Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

November 2004


Toog: Lou Etendue
Karaoke Kalk 2004

Toog: Lou Etendue
   » amazon

Toog: Lou Etendue

Wer glaubt, dass Musik nicht zugleich poetisch und modern im Sinne von "auf der Höhe der Zeit" sein kann, der sieht sich durch dieses Album eines besseren belehrt.


Logo
Toog

Dies ist ein Album, das in jeder Faser die Seele eines französischen Dichters atmet – die Seele und mit ihr den Ton Guillaume Apollinaires. Der französische Musiker Toog hat sich in der Sängerin Asia Argento eine Muse gesucht und gefunden und zusammen mit ihr und dem Produzenten Digiki ein höllisch gutes Album fabriziert. Obwohl das Wort "höllisch" zu martialisch klingt für dieses zerbrechliche Wesen von Musik.

Im Jahr 1914 lernt der 34jährige Apollinaire Louise de Coligny-Châtillon, genannt Lou, kennen. Es wird eine kurze, aber heftige Affäre – Apollinaire zieht in den Ersten Weltkrieg, der für ihn eine große Faszination ausübt, und schreibt mehrere Gedichte für seine Geliebte. Der Krieg, diese die Männer verzehrende tödliche Leidenschaft, ist auch darin Hauptthema. Fast 90 Jahre später, am 11.09.2001, befindet man sich in New York ebenfalls mitten im Krieg, und plötzlich wird das jedem schmerzlich bewusst. Toog und Asia Argento treffen sich damals in der Metropole, sind aufgrund weltgeschichtlicher Ereignisse gezwungen länger als geplant zu bleiben und beschließen zusammenzuarbeiten.

"Lou Etendue" (ebenso wie der Redakteur der "Spex" lese ich tausendmal "entendue", "verstanden" habe ich damit aber überhaupt nichts, kein Wunder bei solch eklatanter Leseschwäche), dieser Titel spricht von der "ausgedehnten Lou". Gedehnt aber nicht im Sinn von verdünnt, sondern eher konzentriert, in die Gegenwart verlängert. Das verläuft sich in nimmermüden Harmoniebögen, mündet in schönen Blendungen von Geräuschen, Melodieansätzen, Störungen, Beatversuchen und endet mit der direkten Beschwörung des "Vielleicht".

Ganz besonders verzaubernd ist die Stimme von Asia Argento, die auch als Schauspielerin und Model arbeitet. "Ugly Ducklings" gelingt das Kunststück, die Geschichte vom hässlichen Entlein, das eigentlich ein wunderschöner Schwan ist, neu zu erzählen und dabei erhaben, schön, ergreifend und wahr zugleich zu klingen. "Les 9 portes" ist die Vertonung des gleichnamigen wunderschönen Gedichts von Apollinaire, in intimer Weise neu interpretiert, sodass man noch die Speichelfäden im Mund des Rezitators sich ziehen hören kann. Wer glaubt, dass Musik nicht zugleich poetisch und modern im Sinne von "auf der Höhe der Zeit" sein kann, der sieht sich durch dieses Album eines besseren belehrt. Das nenne ich eine famose musikalische Bettlektüre.