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November 2004


Nick Cave & The Bad Seeds:
Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus

Mute 2004

Nick Cave & The Bad Seeds: Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus
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Nick Cave & The Bad Seeds: Konzert im "Zenith", München am 26.11.2004

Nick Caves Album ist eines der wenigen Doppelalben dieser Tage, von denen man sagen kann, dass sie Doppelalben sein müssen. Zwangsläufig. Das wird auch bei seinem Gig in München deutlich.


Herr Cave

Den ersten Satz, den Cave an diesem Abend an die versammelte Gemeinde im "Zenith" in München richtet, ist: "Blixa is not in the band anymore." Als ob das nicht schon die ungeborenen Kinder im Saal bereits wüssten. Aber das ist wohl der spezielle Humor des Nick Cave. Jahrelang hat er um sein Seelenheil gestritten, gekämpft, geschrieen. Mit seinem neuen Doppelalbum "Abattoir Blues/The Lyre Of Orpheus" scheint er es erlangt zu haben. Selten klang der Barde des dunklen Reiches so aufgeräumt, so gelassen und so voller Vertrauen in das Gute auf der Welt. Zwangsläufig bekommt der Gig die Atmosphäre eines Gottesdienstes, mit dem televevangelist auf der Bühne und seinem Fußvolk im Parkett. Dieser Stimmung wird sich auch der überzeugteste Agnostiker nur schwer entzogen haben können.

Die Ausstattung des "Zenith" ist ideal für den Auftritt der Bad Seeds. Bereits beim Gang auf die Bühne kann man die Protagonisten auf der Galerie sehen und ihnen zujubeln, was sich die Fans natürlich nicht nehmen lassen, besonders als der lange Lulatsch Nick Cave auf der Empore erscheint. Er beginnt das Set mit "Abattoir Blues" und spielt im ersten Teil fast alle Songs aus dem neuen Album. Dabei tanzt er die meiste Zeit als Dave-Gahan-Lookalike über die Bühne, wenn er nicht gerade am Klavier sitzt und sich die wohlverdiente Zigarette gönnt. Besonders beeindruckend hier wie auch auf dem Album: "Hiding All Away", mit seinem furiosen Finale. Aber auch die leisen und vom Gospelchor bewegend begleiteten Songs wie "Messiah Ward", "Easy Money" oder "Let The Bells Ring", das Cave dem vor einem Jahr verstorbenen Johnny Cash widmet, werden vom Publikum mit feuchten Augen aufgenommen. Der Sound ist gut und wird nur selten dröhnig. Besonders umjubelt wird "There She Goes, My Beautiful World", das sehr gute Anlagen zu einem neuen Kassiker hat.

Apropos Klassiker: Nach einer kurzen Pause spielt die Band natürlich auch die großen Hits, angefangen von "Red Right Hand" über "The Weeping Song" bis hin zu den murder ballads. Bei "God Is In The House" wird es tatsächlich mucksmäuschenstill, "quiet as a mouse, ‘cause God is in the house." Als erste und einzige Zugabe gibt es – natürlich, möchte man sagen – "The Mercy Seat", und die Fans danken es ihm mit frenetischem Applaus. The Bad Seeds sind immer noch eine der besten Live-Bands der Welt, ihre geniale Krachmacherei ist immer genau auf den Punkt. Mit der Einbindung des Gospelchors hat Cave eine kongeniale Ergänzung gefunden.

"Abattoir Blues/The Lyre Of Orpheus" ist eines der wenigen Doppelalben dieser Tage, von denen man sagen kann, dass sie Doppelalben sein müssen. Zwangsläufig. Jeder Song weniger würde das Gesamtbild zum Einsturz bringen, ein Bild, das man mit "Erlösung des Messias" betiteln könnte: God was in the house. Auf dem Heimweg belausche ich ein Pärchen neben mir. Sie (nüchtern): "Ja, es war ganz nett." Er (entsetzt): Ganz nett?? GANZ NETT??" Das dürfte für die beiden noch ein langer Abend geworden sein.