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Im satt.org-Interview erzählt F.S.K. Mitglied Thomas Meinecke über musikalische Wandlungsfähigkeit ohne sich untreu zu werden, die seltsame musikalische Sozialisation mittlerer Jahrgänge, Queerness im Hip-Hop, die Entwicklung der deutschen Radiolandschaft und einiges mehr. F.S.K gibt es jetzt seit über zwanzig Jahren. Ihr feiert wahrscheinlich nächstes Jahr euer 25jähriges Band-Jubiläum.
Das ist so ein Journalistending. Mir bedeutet es nicht so viel. Die Einschnitte sind eher stilistischer Natur. Es könnte sein, dass es bei unserem nächsten Album wieder einen anderen Ansatz geben wird und das markiert bei FSK eher Abschnitte. Meistens ist es verbunden mit dem Verlust eines Publikums oder eines Großteils des Publikums und der Spannung, ob man die Nächsten wieder kriegt. Leute über 30 wollen nicht mehr herausgefordert, sondern bestätigt werden. Wir sind eine Band, die sich publikumsmäßig immer wieder häutet. Was ich immer angenehm finde, auch bei euch, dass manche Künstler altern aber trotzdem immer etwas Neues machen, dass sie nicht abschalten und von ihrer Vergangenheit leben.
Bei der letzten Tour hatten wir ein extrem junges Publikum. Da waren wirklich Leute, die sonst eigentlich eher abstraktere Musikformen gerne hören. Das hatte irgendwie voll hingehauen, dass die mit den Signalen, die wir mit der Musik setzten, vertraut waren. Jetzt haben wir auch diesen Effekt, dass das aktuelle Album ziemlich viel in Feuilletons rezipiert wurde. Ich glaube, es liegt auch daran, dass wir diese Zusammenarbeit wie schon vor 14 Jahren zum ersten Mal mir Amerikanern angepeilt haben als wir damals, 1990, zum ersten Mal ein Album in den USA aufnahmen. Jetzt war es auch so, dass es ganz viele Berichte gab in der Richtung "Hey, Afro-Germanic. Da sind deutsche Milchbuben, die sich mit einem aus der Hood in Detroit zusammentun", was natürlich auch irgendwie stimmt und was ja auch ein interessantes Thema ist, es ist aber auch ein interessantistisches Thema. Für Feuilletonisten wie gefunden. Wir müssen uns damit vertraut machen, dass wir langsam in eine gewisse Zeitlosigkeit , Feuilletontauglichkeit, die mir eigentlich suspekt ist, geraten sind und müssen aufpassen, dass man sich nicht so geriert wie die Einstürzenden Neubauten. Wie meinst Du das?
Einfach diesen hochkulturellen Staffelstab mit Begeisterung aufnehmend einen zeitlosen Goethe-Institut-tauglichen Link setzen. Ich hab die mal super gemocht. Es ist ja auch eine wichtige Band. Ich denke mal, dass so was wie bei denen bei uns sowieso nicht passieren kann. Das bleibt bei uns immer so obskur. Gerade die Goethe-Institut Leute finden F.S.K immer wieder einfach nur dilettantisch. Es sind keine großen Themen. Es ist nicht das, was Du so auf Tour schickst. Aber Leute wie Pyrolator haben doch auch was fürs Goethe- Institut gemacht, den würde ich jetzt auch nicht bei der Hochkultur ansiedeln.
Ja, es haben viele tolle Leute was für das Goethe-Institut gemacht. Die Elektronik-Schiene ist da ein bisschen ausgenommen. Das wird anders, wie man gerne heute sagt, kuratiert. Auch Hans Nieswand ist viel mit Goethe um die Welt gekommen oder Thomas Fehlmann , die ich alle schätze. Wir waren da, glaube ich, immer zu banal. Beim Bandwesen wird goethemäßig immer etwas genommen, das etwas Erhabenes im Programm hat. Also auch eher repräsentativ.
Ja, auch ein bisschen die deutsche schwere Kost. Oft Feuer und Eis und Bleche. So richtig leichte Kost seid ihr ja in dem Sinne auch nicht.
Wir haben uns nie gescheut, unsere Signale low zu kodieren, also immer sehr oberflächliches und banales Zeug wie Country- und Unterhaltungssachen mit einzubeziehen. Aber z.B. das kulturelle Verhältnis Popkultur USA und Deutschland auszutarieren hat doch schon eine Bedeutung.
Das hat für mich auch eine Bedeutung, aber es ist nicht so kompatibel. Es ist eher so popmäßig zu lesen. Die Pop-Leute haben das immer begriffen, das Feuilleton eher nicht und jetzt kommt plötzlich das Feuilleton bei uns an. Das hat sicher auch damit zu tun, dass einige von uns in der Band mit Bildender Kunst und Literatur zu tun haben, wo man dann so rüberechot mit dem anderen Zeug. Wie würdest Du eure musikalischen Anfänge beschreiben?
Als wir anfingen Musik zu machen, haben wir uns auf ganz vieles berufen, auf das sich Bands, die jetzt anfangen, als historischen Bezug auch wieder beziehen. Nennen wir es einfach mal so eine Art Post-Punk, New York-1980haftigkeit, No-Wave / New-Wave. Ich finde auch, man hat nie das Recht zu sagen: " Wie langweilig, das war ja schon mal da." Interessant ist ja der Twist, den der neue Approach der Sache gibt. Das kannst Du bei Bands wie Rapture ganz schön raushören. Da ist natürlich nicht nur so was wie Gang of Four im Gepäck, sondern auch so was wie House. Wir haben unsere alten Stücke noch mal aufgegriffen, weil wir einfach Spaß daran hatten. es hat ja auch eine Relevanz, die man nicht in Worte fassen kann. Wenn Dinge wieder aufgegriffen werden ist es meistens irgendwie berechtigt. Das findet man vielleicht beim Machen raus, was eigentlich der Link ist. Ihr habt ja danach noch viele Sachen bearbeitet, wie GI-Songs, Polka, Dancefloor, Techno. Wie findet ihr zu den Themen?
Ich glaube, die Themen finden eher zu uns, weil das immer was ist, was wir aufgreifen, was andere auch gerade aufgreifen. Als wir so was wie Folk oder Countrysachen aufgriffen, gab es gleichzeitig Bands wie The Mekons, in den USA die Meat Puppets. Es gab immer so etwas wie im weitesten Sinne Cow-Punk, Neo Folk. Ich glaube, die Themen werden einfach gestellt durch das, was in die Plattenläden kommt, was andere Bands auch machen. Wir waren immer eine Band, die sich mit Musik auf eine sehr rezeptive Weise beschäftigt hat. Das heißt in Plattenläden gehen, andere Bands hören, Revivals untersuchen, per Musik machen und einfach mal sehen, was passiert, wenn wir uns dieser Sache annehmen. Es gibt in den letzten zehn, fünfzehn Jahren mehr so eine Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem, so was wie diese Folk-Phase, die wir in den frühen 90ern hatten ist ja immer noch sehr virulent in Bands wie Fink oder Cow. Wir wurden dann wieder neugierig auf so etwas wie Mitte der 90er Minimal Techno und dachten: "Das ist ja interessant, was wird denn da eigentlich erzählt. Was würde denn passieren, wenn wir als Band unsere Instrumente da mal reinhalten würden." Immer wenn wir eine bestimmte Sättigung in einer bestimmten Richtung erreicht hatten, kam das so, speziell durch das Feedback, das wir wiederum erfahren hatten. Da gab es speziell Mitte der 90er aufgrund unserer Adaption von Sachen, die andere als Roots-Music sehen würden auch teilweise Missverständnisse, dass wir vielleicht identitätsstiftend unterwegs wären. Was aber nicht so gemeint war. Wir hatten das Zeug immer popistisch auseinander genommen. Ob das Walzer, Polka, Cajun, Texmex, war ja gerade in dieser hybriden Form für uns interessanter, als es hier stattfindet als Walzer oder Polka. Und das dann wieder zurückzuholen und die Differenzen auszuloten war für uns immer interessanter, als die Musik in ihre Mitte zu bringen. Da gab es dann plötzlich komische Rezensionen, so wie " Jetzt haben sie ihr Ding gefunden und arbeiten mit original deutschen Ingredienzien". Das ist ja nichts, was jemand, der bei F.S.K. spielt, gerne hört. Dann sind wir schnell wieder auf und davon. Oft sind es die Reaktionen von anderen, die einen dann auf das, was man eh schon in seinen Plattenkisten stehen hat, greifen lässt und sagen: "Jetzt lass uns doch mal das probieren" Wir hören alle wahnsinnig gerne jetzigen R&B. Die Produktionen sind ja teilweise sensationell. Was da ausgelotet wird an Beats und Grooves, was auch wieder gelernt hat bei Elektronik und trotzdem mit so Sachen wie dem klassischen Soul-Subjekt versetzt, hat uns sehr gereizt. Das haben wir in den letzten Jahren mehr noch als House auf unsere Musik wirken lassen. Es ist immer so ein Musikmachen als Musikhörer. Wie seit ihr denn zu Anthony Shakir gekommen, der mit euch eure neue Platte mitproduziert hat?
Der ist mir auch erst seit Mitte der 90er ein Begriff. Es gibt ihn schon seit Ende der 80 er Jahre als produzierenden Detroiter Technotyp auch der ersten Generation. Richtig zum Zuge kommt er erst in den letzten zehn Jahren. Er hat ein auch ein eigenes Label namens Frictional, hat aber auch aber auch auf klassischen Detroiter Techno-Labels wie Metroplex tolle Platten gemacht. Er kam mir erstmals persönlich vor die Augen, als er Mitte der 90er im Ultraschall-Club in München, den es jetzt nicht mehr gibt, eines Abends DJ war. Ich war völlig begeistert von seinem Auflegen. Es war Techno, aber es war deep und sehr soulful, es war sehr groovy, es war das was, wenn man in Techno-Lexika nachliest, der Link von Techno zu Vorläufern wie P-Funk wäre. Wirklich Soul, wirklich Funk, trotzdem maschinenproduziert – große afro-amerikanische Kraftwerkexegese. Das hat der Typ so dermaßen verkörpert, sodass wir, als wir Lust hatten, unsere Musik mal wieder einer Instanz von außen auszusetzen, wie wir es Anfang der 90ern mit David Lawrey /Camper van Beethoven gemacht haben. Wir wollten es mit jemandem machen, der mit der Musik, die wir jetzt seit einiger Zeit machen als Primär-Artist vertraut ist. Da fiel uns Anthony "Shake" Shakir komischerweise als erstes ein, weil er nicht so ein Name ist, der zu hip wäre, dass jetzt alle denken würden "kennt jeder, die wollen sich da jetzt anhängen". Das wäre auch ein blöder Move. Wir wollten schon das Risiko dabei haben, dass man jemanden hat, den wir alle nicht persönlich kannten und von dem wir nicht wissen würden, wie er das, was wir da machen, finden würde. Es war einfach ein Experiment, ein bisschen masochistisch, ein bisschen selbstquälerisch. Wie fand er denn eure Musik?
Er fand es gut, er fand es teilweise rätselhaft und teilweise auf eine tolle Art etwas völlig anderes, als das, was er macht und manchmal auch korrespondierend mit dem, was er macht. Gerade da, wo wir dachten, das sei von uns so richtig für ihn hingefriemelt, ein Track namens Tiger Rag, war der einzige, zu dem er gar keine Idee hatte. Das hatte eine ganz gerade Bassdrum und war für uns so ein klassischer Techno-Schranz-Hammer, als Band gespielt, was ja bei uns heißt, dass die Schrauben lose sitzen und dass es nicht ganz so ist, wie ein programmiertes Stück Techno. Da hat er gemeint, das sei ja eher eine Polka. Das war ein tolles Missverständnis, weil er da rausgelesen hatte, was ein Teil unserer Geschichte ist, nämlich Polka gespielt zu haben. Wie hat "Shake" Shakir denn mit euch gearbeitet. Er hat doch vorher bestimmt mit viel Elektronik und einem großen Studio gearbeitet mit vielen Hilfsmitteln und Gimmicks und eure Musik ist doch eher etwas reduziert.
Es war witzigerweise genau andersrum. In Weilheim im Uphon-Studio, in dem wir die letzte Platte gemacht haben, steht ein unbezahlbares Mischpult, bei dem richtige Cracks feuchte Augen kriegen. "Shake" kam dann nur mit seinem Sampler angeflogen. Er hat alle seine Platten nur auf einem Sampler gemacht und noch nie so ein Studio richtig gesehen. Insofern war das ein Missverständnis, dass wir dachten, der greift jetzt mal gleich in die Knöpfchen und sagt, das geht soundso und machen wir mal hier dasunddas, weil wir dachten Producer im Sinne von Techno hieße, dass man mit Studios umgeht, was natürlich Quatsch war. Die Leute sitzen ja eher auf ihrer Bettkante zu Hause, entweder mit einem Laptop oder mit einem fetten Sampler wie die Hip-Hop-Produzenten. Shake kam mit so einem Sampler angereist und hatte keine Ahnung von so einem Studio. Daher kam es, dass er nicht ganz die Rolle in dem Prozess ausfüllte, die wir uns vorgestellt hatten mit ihm als Produzenten, auch wenn es eine gewisse Nachträglichkeit hatte. Die Spuren waren schon alle im Kasten, es ging nur um den Mix. Er hat es dann eher so gemacht, dass er dazu zum Teil gespielt hat. Er hat teilweise sich wie ein sechster Musiker hingesetzt, die Bänder laufen lassen und mitgespielt. Zum Teil hat er aber auch die Aufnahmen von innen ausgehöhlt, indem er den Rhythmustrack, sagen wir mal die Bassdrum, sich einzeln vorgenommen, in seinen Sampler gefüttert und die einzelnen Beats verschoben hat. Unter uns, die wir ursprünglich vielleicht zu einer geraden Bassdrum gespielt haben, war das Ganze total funkyfiziert, durch Verschiebungen, die wir nicht voraussehen konnten, die uns aber jetzt wieder zu Blueprints wurden für die Live-Aufführungen. Dann gab es das mit dem etwas modifizierten Beat, wo er einstieg und die Beats einfach noch afrofizierte. Sachen, die wir uns nie hätten ausdenken können, die wir aber lieben an Sachen wie R&B, sehr ungerade Beats und so Geschichten. Mich hat es gewundert, als ich gelesen habe, dass ihr mit einem Techno-Produzenten zusammenarbeitet. Für mich war F.S.K. immer etwas Raues, nicht perfektionistisch. Und dann kommt jemand, der mit Maschinen arbeitet, digital. Da war ich gespannt, wie das werden wird.
Wir eben auch. Das war nicht absehbar. Es war nicht so, dass man völlig auf Nummer sicher hätte gehen können. Das hätte auch völlig schief gehen können. Das Raue findet man aber auch auf seinen Platten. Sie sind irgendwie derb. Hart aber herzlich. Die sind auch nicht so richtig geschliffen. Es stimmt aber, es sind Maschinen, die die Dinge reproduzieren. Es ist aber nicht in dem Sinne digital. Es ist nicht mit Klötzchen schieben auf dem Laptop geschehen, sondern durch sich wiederholende Sequenzen aus diesem Sampler. Es ist schon ein bisschen rauer, aber trotzdem auch viel akkurater als bei uns. Er hat ja auch ein Faible für das Ungerade. Er ist ein ganz großer Fan von Ringo Starr als Drummer. Er schätzt nicht nur die knallharte Maschinenhaftigkeit sondern auch die Sloppiness von Dingen. Ihr macht ja mit F.S.K. euere Sache unabhängig von kommerziellen Einflüssen. Glaubst Du, dass es für solche Musik in Zukunft noch eine Plattform geben wird, gerade vor dem Hintergrund, dass sich z.B. immer mehr Radiosender dem Mainstream anpassen? Beim Hessischen Rundfunk wird "der Ball ist rund" mit Klaus Walter zu HR2 verschoben die Musiksendung "schwarzweiß" ist ganz aus dem Programm genommen worden. Es gibt also immer weniger Möglichkeiten so etwas öffentlich zu präsentieren.
Es ist ja eh verrückt, dass ausgerechnet hier beim Bayerischen Rundfunk so etwas wie der Zündfunk existiert, wo man so etwas machen kann. In anderen fortschrittlicheren Bundesländern ist so etwas wie ein Jugendfunk oft schon ganz abgeschafft oder zur Dudelwelle umfunktioniert wurde, wo einfach alles dufte ist, sich aber nichts mehr irgendwo dran reiben darf. Insofern spreche ich ja als einer der Glücklichen, die hier beim Zündfunk schon seit Ewigkeiten Musiksendungen machen können. Klaus Walter beim Hessischen Rundfunk war ja so etwas ähnliches bisher mit seinem Ball ist rund auf HR3 aber eben als eine völlige Einzelfigur ohne Redaktion um ihn herum. Wir sind ja immerhin rund zehn Musikmacher, die sich abwechseln und täglich so eine Sendung haben. Er war immer ohne eine Art Umfeld, das ihn hätte schützen können. Das Verrückte war, dass Klaus Walter auf HR3 ja auf der populäreren Welle war, während wir mit dem Zündfunk schon immer auf Bayern 2 bei dem Minoritären-Kulturprogramm untergebracht waren, was ich immer als Glücksfall betrachtet habe, weil ich immer gedacht habe, wenn wir jetzt auf Bayern3 wären, müssten man wirklich die Charts spielen, sozusagen gängiges Zeug, das den Autofahrer nicht an die Leitplanke bringt oder sogar schlimmer noch: Staumeldungen durchgeben. Insofern war die Nische immer ganz angenehm und ich hoffe, dass er jetzt die Nische auf HR2 aufrecht halten kann. Wir machen im Moment auch ein Buch zusammen mit Frank Witzelder, einem interessanten Romanautoren. Wir haben schon mehrere Tage zusammen gesessen, von morgens bis abends geredet und das aufgenommen. Frank Witzelder tippt das ab. Das kommt nächstes Jahr als Buch heraus über unsere ganz besonders merkwürdige Popsozialisation. Wieso war die merkwürdig?
Wir sind durch unser 1955-geborensein in dieser klassischen Falle oder Lücke zwischen Hippie und Punk zu uns selbst gekommen. Man war als Punk kam, schon 21 und als Hippie kam, erst 12. Das gab eine ganz eigentümliche Sozialisation, die nicht so vorhersehbar war, wie bei anderen, die so richtig mit Woodstock oder mit den Sex Pistols oder später mit Techno zu ihrer Zündung gelangten. Bei uns war das alles so erratisch, diese 70er Jahre und wie man damit auskam. Das Buch beginnt auch mit der Frage: "Wie war es denn, als ihr den ersten langhaarigen Mann gesehen habt?" Da gab es das Modell noch nicht, die Männlichkeit zu brechen durch lange Haare. Bei Klaus Walter ist ja wie bei mir so ein ganz starkes Interesse an so einer Queer-Thematik aus einem heterosexuellen Umfeld heraus. Er führt wie ich ein normiertes Sexualleben, aber es gibt ja in der Popkultur die Frage, die sich dauernd stellt, durch Disco, durch Roxy Music, durch alles mögliche. Diese Queer-Geschichte ist der Hauptantriebsmotor der Popmusik. Zumindest auf der weißen Seite. Die Chance des weißen Mittelstandsjungs auch eine unmittige, nicht zentrierte Position zum Ausdruck zu bringen. Da forscht er genauso rum. Da ging's gleich um die Kinks, später dann natürlich so was wie Bowie. Ich war ja als Bowie 1972 auftauchte 17 Jahre alt. Das waren Fragen, die sich so stellten, auf einer fast diskursiven Ebene. Was wird denn hier ausgeactet gegenüber dem normalen Rockmodell, was immer ein ganz klares phallozentrisches Modell war? Das war eben Pop und Klaus ist auch so jemand, das zieht sich so durch: Roxy Music, Go-Betweens, jetzt mag er diesen Patrick Wolf sehr gerne. Welche Rolle spielt denn Queerness in der heutigen Popmusik? Die bei Jugendlichen beliebtste Musikart ist doch Hip-Hop. Was da als Vorbild dient sind doch diese Hip-Hopper, die eine völlig überzogene Männlichkeit darstellen. Da ist das Alpha-Huhn mit Goldkettchen in der Mitte und drumrum irgendwelche Chicks, die mit dem Hintern wackeln. Das ist doch heute für viele identitätsstiftend.
Hip-Hop bietet da nicht soviel an. Aber der queere Typ bei Hip-Hop ist ja Andrew 3000 von Outkast. Ich kenne nur das eine Lied. Was macht den so queer?
Seine ganzen Bezugnahmen, das Ganze innerhalb des Rahmens Rap mit Streichorchestern und gesungenen Vocals, Musicalanspielungen. Das Interessante am Queeren ist ja das Queere des Normativen, also nicht so sehr, dass man jetzt schräg abgeht und dass es wirklich eine Gay Subculture ist, sondern auch wie im Heterobereich etwas Queeres ästhetisch zünden kann. Andrew 3000 hat ein Kind mit Erika Badou(ng). Es interessieren ihn schon die Frauen. Er hat seine Männlichkeit quasi von der Weiblichkeit abgeleitet oder von queeren Modellen. Mich persönlich hat Hip-Hop nie so interessiert. Das was man kennt oder neu sieht ist immer recht ähnlich. Der Typ mit seinen Chicks. Das ist auf die Dauer ermüdend.
Es gibt ja verschiedene Arten, entweder das zu durchbrechen oder es anders zu lesen. Ich habe mal bei Radio X (Nichtkommerzieller Radiosender in Frankfurt / M.) mit Felicia Herrschaft darüber geredet, dass sie fand, dass die "Bitches" in Video-Clips von Hip-Hop Stücken nicht nur zu beschriebenen, sondern selber zu sprechenden Frauen werden können. Ich fand das Gespräch interessant, weil ich es auch nur ganz schwer so sehen konnte aber sie da mit feministischem Besteck rangegangen ist. z.B. der Clip zu dem Remake von "Lady Marmelade" mit Christina Aguilera, bei dem Missy Elliot für Regie und Produktion verantwortlich war. Dieses Stück, was ja wie aus der Peep-Show wirkte, auch so lesen zu können wie: "Hier sind Frauen autonom, die drehen die Kamera um", die sind jetzt selbst die Kamera, die haben jetzt den Blick, wir kucken die jetzt nicht an, sondern die kucken uns an. So kann man das ja vielleicht auch lesen, ich glaube aber auch, dass es in den meisten Fällen genau andersrum ist. Hier ist eine totale Machosichtweise und da die Chics, die gebucht werden, um sich am Swimmingpool zu gruppieren. Aber wenn man es überhaupt schaffen kann, das Muster zu durchbrechen, dann indem man es überschreibt, indem man die selben Bikinis verwendet, die selben Signale aber die Kamera umdreht. Das wäre die politische Vision, die man dabei haben könnte. Oder in diesem ganzen R&B, was ja doch sehr nah an Hip-Hop gebaut ist, verhandelten weiblichen Subjekte, die plötzlich selbst singen. Es singen ja fast immer Frauen und die Männer stöhnen im Hintergrund. Da hat sich das schon umgedreht. Oft sind es die Produzenten wie Timberland, die im Hintergrund stöhnen. Du hast ja auch gesagt, dass Du keine sozialen Visionen im Hip-Hop erkennst.
Ich habe mich z.B. daran erinnert, wie Shake Shakir, als jemand, der in einer Nachbarschaft wohnt, in der nur Hip-Hop läuft, sein Bruder macht Hip-Hop, die ganzen Freunde machen Hip-Hop und ein Technoproduzent ist, eines Unmännlichkeitsvorwurfs ausgesetzt ist in seiner Gegend. Das ist ja nah an House gebaut und House ist für die eine gaye Subculture. Als jemand, der tatsächlich viel in House-Clubs auflegt, ist Shake es auch gewohnt, mit allen möglichen sexuellen Praktiken konfrontiert zu sein. Nicht als Praktizierender aber mit den Leuten, mit denen er umgeht und dadurch auch ganz sensibel gegenüber Sachen wie nicht nur Frauenfeindlichkeit in Hip-Hop, sondern auch Homophobie, die ihn anekelt in Hip-Hop-Texten. Die Technojungs sind in der Gesellschaft suspekt. Die sind eher introvertierter, die sind so was ähnliches wie die Jazzleute in den 50er Jahren gegenüber den harten R&B-Leuten gewirkt haben. Andrew 3000 macht ja in diesem Sinne keinen Hip-Hop, siehe "Hey Ya".
Das ist ein Pop-Song. Fast Roxy Music. Es ist ja eine Tendenz, dass viele öffentlich-rechtliche Sender sich dem Formatradio anpassen und zum Dudelfunk werden. Wollen Leute so was grundsätzlich oder sind die schon so programmiert und erzogen, dass sie nur so etwas wollen?
Das wäre natürlich die traurigste Version und auch Vision und ich glaube, es ist leider schon viel davon eingetreten ist, dass die Leute gar nicht mehr eine Vorstellung von dieser anderen Musik, die da sein könnte, haben. Ich sehe das ja an meiner Tochter, sie ist jetzt 14, und ihren Freundinnen. Die kennen aus dem Bereich House nur das, was auf Viva kommt. Das ist ja die schrecklichste Autoscooter-Musik. Das sind dumpfe Endvierziger, die mit Maschinen wirklich nur Meterware für dumpfe Kirmestechno-Events herstellen, sich dann für die Kamera ein bisschen Wetgel ins Haar schmieren und damit auftreten. Das ist was ganz, ganz Trauriges. Völlig abseits dieser Oberfläche existiert eine aufregende Musikszene, die aber keine wirtschaftliche Power hinter sich hat, sondern mit Maxis, die in 500er Auflage erscheinen, in die Clubs geht. Wenn die Leute nicht wissen, das es auch intelligente Technomusik geben kann, werden sie sie auch nicht verlangen oder schlimmer noch, die dumpfe Technomusik verlangen. Das ist so ein selffullfilling Ding geworden dieser Radiobetrieb, dass nur das läuft, was man eh schon kennt. So ist ja auch diese Retortenmusik entstanden, die zum Teil gar nicht so dumm gemacht ist. Ein Lied von irgendeiner gecasteten Gruppe ist teilweise musikalisch interessanter, als es vor 20 Jahren irgendein Roland Kaiser Schlager gewesen wäre. Und diese Stelle hat ja so was eingenommen. Ich finde sogar, dass in der Hitparade relativ viel Zeug immer wieder dabei ist, von Typen, wo ich nie dachte, das da mal was Interessantes kommen könnte, nenne ihn Justin Timberlake, weil einfach tolle Songs von den Neptunes oder Timberland für den geschrieben wurden. Da ist plötzlich eine tolle LP, von jemand, der mich bis dahin gar nicht interessiert hatte. Auch das bringt dieser Mechanismus hervor. Trotzdem ist das ein unglaublich isolierter Apparat, dessen Links zur Subkukltur, aus der der Nachschub kommen könnte, im Moment ein bisschen ausgedünnt sind. Wenn solche wirtschaftlichen Interessen eine Kultur, wenn auch eine Banalkultur prägen können, ist das doch erschreckend. Da bleibt ja nichts mehr übrig. Wenn ich die Entwicklungen in der Radiolandschaft z.B. beim Hessischen Rundfunk sehe, ist da schon erschreckend.
Was noch ein verrückter Nebeneffekt ist, ist der, dass diese ganze Industrie ja in einer identitätsstiftenden Weise darum bemüht hat, den Soundtrack zum Neuen Deutschen Reich (sozusagen) herzustellen. Plötzlich sollte alles aus Deutschland kommen. So was wie die No Angels sollten ja nicht nur so klingen wie englisch Bands, sondern sollten in Deutschland faken, es sei so was wie eine englische Band, so dass wir die englische Band nicht mehr brauchen. Wir brauchen nicht mehr die Spice Girls kaufen, sondern wir haben standortfaktorgemäß das Äquivalent. Die ganzen Labels haben sich ja unglaublich aufgebläht mit diesem Mechanismus. Es gab plötzlich alles in deutscher Variante. Diese ganzen Sängerinnen, diese ganzen Sarah Connors, die in Hannover oder sonst wo entstehen, sind ja ein Wirtschaftsfaktor. Es ist alles Viva-, es ist alles Superminister-Clement-mäßig. Jetzt kommen die internationalen Konzerne und schließen das alles zu, schicken den Tim Renner weg, machen, Patrick Lindner englisch singen wollend. Das ist doch das total Aberwitzige dabei, nachdem es soweit gediehen war, dass etwa die Hälfte von diesem Zeug dass auf Viva, international tut aber deutsche Qualitätsware sein soll, und die hiesige Kaufkraft an hiesige Produkte binden soll. Wenn das jetzt eingestellt wird, weil die multinationalen Konzerne es dann doch wichtiger finden, ihre Pfründe zu sichern als diese Subabteilung gedeihen und blühen zu lassen, gibt das noch mal eine völlig neue Situation. Da wird sich einiges auf ein paar internationale Künstler reduzieren, die Du in einem Laden, der kein Musikgeschäft mehr ist, sondern ein sogenannter "Contentladen" ist, wo es genauso Videospiele und DVDs gibt, wird es ein Segment sein. Dann gibt es nicht mehr 100.000 Künstler, sondern nur noch 1000 und die decken das alles ab. Das ist natürlich ein Wahnsinn. Der Content wird wahrscheinlich weder Dir noch mir wirklich gefallen. Da wird man wieder eine Independentszene haben, aber dafür müssen in den Sendeanstalten auch wieder Plätze sein.
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