise ein großer Spaß, die bubblegumbunten Siebziger blitzen aus jeder Zeile. Ich habe jedenfalls mehrere Nächte von karierten Zündappmofas geträumt. Fanpost, Discographie, Zeittafel und Link-Hinweise runden das Buch ab.
Apropos Boygroup, Parallelen zwischen Les‘ und Robbie Williams‘ Karrieren sind nicht zu leugnen. Was Robbie vielleicht nicht weiß, aber bedenken sollte: Les McKeown gehört heute ein Karaokeclub in München.