John Convertino, vielen bekannt als Schlagzeuger von Calexico, hat mit Ragland ein Album veröffentlicht, das sich gängigen Pop-Kategorien entzieht. "If You Don't Know How to Call it, Call it Jazz" – diese Weisheit greift nur zum Teil, Ragland ist auch Klassik, beeinflusst von Satie und Liszt. Doch Convertino macht keine "altmodische" Musik, Ragland kann als Nebenarm oder Weiterentwicklung von Calexico gesehen werden, minimalistische Perlen im Ambientgewand, Slow-Fi instrumentiert mit Streichern, Piano, Vibraphon und immer wieder überraschenden Schlagzeugeinsätzen, die in die träumerisch-trügerische Stille hineinpoltern, um dann elegant den rhythmischen Bogen weiter zu treiben. Nein, Pop im herkömmlichen Sinne gibt es auf Ragland nicht, aber Musik, die Hinhören und in-die-Stille-Hineintauchen erfordert und auf diese Weise ein Erlebnis der besonderen Art beschert.
Convertino lebt in Tucson, Arizona und das hört man der Musik an – die Hitze und die Sonne erlauben keinen hektischen Beat, keine unüberlegten Noten, kein überflüssiges Geklotze an jeglichem Instrument. Wie auch schon die Single Sack of Cement ist Convertinos erstes Soloalbum auf Sommerweg, dem Label des Calexico-Mitstreiters Volker Zander erschienen. John war so freundlich, satt.org einige Fragen zu beantworten:
Im Presseinfo zu Ragland steht, dass Du im letzten Jahr oft sehr zornig warst – warum?
Oh, je älter ich werde, desto mehr Dinge bringen mich auf die Palme. Ich versuche aber, diese Art Energie konstruktiv zu nutzen. Am meisten hat mich unsere Präsidentenwahl aufgeregt, die politische Lage in diesem Land ist skandalös.
Deine erste Solosingle, Sack of Cement wurde auf dem Sommerweg-Label veröffentlicht; Sommerweg-Chef Volker Zander spielt Gitarre bei Calexico – wann und wie hat diese Deutsch-Amerikanische Freundschaft begonnen und wie funktioniert sie?
Zunächst mal spielt Volker Baß bei Calexico J. Wir wurden enge Freunde in all den Jahren. Mir gefiel, dass er nur Vinylsingles bei Sommerweg veröffentlichte. Er hat ein gutes Auge und ein erstaunliches stilistisches Gespür für alles, was mit seinem Label zu tun hat. Wir trafen uns vor fünf oder sechs Jahren über City Slang, die damals Calexico stark dabei unterstützten, eine Band für eine Europatournee zusammenzustellen, als wir mit unserer ersten Platte auf dem Label 'the black light' unterwegs waren. Seitdem haben wir kontinuierlich zusammengearbeitet.
Wirst Du als Solokünstler weiterarbeiten oder gibt es Pläne für die Zukunft mit Calexico?
Oh ja! Wir arbeiten an einer neuen Platte. Calexico ist das wichtigste Projekt, die Arbeit mit Joey Burns und dem Rest der Band – es gibt viele Ideen, die weiterentwickelt werden. Die Soloplatte ermöglichte mir, einige meiner eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.
Ich kenne mich mit Jazz und Klassischer Musik nicht gut aus, doch Ragland hat mich sehr beeindruckt und berührt. Wer sind Deine Lieblingsmusiker (tot oder lebendig) oder was sind Deine wichtigsten Einflüsse?
Oh, Christina, das sind so viele: Max Roach and Thelonius Monk sind die beiden wichtigsten Jazzeinflüsse. Im Bereich der Klassischen Musik liebe ich besonders Eric Satie and Franz Liszt. Hier ein paar meiner Lieblingsmusiker: Jim White, der Schlagzeuger von Dirty Three, Duke Ellington, Willie "the lion" Smith, Brian Blade, Art Blakey, Tom Waits, Bob Dylan ….und so weiter, und so weiter …
Kann man Ragland als Popmusik bezeichnen oder sind solche Kategorisierungen für Deine Musik unbedeutend?
Diese Frage fürchte ich am meisten, wenn jemand wissen möchte, welche Art von Musik ich denn spiele. Wäre ich ein Jazzmusiker, würde ich stolz sagen "ich spiele Jazz", und würde ich traditionellen Bluegrass spielen, würde ich sagen, "ich spiele Bluegrass". Der Knackpunkt ist aber, dass ich alle möglichen Arten von Musik spiele. Ich mag es, die Stile zu mischen. Du kannst einen rauchigen Bluegrassbeat zu einer treibenden Basslinie spielen und es kann sich für jemanden anhören wie Jazz ….oder auch total anders. Das liebe ich an Musik.
Die Kirche scheint einen wichtigen Stellenwert auf Ragland zu haben (Auf Stücken wie When Mass was said in Latin, Comb your Hair with Water and go to Church) – kannst Du etwas dazu erzählen?
Beide Stücke erinnern mich an meine Kindheit, an zwei sehr unterschiedliche Kirchenerlebnisse. Als ich noch sehr klein war, ging ich zur Messe mit meinen Großeltern, die aus Bari/Italien stammten. Die Messe wurde auf Latein gehalten und beeindruckte mich schwer. Das andere Stück erinnert mich an das Gefühl, das ich hatte, als ich mit meiner Mom zur Kirche ging. Ich fühlte mich unbehaglich, als würde ich nicht ordentlich aussehen, Mom fummelte ständig an meinem Haar herum und versuchte, mit Spucke auf dem Finger mein kleines, dreckiges Gesicht zu säubern. Die Kirche spielte eine große Rolle während meiner Kindheit und ich fühle mich bis heute verankert, im guten wie im schlechten Sinne. Aber meistens im guten ….
Warum ist Dein Vater auf dem Plattencover?
Volker Zander stellte sich das Cover so vor, dass etwas aus dem Bild "herausschaut", Augen in irgendeiner Form. Ursprünglich wollten wir ein Autowrack aus den 50er Jahren nehmen, unter anderem einen VW Käfer. Aber ich habe diese Zeichnungen über meinem Klavier hängen, die meine Eltern im Jahre 1964 zeigen; ich war damals ein Jahr alt, das fünfte und letzte Kind, das meine Eltern haben sollten. Ich habe diese Porträts sehr oft angeschaut, während ich das Album aufgenommen habe. Mein Vater war Klavierspieler, und als er starb, war er erst 57. Wir standen uns sehr nahe, und als Volker vorschlug, ihn aufs Cover zu nehmen, hielt ich es für eine sehr gute Idee.
Ich habe einen deutschen Zeitungsartikel über Dich und Calexico gefunden, und in der Überschrift steht: "So leise muss man erst mal spielen können". Wie wichtig ist die Stille für Dich und Deine Musik? Möchtest Du einen Kontrapunkt zu Rock’n’Roll setzen?
Ich brauchte sehr lange, um zu verstehen, dass die Noten, die Du nicht spielst, manchmal die besten sind. Als Schlagzeuger trete ich ja immer in den Hintergrund, damit sich ein Song entfalten kann. Ich glaube, es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, um in eine Art meditativen Zustand zu gelangen. Die Stücke auf Ragland stehen eher für diesen Zugang zur Musik.
Wie wichtig ist Tucson/Arizona für Deine Arbeit? Würde sich Deine Musik anders anhören, wenn Du in New York oder Los Angeles leben würdest?
Es scheint doch sehr wichtig zu sein. Manche Songs scheinen allerdings von einem New York-ähnlichen Ort zu kommen … jedenfalls bin ich in NY geboren. In LA habe ich in meinen Zwanzigern gelebt, und diese Stadt spielte eine große Rolle in meinem Leben. Aber das Leben hier in Tucson, wo die Sonne mein Hirn bruzzelt, läßt der Musik mehr Raum, scheint mir.
Spielst Du alle Instrumente auf Ragland selbst?
Ja.
Kannst Du Dir eine Stimme für Deine Musik vorstellen? Wenn ja, wer wäre das?
Kein Gesang, bitte.
Vielen Dank für das Interview!