Berlin Super 80
Music and Film Underground
West Berlin 1978 – 1984

Dieses Multimediapaket in extrem schicker Aufmachung bietet einen Rückblick auf das musikalische, filmische und gestalterische Schaffen Westberliner Untergrundkünstler zwischen 1978 und 1984. CD, DVD und Buch versammeln illustre Namen wie Frieder Butzmann, Din A Testbild, Flucht nach Vorn und natürlich die Einstürzenden Neubauten, die wie keine andere Band aus der Zeit die Kaputtheit Berlins repräsentierten und doch als beinah einzige Vertreter des Undergrounds ihren Weg bis ins deutsche Kulturfernsehen schafften.
Weit entfernt von aller Hauptstadtfeistigkeit und großdeutscher Herrlichkeit entstanden in der Mauercity kranke Kunstwerke, die mit der im Rest des Landes grassierenden Neuen Deutschen Welle so gut wie nichts zu tun hatten.

Einige der restaurierten Super8-Filme wurden bereits während der Ausstellung "Lieber zuviel als zuwenig" 2003 in Berlin oder auf dem Punkkongreß in Kassel gezeigt, so zum Beispiel Geld/Money von Malaria! oder der schöne Taxikurzfilm von Christoph Döring und "So war das SO 36" von Manfred Jelinski. Toll auch "Mein Papi" von Jörg Buttgereit oder "Ohne Liebe gibt es keinen Tod" von Maye & Rendschmidt aus dem Jahr 1980 oder das wahnwitzige Radrennenmovie "Formel Super VIII" – aber müßt Ihr selber gucken.
Dazu gibt es auf der DVD noch jede Menge Fotos von zum Teil längst vergessenen Bands wie zum Beispiel Crime and the City Solution oder La Loora. Viele Fotografen haben ihre Schatzkästchen geöffnet und zeigen Bilder von der Mauer, von Kreuzberg und vielen Kneipen und Bars, die die Berliner Subkultur entscheidend geprägt haben wie zum Beispiel das "Risiko" in der Yorckstraße und natürlich das legendäre SO 36.
Man sieht die Ärzte auf Nenas Geburtstag, Nena im Gespräch mit Gudrun Gut (das wars aber auch schon mit Begegnungen mit der NDW), den jungen Nick Cave auf den Bühnen seiner damaligen Heimatstadt und Blixa Bargeld, als noch niemand hatte ahnen können, dass er mal für viel Geld den Hornbach-Katalog vorlesen wird und Nina Hagen darf natürlich auch nicht fehlen.
Eine Band, die in allen nur vorstellbaren Medien aktiv war, ist Die Tödliche Doris: Mit dem Song "Tanz im Quadrat" ist sie auf der Musik-CD vertreten und mit dem Kurzfilm "Berliner Küchenmusik" auf der DVD. Ein Interview mit Doris-Gründer Wolfgang Müller gibt es im Begleitbuch. Im Buch gibt es ausserdem jede Menge Essays, Flyer, Interviews, unter anderem mit Martin Schmitz (Martin Schmitz Verlag), Nachlassverwalter der Tödlichen Doris (schon wieder Doris) und viele viele Bilder. Mein Lieblingsfoto zeigt die Sängerin Mona Mur neben Genesis P. Orridge, der mit versteinertem Gesicht ein Baby auf dem Arm hält.

Die CD versammelt bekannteres Material von Malaria! und den Neubauten, aber auch viel Kurioses und Vergessenes. Die echte Christiane F. zum Beispiel, damalige Freundin von Alexander Hacke/Neubauten, der sie auf dem Song "Wunderbar" den Refrain "Ich bin so süchtig" singen ließ, oder die Schweizer Künstlerin Valie Export mit einem heidihaften Alpensong der dritten Art namens "Bananen".
Dass Underground in Westberlin nicht zwangsläufig Punkrock bedeuten mußte, beweisen die Songs von Sprung aus den Wolken oder Kosmonautentraum, die mit Saxophonen und rollenden Baßläufen ähnlich funky klingen wie Konk aus New York, ein Sound, den auch Palais Schaumburg für sich entdeckten. Sehr tanzbar und absolut zeitlos. Und die elektroniklastigen Stücke der CD zeigen, dass sich in diesem Genre bis heute gar nicht soo viel verändert hat.
Auf der Vinyl-LP gibt’s noch einen Bonustrack! Endlich hat mal jemand erkannt, dass die Bonustracks auf die Schallplatte gehören und nicht auf die CD! Bitte hinter alle Ohren schreiben!

Eine rundum lohnende Anschaffung, auch wenn Weihnachten gerade vorbei ist.