Wenn es eine Verkörperung des "umherschweifenden [Musik-]Produzenten" gibt, dann muss es wohl Jochen Gutsch sein. Bis 2004 noch im australischen Sydney ansässig, wo vergangenen November auf dem Label Alias Frequencies auch sein aktuelles Album New Belief System erschien, operiert sein Projekt Hinterlandt nun von Köln aus. Und die Coverrückseite der CD, die in Helsinki live vorgestellt wurde, ziert eine portugiesische Flagge.
Vielleicht liegt es an dem vielen Unterwegssein und dem damit verbundenen Lebensgefühl, dass die Stücke von Hinterlandt selten kürzer als zehn Minuten sind und in dieser Zeitspanne meist mehrere musikalische "Zeitzonen", Stile, Rhythmen, Klanglandschaften, emotionale Texturen überfliegen, sodass die Hörerin mit größter Leichtigkeit von hartem Drum’n’Bass zu optimistischem Elektropop gleitet, ohne irgendwelche Brüche oder Turbulenzen zu verspüren. Die Einfälle, die in einem einzigen Hinterlandt-Song/Track stecken (mit der puristischen Abgrenzung von Electronica und Pop gibt sich Gutsch gar nicht erst ab, weshalb er über seine Frickelbeats auch schon mal singt und live auch gern zur Gitarre greift, statt nur den Sampler zu bedienen), verteilen andere Künstler sparsam auf ganze Platten, Hinterlandt dagegen lässt das Publikum großzügig an seiner scheinbar unerschöpflichen Kreativität teilhaben.
Dass so viele musikalische Ideen in dieser Musik stecken, macht sie enorm zugänglich: fast jeder findet einen Anknüpfungspunkt, von dem aus er auf die Reise in andere Gefilde einsteigen kann. Da mag es erstaunen, dass New Belief System mit Making Plans For Nigel eine Coverversion enthält. Doch die Bearbeitung des Powerpop-Klassikers von XTC, die aus dem kompakten kleinen Song ein Neun-Minuten-Opus macht, ohne seine musikalische Substanz zu verwässern, zeigt vor allem, dass Jochen Gutsch nicht nur als Komponist, sondern auch als Arrangeur und Produzent geniale Züge besitzt. Jede Band, die diesen Mann mit ins Studio nehmen dürfte, könnte sich glücklich schätzen. Wer weiß, ob man den Namen Hinterlandt nicht in naher Zukunft auch auf Platten anderer Künstler wird lesen können – wenn damit auch seine eigene Musik mehr Aufmerksamkeit erhielte, sollte es mir recht sein. Erste Remixarbeiten sind jedenfalls schon erfolgt.
Jochen Gutschs immenser Output hat seit dem Start des Projekts Hinterlandt im Jahr 2002 bereits zu einer schier unübersehbaren Zahl von Tonträger- und Internet-Veröffentlichungen auf Labels von Japan bis Bayern geführt, die sich nur durch Konsultieren der sehr informativen und übersichtlichen Website hinterlandt.com überblicken lassen, wo auch aktuelle Produktionen zu hören sind. Viele der neueren Hinterlandt-Tonträger sind hierzulande bequem über den Kölner Mailorder A-Musik zu beziehen.