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Januar 2005
Christina Mohr
für satt.org


Jobriath:
Lonely Planet Boy

Attack / Sanctuary Records 2004
Cristina: Doll in the Box
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 » www.jobriath.org

Jobriath: Lonely Planet Boy

Gefallener Engel des Glamrock

Seid Ihr bereit für das große Melodram? Nehmt das: Bruce Wayne Campbell, 1946 geboren in einem Kaff in Pennsylvania, zeigte schon sehr früh eine außerordentliche Begabung als Pianist und Sänger. Seine Künstlerlaufbahn begann er als Musicaldarsteller, unter anderem als "Woof" in Hair. Nach einem kurzen Intermezzo in einer Hippieband namens Pidgeon, die immerhin ein Album und eine Single bei Decca veröffentlichten, mußte er in die Army, bekam einen Nervenzusammenbruch und lebte anschließend als Stricher in Kalifornien, wo er seinen künftigen Mentor und Manager Jerry Brandt traf. Bruce Campbell nannte sich fortan "Jobriath", ein Kunstwort zusammengesetzt aus "Job" und "Goliath"; er hatte einige Songs geschrieben und Brandt, früherer Manager von Carly Simon, wollte aus Jobriath einen Megastar machen, wie ihn die Welt zuvor noch nie gesehen hatte. Brandt lancierte gigantomanische Werbeaktionen, noch bevor das Debut "Jobriath" im Jahre 1973 bei Elektra herauskam. Zum Beispiel fuhren Busse mit Jobriaths Foto durch New York und eine riesige Werbetafel mit seinem Konterfei wurde am Times Square, Ecke Broadway/47th Street aufgestellt. Im Gegensatz zu David Bowie, Marc Bolan oder Mick Jagger, die zwar trendgemäß während der Glamrockzeit mit Make up experimentierten, aber mit ihrer angeblichen Bisexualität nur kokettierten, stellte Jobriath seine Homosexualität offen zur Schau: "I'm the true fairy of Rock'n'Roll" sagte er in einem seiner seltenen Interviews. Die Auftritte mit seiner Band "The Creatures" waren eher Broadwayshows als Rock, obwohl Jobriath, um ein größeres Publikum anzusprechen, durchaus harte Rocknummern à la Slade im Programm hatte. Er trat als Marlene Dietrich auf und erklomm auf der Bühne als King Kong das Empire State Building, das sich in einen riesigen Penis verwandelte. Als das zweite Album, "Creatures of the Street" floppte, trennte sich Jerry Brandt abrupt von Jobriath, der mit seiner Band noch eine Tour absolvierte – komplett managementlos. Während der letzten Show wurde die Band frenetisch gefeiert, mußte mehrere Zugaben spielen und lieferte so einen Eindruck davon, was hätte werden können, wenn ….. ja, wenn was? Was lief schief? Da Jobriaths Auftreten ziemlich genau mit David Bowies "Ziggy Stardust"-Phase zusammenfiel, wurde er den Ruf als Mitläufer und Wellenreiter nie los. Songs wie "I`maman" und "I Love A Good Fight" waren für die Siebziger Jahre zu augenzwinkernd schwul und camp. Entweder zeigte man sich glamourös und unentschieden bi wie David Bowie oder Marc Bolan oder zog alle Register des Machoschwulseins wie die Village People (die dennoch vom Mainstream als harmlose Karnevalstruppe akzeptiert werden konnten). Jobriath trat nach dem Ende seiner kurzen Popstarkarriere als Musicalkünstler auf und sang unter dem Namen Cole Berlin in Bars. Er starb 1983 im Dachgeschoß des legendären Chelsea Hotels an AIDS.

Jobriath wurde so vollständig vergessen, in der Firmengeschichte seines Labels Elektra taucht er nicht mal als Fußnote auf, auch in den Memoiren seines Managers wird er verschwiegen. Selbst sein Tod blieb niemandem im Gedächtnis: 1992 wollte Morrissey den Künstler im Vorprogramm seiner Solotournee auftreten lassen.

Aber Morrissey ist es zu verdanken, dass es nun eine Compilation gibt, auf der eine Auswahl der wichtigsten Jobriath-Songs zu hören ist. Morrissey himself hat diese Platte zusammengestellt (und wohlweislich auf die Hardrockstücke verzichtet, der Schwerpunkt liegt auf den theatralischen, musicalhaften Songs). "Lonely Planet Boy" ist auf Attack erschienen, Morrisseys eigenem Label, das zu Sanctuary Records gehört, die Linernotes der schick verpackten CD sind ebenfalls von Morrissey. Das Erscheinen dieser Platte war erst nach dem Tod der streng religiösen und bibelfesten Eltern Jobriaths‘ möglich: 30 Jahre lang verhinderten sie jegliche Wiederveröffentlichung, der Vater zerstörte nach dem Tod seines Sohnes dessen Tagebücher, Songtexte und viele Fotos.

Jobriath erfährt heute, über zwanzig Jahre nach seinem Tod eine späte Würdigung, viele Künstler wie die Pet Shop Boys, Siouxsie Sioux oder eben Morrissey beziehen sich auf ihn. Auch der Film Velvet Goldmine hätte ohne das Vorbild Jobriath wohl anders ausgesehen. Auf der Website www.somethingawful.com listet David Thorpe die "worst rock stars ever" auf, wenigstens hier hat es Jobriath auf die Spitzenposition geschafft – wobei Thorpe klarstellt, dass er Jobriath nicht wegen seines fehlenden Talents sondern als Beispiel für grandios gescheitertes Rock'n'Roll-Management auf die Eins platziert.