Shearwater: Winged Life
Diese Flügel sind zerbrechlich, aber sie tragen hoch hinaus. Ein neues traurig schönes Album der Band um Jonathan Meiburg und Will Sheff.
Sträflich und völlig grundlos vernachlässigt von den Feuilletons dieser Welt ist diese wunderbare Band, deren drittes Album "Winged Life" mich nicht grundlos, sondern gründlich zu verzaubern wusste. Eine fabelhafte Mischung aus Nick Drake und Will Oldham, aus leisen Balladen und fragilen Folksongs. Einer der schönsten Songs des Albums ist "Whipping Boy", ein banjobasiertes Porzellantässchen voll mit Klagelauten. Ebenso großartig: "The World In 1984", in dem es heißt: "You think the world you’re in will always remain/ but some worlds can just disappear", kurz bevor ein tränenreicher Synthesizer eines der ergreifendsten Lieder dieses Jahres in neue Höhen trägt. Man sehe es der Rezensentin nach, dass sie immer alles auf sich und ihr Leben beziehen muss, das ist eine Kritikerkrankheit. Nein, keine Kritikerkrankheit, ein natürliches Phänomen der Musikrezeption. Aber es bedarf schon eines gewissen glücklichen Zufalls, um in einer Lebenskrise plötzlich solch einen Song präsentiert zu bekommen.
Und als ob es bei der Fragilität der Musik von Shearwater noch eines weiteren Pluspunktes bedürfte, ist die Stimme von Will Sheff auch noch außergewöhnlich – ein trauriger Chorknabe, dessen Organ vor den ganzen Orgeln und Hawaiigitarren noch verlorener wirkt als alleine schon. Jonathan ist Vogelnarr, daher der Name der Band (der Shearwater, auf deutsch "Sturmtaucher" ist ein großer, grauer, unauffälliger Seevogel). Auch die See wird wunderbar vertont auf dieser Platte, nämlich im Song "St. Mary’s Walk". Gänsehaut ist garantiert. Und wie es sich gehört für leise Alben, kommt kurz vor Schluss ein Ausbruch, an Talk Talk gemahnend. Wer in diesem Jahr noch nach einer neuen Entdeckung sucht, der öffne sein Herz für diese Band.