Kante: Zombi
Wie schon bei den ersten beiden Alben liegt auch hier wieder ein Konzept vor: Die Zwischentöne sind Kantes Thema, seien es Orte oder Tageszeiten, oder wie hier, auf engstem Raum des Körpers: die Haut.
Kante erinnern auf dieser CD wie noch nie vorher an die neuen Blumfeld. Ja, eigentlich könnte "Zombi" tatsächlich von Blumfeld sein. Das muss man so sagen. Und auch, wenn ich die letzte Blumfeld-CD nicht berauschend fand, meine ich das als großes Kompliment. Sänger Peter Thiessen, der ja sowieso von Blumfeld kommt, hat noch nie so schön gesungen wie auf dieser Platte hier.
Kante (Foto: Jeanne Faust) |
Und etwas ganz wichtiges unterscheidet Kante von Blumfeld: Sie verbreiten nicht den Gestus des "Alles-ist-gut", wie es die Band um Jochen Distelmeyer, jedenfalls auf dem jüngsten Album, tut – bei "Zombi" werden immer noch alle möglichen Schmerzen durchbuchstabiert und nichts ist wirklich in Ordnung. Auch und besonders wenn dieser Schmerz dann in den Körper integriert wird als etwas ihm eigenes (siehe "Schwaches Gift"). Sag es allen, wir sind frei: das käme einem wie Thiessen wohl schwer über die Lippen. Lieber versteht er sein eigenes Wort nicht mehr, wie im für mich stärksten Titel des Albums "Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen". Der Song scheint in einem wahnsinnigen Horror-Crescendo zu enden, das angenehm an "The Fall Of The House Of Usher" von Alan Parsons erinnert, findet dann aber doch wieder den Weg zurück zum ruhigen Ausklang – nach mehr als acht unfassbaren Minuten. Oder es wird bei "Wo die Flüsse singen", eigentlich ein Liebeslied, plötzlich das Bild eines Schlachthauses evoziert, das die drohende Kitschigkeit sofort unter Blut bedeckt. Der Titelsong ist ein gutes Beispiel dafür, wie man ein Wir-Gefühl produzieren kann ohne relevante Zielgruppe – wer will schon ein Zombi sein (dessen eigenwillige Schreibweise seine Hybridisierung betont, die Herkunft des Wortes aus dem Voodoo)? Und doch ist da etwas, ein Gefühl der Empathie bei solchen Zeilen: "Unsere Haut löst sich vom Knochen/ man kann die Nerven einzeln zählen", "tragen unser Innerstes nach außen/ und laufen rum wie ohne Haut". Immer wieder taucht diese Doppelbödigkeit des Grausamen auf: "Oder ähneln den Skeletten/ von Häusern im Entstehen" – Destruktion versus Konstruktion.
"Zombi" hat auch dieses "Plattengefühl", dass man noch aus den Vinyl-Zeiten kennt. Wo die A-Seite von einem geilen Stück abgeschlossen wird (gerne instrumental, wie hier mit dem 9/8-Reißer "Baron Samedi") und auf der B-Seite geht es weiter, wird der Faden wieder aufgenommen. Denn wie schon bei den ersten beiden Alben liegt auch hier wieder ein Konzept vor: Die Zwischentöne sind Kantes Thema, seien es Orte oder Tageszeiten, oder wie hier, auf engstem Raum des Körpers: die Haut. Immer wieder kehren die Texte zu diesem sehr intimen Organ zurück. Die Haut als Körpergrenze, aber eben auch gleichzeitig als einzige Möglichkeit, jemand anderen zu berühren.
Die Songs wiederum berühren sich ebenfalls auf verschiedenste Weise, mal durch die Wiederaufnahme einer Songzeile, mal durch sich ähnelnde Harmonien und Akkordfolgen. Ebenso korrespondieren die beiden eindringlichsten Songs – "Schwaches Gift" und "Ich kann die Hand …" als jeweils zweiter Song je einer Plattenseite. Man fühlt sich seltsam getragen durch diese Stunde Musik, alles ist seltsam symmetrisch. Mehr als auf ihren bisherigen Werken haben Kante das Spielen von Instrumenten in den Vordergrund gestellt und das tut den Songs, die von der weichen Stimme Thiessens beherrscht werden, gut. Der Anteil an jazzigen und außereuropäischen Einflüssen ist hoch ("Moon, Stars And Planes", "Baron Samedi"), das Elegische kommt zu ernsthaften Ehren ("Schwaches Gift"), aber mit dem Titelsong oder "Wenn man im Atmen innehält" ist auch großer Pop dabei. Ein Album, das in der deutschen Musiklandschaft monolithisch und stolz seine Schatten wirft.