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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

November 2004
Christina Mohr
für satt.org


Miriam Schulte, DJ

Miriam Schulte

Miriam Schulte, DJ


Frankfurt am Main und das angrenzende Offenbach gelten als House- und Technohochburgen Deutschlands. Eine rege elektronisch dominierte Club- und Labelszene und einige gut sortierte Plattenläden geben eine perfekte Spielwiese für DJs aller Couleur ab, von Provinz keine Spur. Läden wie das Robert Johnson und das Rotari in Offenbach oder Neueröffnungen wie der Cocoon Club in Frankfurt, der gleichzeitig die Rückkehr des Technopapstes Sven Väth zu den Ursprüngen seines Wirkens bedeutet, sorgen für leuchtende Augen bei Dance-Aficionados von überall her.
Miriam Schulte ist seit Jahren eine feste Größe im Frankfurter Clubleben und stellt als Frau hinter den Plattentellern noch immer eine Besonderheit dar. Sie selbst legt großen Wert darauf, DJ zu sein und nicht etwa eine "Djane" – dieses Wort ist für sie ein Nonsensbegriff, der sich von nichts ableitet und das Geschlecht in den Vordergrund rückt, wo doch die Musik stehen soll. "Ein oder eine DJ ist jemand, der oder die Platten auflegt, egal, ob Mann oder Frau." Hier erzählt sie von ihrer Arbeit.


Bitte eine Kurzbio

* The Green Empire ist: ein Soundsystem, eine Party-community und ein Forschungscenter zu den Themen House und Electro. Näheres unter www.thegreenempire.de, Kontakt: miriam@the greenempire.de

Im Schnelldurchlauf: Aufgewachsen in der sauerländischen Provinz, nach der Schule die Flucht ergriffen, in Frankfurt gelandet, Anfang der 90er noch rockorientiert (Punk, Alternative, Indie) Konzerte veranstaltet, Mitte der 90er Techno entdeckt, 1997 angefangen aufzulegen, zunächst härteren Techno, später Minimal und House, 1999 bis 2002 Mitbetreiberin des Offenbacher Mini-Clubs Rotari, regelmäßiges Auflegen in Frankfurt, Offenbach und anderswo, u.a.: Rotari/Of, Hafen2/Of, Tanzhaus West/Ffm, Vinylbar/Ffm, Royal/Ffm, RadioX/Ffm, PopandGlow/Ffm, Nomono/Wi, Club Camouflage/Köln. 2004 Gründung des Soundsystems und der Party Community "The Green Empire"* zusammen mit den DJs Franklin De Costa, Bo Irion und dem Live-Act Yapacc.


Wann und wie bist Du auf die Idee gekommen, DJ sein zu wollen? Gibt es ein Initiationserlebnis, an das Du Dich erinnern kannst?

Ich hab schon immer gerne und exzessiv Cassetten-Compilations zusammengestellt und an Freunde verteilt. Auf die Idee, wirklich DJ sein zu wollen, kam ich aber erst, als ich meine ersten Techno-Platten gekauft habe und zu den einschlägigen Parties ging. Erstens, weil es beeindruckend war zu sehen und zu erleben, was Techno und DJs bewirken können, und zweitens, weil Techno bzw. elektronische Clubmusik ihr volles Potenzial ja erst in Form eines gemixten Sets entfaltet. Da bestand der Reiz auch in der Herausforderung, Mixen zu lernen, einen Spannungsbogen zu konstruieren, mit Platten Neues zu schaffen usw. Aber das eigentliche Initiationserlebnis liegt natürlich immer in der Entdeckung der Liebe zur Musik, und da spielte bei mir die Plattensammlung meiner Eltern eine große Rolle, Beatles, Beach Boys.


Hast Du ein musikalisches Vorleben (Instrument gelernt, Band, Kirchenchor)?

Ich hatte mit elf oder zwölf mal Klavierunterricht, den ich aber nach wenigen Jahren aufgegeben habe, weil ich es nicht verkraften konnte, an der Mondscheinsonate zu scheitern ;) Anfang der 90er war ich Bassistin in einer Noise-Rock-Band, aber wir sind nie über unseren Proberaum-Status hinweggekommen …


Wann hast Du die elektronische Musik entdeckt?

Das war so 1994/95. Ich kannte den Jörn Elling Wuttke (Alter Ego), der damals im Frankfurter Delirium (Plattenladen) arbeitete und mir dort Underground Resistance, Robert Hood und Autechre vorspielte. Von da an war ich angefixt.


Du legst nicht nur elektronische Tanzmusik auf, sondern veranstaltest regelmäßig mit den Farmer Girls sehr indielastige Low-Fi-Abende. Brauchst Du das als Gegenpol?

Nein, die Farmer Girls (ein female-urban-country-deejaying Projekt) repräsentieren eine andere Seite von mir, sie sind ein Medium, das zeigt, woher ich komme (Indie-Rock) und dass Bands wie My Bloody Valentine immer noch eine große Bedeutung für mich haben und Teil meiner Biographie sind.


Als Frau in einer männerdominierten Szene – wie ist das? Musst Du Dich "beweisen" und besser sein als die Jungs?

Das kann man so nicht sagen. Ich mache da sehr unterschiedliche Erfahrungen, die ich auch nicht auf einen Nenner bringen kann. Vom subtilen Sexismus bis zur Ausschaltung der Kategorie Geschlecht ist alles vertreten. Tatsächlich gibt es immer noch (männliche) Leute, die nach einem Gig so Sachen sagen wie "Dafür, dass du ne Frau bist, war das ziemlich gut". Oder subtiler: "Das war super, es geht doch nichts über die weibliche Intuition" (Übersetzung: Bei Männern ist es Können, bei Frauen irgendwie Zufall). Beliebt ist auch die Unsitte, weibliche DJs ausschließlich mit anderen weiblichen DJs zu vergleichen, obwohl deren Musik überhaupt nicht vergleichbar ist. Offenbar hat in der Wahrnehmung einiger Leute das Geschlecht immer noch mehr Priorität als die Musik, schade. Jedenfalls, ich hab zwar nicht das Gefühl, mich "beweisen" oder besser sein zu müssen als die Jungs, aber es ist doch oft zu beobachten, dass weibliche DJs unter einer besonderen Aufmerksamkeit stehen, im positiven wie im negativen Sinne. Bei den Leuten, die mich kennen oder mit denen ich zusammenarbeite spielt das alles aber keine Rolle. Da zählt nur die Musik und so soll es sein.


Wie siehts mit Groupies aus?

Äh, kein Kommentar ;)


Das größte Glück beim Auflegen – und der größte Mist?

Glück: Wenn die Kommunikation zwischen DJ und Publikum funktioniert, also wenn die Crowd versteht, was ich da mache, und ich verstehe, was die Crowd will, sprich: wenn alle tanzen :). Mist: Technische Probleme, schlechter Sound, desinteressiertes oder aggressives Publikum oder Leute, die nur Schreddertechno hören wollen.


Was ist reizvoll an der Frankfurter/Offenbacher Szene?

Frankfurt/Offenbach hat mit Playhouse/Klang/Ongaku einen der besten Labelverbünde, mit dem Robert-Johnson einen der besten Clubs, mit Freebase Records den besten Plattenladen und natürlich jede Menge wirklich gute DJs :). Frankfurt ist meine Homebase, ich fühle mich hier musikalisch sehr zu Hause. Andere Städte und Orte sind aber als Impulsgeber natürlich auch enorm wichtig, denn Musik- und Auflegestile, die hier funktionieren, funktionieren woanders noch lange nicht. Wenn man das Publikum nicht kennt und nicht so gut einschätzen kann wie zu Hause, ist man wesentlich mehr gefordert und muss sensibler agieren, um herauszufinden, was geht und was nicht. Solche Situationen finde ich aber prinzipiell gut, weil man da sehr viel lernen kann.


Welche Rolle spielt RadioX, ein unabhängiger Frankfurter Sender (der leider nur in Frankfurt zu hören ist) – ist ein solcher Sender hilfreich?

RadioX ist sehr wichtig und eine Institution, ohne die die hiesige Szene um einiges ärmer wäre. Die tägliche DJ Night X-Fade ist ein Medium, das weite Teile der regionalen DJ Kultur repräsentiert, und vor allem auch Newcomer und unbekanntere DJs integriert. Demnächst gibt’s auch eine monatliche Green Empire-Nacht auf RadioX.


Gibt es Kluften innerhalb der DJ-Szene, disst man sich gegenseitig oder verhilft man sich auch mal zu Auftritten?

Es gibt natürlich jede Menge Subszenen und Communities, die sich untereinander auch nicht immer hundertprozentig super finden, das ist ja klar. Aber in solchen Fällen würde ich eher von höflichem gegenseitigem Ignorieren sprechen, nicht von "Kluften". Die DJs, die sich gut finden, supporten sich natürlich gegenseitig, und nicht selten entwickelt sich nach gemeinsamen Gigs auch eine weitere Zusammenarbeit. Frankfurt ist ja klein, da findet man irgenwann zueinander.


Schönste/schrecklichste/skurrile DJ-Erlebnisse:

Mitten im Set Platte zerbrochen, Blumen und Ecstasy geschenkt bekommen, Stromausfall, zu Deep House tanzende Schranzer, Bier im Crossfader, keiner tanzt, alle tanzen, mit Polizisten über Musik diskutieren, Bassboxen kaputt spielen, Ordnungsamt überlisten, absurde Musikwünsche …


Vorbilder: hast Du welche oder ist Stardom verpönt?

Natürlich gibt es DJs, die ich super finde, vor denen ich Respekt habe und bei denen ich genau hinhöre, was die machen. Aber die haben keine Vorbildfunktion. Ich finde es wichtiger, eine eigene musikalische Nische zu besetzen. Das ist die DJ-Sicht. Aus der Perspektive des Clubgängers sieht das schon ganz anders aus, da gibt es "Star-tum", und wie, man nennt es nur nicht so. Gute DJs werden gefeiert, da hat auch niemand Hemmungen, das im Club zum Ausdruck zu bringen, das finde ich sehr angenehm. Was da an Euphorie so alles möglich ist, kann man derzeit sehr schön beobachten, wenn Ricardo Villalobos im Robert Johnson auflegt.


Siehst Du Dich als "Star", also dass Leute wegen Dir in den Club kommen, oder verschwindest Du gern hinter der Anlage?

Ich gehöre eindeutig zu den DJs, die gerne unauffällig bleiben. Das war für mich immer das Attraktive am Auflegen, dass man da nicht auf einer Bühne eine Show abziehen muss, sondern quasi unsichtbar aus dem Hintergrund heraus agieren kann, und doch alle Fäden in der Hand hat :)


Wie kommst Du an Jobs? Rührst Du selbst die Werbetrommel, geht das per Mundpropaganda, wie macht man sich als House-DJ einen Namen?

Das ist abhängig von Persönlichkeit und sozialen Bedingungen. Leute mit Talent zum Selbstmarketing und großem Beziehungsnetzwerk haben es natürlich leichter. Ich selber habe mich aber immer lieber an den Rat meines Plattendealers gehalten: "versuchen, kontinuierlich Qualität abzuliefern". Unter Umständen dauert es damit zwar länger, bis man halbwegs bekannt ist, aber mir liegt das einfach mehr. Letztendlich läuft es aber immer über die lokalen Szene-Strukturen, Mundpropaganda, Freunde, Communities etc. Am günstigsten ist es natürlich, wenn die Partygäste, die einen gut finden, gleichzeitig anderswo Veranstalter, Clubbetreiber oder Diskothekenbesitzer sind, da kriegt man schon mal gleich am nächsten Tag ein Booking.


Bleibt House/Minimal als Genre für Dich spannend – brauchst Du Abwechslung?

Für mich ist es ein musikalisches Qualitätsmerkmal, wenn ein Genre fähig ist, sich innerhalb seines eigenen stilistischen Rahmens weiterzuentwickeln, also wenn es sozusagen seine eigene Abwechslung vorantreiben und sich gleichzeitig treu bleiben kann. Natürlich brauche ich Abwechslung insofern, als dass ich immer auf der Suche nach Musik bin, die sich weiterentwickelt, denn Stillstand macht ja keinen Sinn. Diese Suche nach guten und originellen Platten, die gleichzeitig in die Kontinuität des eigenen Sets passen müssen, ist wirklich Arbeit, die Recherche wird oft unterschätzt. Von zehn Platten, die ich mir im Laden anhöre, kaufe ich höchstens eine. Auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch Aufgabe des DJs, Musikstile und Genres durch eigene Mix- und Kombinationsideen weiterzuentwickeln, anstatt diese Arbeit nur den Produzenten und Labels zu überlassen.


Gibt es Tracks/Songs, die Du immer wieder verwendest, gibt es "Musts" und absolute "Don'ts"?

Ja, es gibt tatsächlich Platten, die ich über 2 oder sogar 3 Jahre immer wieder verwende. Nicht viele, aber es gibt sie. Sofern es sich dabei nicht um Hits, die jeder kennt, sondern um unauffällige, gute, "zeitlose" Stücke handelt, ist das auch kein Problem. Abgenudelte Hits sollte man – finde ich zumindest – eher versuchen zu vermeiden, ebenso wie uninspiriertes Runterspielen der Groove- oder irgendwelcher DJ-Charts. Man kann aber – natürlich – auch 10 Jahre alte oder noch ältere Platten oder gar Klassiker verwenden, wenn man sie sinnvoll und pointiert in sein Set integriert. Aber man muss halt wissen, welchen Akzent man mit Klassikern setzen und was man mit ihnen aussagen will, weil man unausweichlich in einen historischen Kontext gerät, der in dem Moment beliebig und unlogisch wird, wo es nicht gelingt, einen Zusammenhang herzustellen. Das ist weniger intellektuell gemeint als es jetzt vielleicht klingt, denn auch die Stimmung oder der Euphoriegrad des Publikums kann ein Bindeglied zu beispielsweise einem alten Ravekracher aus den 90ern sein. Die "Musts" und "Dont’s" sind natürlich individuell, szeneabhängig und zeitgebunden. Es gab Phasen, da war Vocal House verpönt, dann wollte auf einmal niemand mehr was von Techno wissen, kurz darauf war es plötzlich cool, sich von Minimal zu distanzieren. Das klingt jetzt etwas oberflächlich, aber ich finde solche Debatten gut, weil sie einen permanenten Reflektionsprozess über muskalische Entwicklungen in Gang halten. Ich nutze solche Diskussionen gerne, um mich darin zu positionieren. Und sei es, um zu beweisen, dass Minimal noch lange nicht tot ist.


Was passiert, wenn keiner tanzt?

Dann gilt es zunächst einmal zu analysieren, woran das liegt. Wenn ich das Gefühl habe, dass es an mir liegt, versuche ich natürlich herauszufinden, was die Leute wollen und probiere verschiedene musikalische Wege aus, härter, housiger, gerader, je nachdem. Wenn es sich allerdings um eine jener berüchtigten "cool rumstehen"-Parties handelt, kann man in der Regel nicht viel ausrichten, denn dann geht es den Leuten offensichtlich nicht um die Musik. Das ist dann aber wiederum auch ein Stück Freiheit, denn dann kann ich machen, was ich will.


Wo siehst Du Dich in 5 Jahren?

Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht. Vielleicht setze ich mich mal mehr mit R&B auseinander. Das wollte ich schon immer mal machen. Es geht weiter.