Cristina:
Doll in the Box | Sleep it Off
"In a sassier, zestier,
brighter, funnier world,
Cristina would have been Madonna."
(Richard Strange)
Der Neubelebung des New Yorker Labels ZE Records ist es zu verdanken, dass seit einigen Monaten eine ganze Reihe verschollener Platten der New- und No Wave-Zeit wiederveröffentlicht werden. ZE Records wurde in den späten Siebziger Jahren vom Mothercare-Erben Michael Zilkha und dessen französischem Kumpel Michel Esteban gegründet; ZE wollten Punk, Funk und Disco vereinen, eine bis dato ungewöhnliche Kombination, aber die beiden Gründer erwiesen unfehlbares Gespür für den Sound der Zeit. Auf keinem anderen Label wurde der NYC-Sound der Siebziger und frühen Achtziger Jahre authentischer verewigt als auf ZE: Acts wie Lydia Lunch, Kid Creole & the Coconuts, Lizzy Mercier Descloux, James White & the Contortions, Suicide, Arto Lindsay, Was (not Was) und eben Cristina fanden dort ihr Zuhause. Die Sampler N.Y No Wave. The Ultimate East Vilage 80's Soundtrack und Mutant Disco. A Subtle Dislocation of the Norm bieten einen umfassenden Einblick in das Oeuvre des legendären Labels und seien an dieser Stelle wärmstens empfohlen!
Zilkha verliebte sich in die Harvardstudentin Cristina Monet und schnell war klar, dass mit der vielseitig talentierten Cristina eine Platte aufgenommen werden sollte. Über ihre erste Single, "Disco Clone" sagte sie selbst: "That is, without doubt, the worst song I have ever heard. It is so bad that the only way you could record it would be as Brechtian pastiche."
Das Konzept Cristina war neu und offenbar zu kompliziert, als mehr als eine kleine Schar von Fans zu begeistern, die die Verbindung von Ironie und Disco, Sexiness und ihrer gleichzeitigen Dekonstruktion verstanden. Die "Prinzessin" von ZE Records sang Brecht/Weill-Stücke, coverte Van Morrison, "La Poupée qui fait non" von Michel Polnareff und "Drive my Car" von den Beatles. Sie wurde von Don Was, Robert Palmer und August Darnell a.k.a Kid Creole produziert und von vielen Künstlern wie Blondie und Siouxsie Sioux verehrt. Ihre lakonische Tongue-in-Cheek-Attitude verband sie eher mit Debbie Harry als mit Madonna; ihr sexy Outfit mit gleichzeitiger Distanz zur eigenen (Körper-)Ausbeutung kann am ehesten mit der heutigen Kylie Minogue in Verbindung gebracht werden. Cristinas Stil war nicht kategorisierbar und schwierig zu vermitteln, ihre größtenteils selbst geschriebenen bitteren Texte, die voller "turmoil" und "depressions" stecken, passen auf den ersten Blick so gar nicht zu ihrem Centerfold-Hochglanz-Image und bilden im Zusammenspiel so etwas wie die Definition von Camp.
"My sheets are stained so is my brain, what's a Girl to do?" – Cristina veröffentlichte diese Single im gleichen Jahr, in dem Cyndi Lauper "Girls just wanna have fun" skandierte. Aber in 1984 war Spaß mehr en vogue als Selbstzweifel: "What's a Girl to do" wurde zwar zu Cristinas "Hymne", die LP Sleep it Off aber floppte, die Welt war nicht bereit für Cristina. "The one thing that pop music has lost lately is its sense of irony" klagte sie, ungeklärt bleibt, während welcher Epoche das anders gewesen sein sollte.
Aber wer weiß, vielleicht wird sie heute besser verstanden als in den ironiefreien Achtzigern, in denen man Glamour nur als pure Oberfläche wahrnehmen wollte und konnte. Nachzuprüfen auf den beiden liebevoll ausgestatteten CDs Doll in the Box und Sleep it Off: Überschäumende Electrodiscostücke wie "Ticket to the Tropics" wechseln sich ab mit der Punkrockpersiflage "Don't mutilate my mink" und bittersüßen Songs wie "Quicksand Lovers". Das schick aufgemachte Reissue von Sleep it Off bietet neben den regulären Stücken der Original-LP auch eine bislang unveröffentlichte Coverversion des Princesongs "When U Were Mine".
Und was macht Cristina heute? Sie lebt noch immer in New York und produziert neue Acts wie Ladytron. Vielleicht kann sie ihr Konzept von "intellectual disco" doch noch verwirklichen.