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März 2005
Christina Mohr
für satt.org


Thomas Meinecke, Klaus Walter, Frank Witzel:
Plattenspieler

Edition Nautilus 2005

Thomas Meinecke, Klaus Walter, Frank Witzel: Plattenspieler

160 S., 168 Fotos
14,90 €, » amazon

Thomas Meinecke,
Klaus Walter & Frank Witzel:
Plattenspieler


150 Jahre und kein bißchen weise …

Frank Witzel, Autor aus Offenbach, hatte 2003 die Idee, ein Buch gemeinsam mit Thomas Meinecke, Suhrkamp-Autor und FSK-Mitglied und Klaus Walter, Radiojockey beim HR (legendäre Sendung: Der Ball ist rund) zu machen. Zusammenhaltende Klammer sollte das gemeinsame Geburtsjahr 1955 sein, Thema: die musikalische Sozialisation. Herausgekommen ist ein Dokument der Nerdiness, ein Manifest gegen "generationstypisches" Leben mit der beglückenden Aussicht, dass das Interesse für Popkultur und –musik nicht mit 40 an der Erwachsenengarderobe abgegeben werden muss. Da die drei, vor allem Meinecke und Walter ihr Leben schon sehr früh dem Phänomen "Pop" verschrieben haben, verfügen sie über ein schier unendliches Wissen über Bands, Stile, Moden und Theorien, gleichzeitig aber ein ungebremstes Interesse für heutige Entwicklungen. Unter Kapitelüberschriften wie "Gemachte Männer" oder "Pop und Job" wird nicht nur über die Beatles und Francoise Hardy, sondern auch über Kelis und Outkast diskutiert. Immer wieder kommt die Rede auf die RAF, auf Stammheim, auf 68 in Frankfurt, Joschka Fischer – Pop und Politics waren mal wesentlich enger verknüpft als heute und der Kauf einer bestimmten Platte durch aus eine Positionsbestimmung.

Termine Lesereise
(mit anschließendem Plattenauflegen der Herren Meinecke und Walter):
Leipziger Buchmesse/Die NaTo: 17.3.05, 22.30
Frankfurt/Mousonturm: 2.4.05
Hamburger Lesetage: 22.4.05
Berlin/Literaturhaus Fasanenstraße 23: 23.4.05
Schorndorf/Manufaktur: 12.5.05
München/Club 2: 21.5.05
Heidelberg/Karlstorbahnhof: 27.5.05
Kassel/Kulturzentrum Schlachthof: 4.6.05
Marburg/Café Trauma: 11.6.05
Göttingen/Theaterkeller: 17.6.05
Köln: tba

Der spitzfindige Thomas Meinecke findet Erstaunliches im Genderbereich heraus (ich verweise hier mal auf Barry Manilows Hintern – wer Einzelheiten erfahren will, muß das Buch lesen!) und dass eine Frisur etwas anderes ist als ein Haarschnitt, wird in Plattenspieler für alle, die das nicht glauben wollen, schlüssig erklärt.

Ich hatte bereits während der letzten Frankfurter Buchmesse das Vergnügen, die drei Herren aus ihrem Buch vorlesen zu hören und kann daher einen Besuch der Leseabende nur dringend empfehlen. Und eigentlich sollte Plattenspieler als Hörbuch erscheinen, mit Hörproben aller erwähnten Songs!

Wenn sich drei Männer über Popmusik unterhalten, geht das natürlich nicht ohne Besserwisserei und (unbeabsichtigte) Aufschneiderei. Meinecke, Walter und Witzel beschuldigen sich zuweilen gegenseitig des Hornbyismus, wenn ihnen in der Herleitung bestimmter Phänomene die Pferde durchgehen:

KW: Ein primär rockistischer Diskurs wird da wieder majoritär und behauptet, Phil Spector würde da am Ende dazugeholt, um das mit Zuckerguß zu polieren. Und dieser Zuckerguß ist natürlich das Schönste.
TM: Phil Spector, gerade als Arrangeur für die unpassenden Paarungen, großartig. Harry Nilsson, der ist ja sowieso der Beweis Gottes, im Bademantel und alkoholisiert am Schluß dann allerdings. Oder sagt man Morgenmantel? Morgen-danach-Mantel. Aber das ist doch jetzt wieder "Nick Hornby".
KW: Nein, Thomas, das ist nicht "Nick Hornby", man kann doch auch mal …
FW: … seinem Hornby freien Lauf lassen.

Popkultur funktioniert universal, als Internationalität, die besonders im Falle Thomas Meineckes ulkige Denglish-Wortneuschöpfungen hervorbringt: " …Und das ist doch irgendwie vorweggeshadowt durch Frankfurt 68 …" oder auch die unbefangene deutsche Beugung englischer Verben: "Das kann man schon appreciaten …"

Munter parlieren sich die Herren durch verschiedenste Bereiche des Pop, schön ist die Passage, die man mit "Herrn Meineckes Gespür für Techno" überschreiben könnte: Meinecke erklärt in der ihm eigenen Mischung aus Begeisterung, Geschwätzigkeit und komplettem Nerd-Tum seine Herangehensweise an Techno – die wie immer bei ihm auch und vor allem eine intellektuelle ist. Und er findet gleichzeitig den Unterschied zwischen ihm und seinen Generationsgenossen heraus: "Wenn ich an Schulen eingeladen werde und aus meinen Romanen lese, dann geht es mit den Schülern und Schülerinnen natürlich hinterher die ganze Zeit um Musik. In der Regel bringen mich dann die Deutschlehrer, die so alt sind wie ich oder jünger sind als ich zum Auto oder zur Bahn und sagen dann beim Rausgehen: Mensch, Herr Meinecke, ich merke, ich muß auch mal wieder mehr Musik hören.‘ Und ich denke dann: Es wird nicht gehen. Es gibt keinen Weg mehr. Die müßten ja 500 Stunden was hören, um es noch zu begreifen. Weil das sind Dinge, die durch Gehirnwindungen geschliffen werden, durch Gehörgänge geschliffen werden, die in deinem Nervensystem ein Netz aufbauen, das kann man nicht lesen. ( …)"

Im Kontext mit Techno taucht unweigerlich der Club, das Ausgehen auf – kein Techno ohne öffentlichen Raum. Meinecke scheut den Gang in den Club nicht, vor allem aber, um sein theoretisches Interesse an der Arbeit des DJs zu stillen, er outet sich als Nichttänzer. Klaus Walter, ebenfalls Nichttänzer, gibt zu bedenken, dass es neben Techno auch noch andere Dinge gibt: "Ich will auch wissen, wie ist die denn, die oder jene Rockplatte, und so kommt man eben nur zu einem Halbwissen, oder 10-Prozent-Wissen. Außerdem möchte ich leider auch wissen, wie Unterhaching gegen Regensburg spielt. Und das kostet Zeit. Aber ich habe eben auch nie Spaß an dem Beobachterstatus in Clubs finden können. Da war immer ein Fremdheitsgefühl. Außerdem tanze ich nicht. Was soll ich da also tun? Reden kann man schlecht, Freunde, Freundinnen treffe ich dort nicht. Ich gehe dann eher in Konzerte, zu Diskussionen."
TM: "Das ist ja auch hinzugekommen, der Theorie-Gig. Podium mit ein paar schillernden Theoriestars."

Unter der Überschrift "Katalog des Kühl" erklären Klaus Walter und Thomas Meinecke dem insgesamt eher zurückhaltenden Frank Witzel, weshalb ihm ein Teil des coolen Wissens für immer verwehrt bleiben wird. Hart aber herzlich, lest selbst:

FW: Es geht also nur um eine textliche Vermittlung.
TM: Vermittlung über Vermittlung.
FW: Das heißt, ich habe nicht die Sounds gelesen zu der Zeit …
TM: Dann hast Du keine Chance. Du wirst es dann nicht hören, sage ich jetzt mal sehr vereinfacht. Es geht nicht ohne den Diskurs.
( …)
FW: Ich habe auch keine Platte (von den Tubes, Anm. CM), darum geht's auch gar nicht. Ich leg das auf, alles indiskutabel, aber dann ist da mit einem Mal so ein Westernstück, ähnlich wie das von Prefab Sprout vielleicht, das mir gefällt.
TM: Aber das solltest du dann nicht zulassen.
KW: Da mußt du strenger sein mit dir.
TM: Da solltest Du den inneren Schweinehund in dir bekämpfen. Das darf nicht sein. Sonst findest du überall gute Musik. Wo kommen wir denn da hin?
FW: Genau das ist mein Problem.
KW: Aber bei sowas kann man sich auch selber blöd finden.
FW: Nein, gar nicht, ihr seid doch cool. Das ist doch ein toller Hinweis, Thomas, danke, weil, ich bin immer so jemand, der sagt: Die Tubes sind scheiße, aber die haben ein Stück gemacht, das finde ich okay.‘
TM: Es gibt keinen guten Song auf einer schlechten Platte.

Dem bleibt nichts hinzuzufügen.