Herbstplatte ohne "L"
Mit einem Besuch der Go-Betweens rechne ich immer im Herbst, spätestens seit 16 Lovers Lane gehört für mich der (gedachte) Klang fallender Blätter zu einer neuen Platte der Australier – für die Go-Betweens selbst wohl auch, sonst hätten sie wahrscheinlich ein anderes Foto fürs Innencover von Oceans Apart ausgesucht als dieses, das die Band in dicken Klamotten auf buntem Herbstlaub zeigt. Aber ob es nun Frühling, Herbst oder Winter ist: über ein Lebenszeichen alter Freunde freut man sich zu jeder Zeit.
Das Go-Betweens-Prinzip, kein Plattentitel ohne mindestens zwei "L" wurde bei der Comebackplatte The Friends of Rachel Worth von 1999 gebrochen, bei Bright Yellow, Bright Orange von 2002 wieder aufgenommen, bei Oceans Apart nun gibt es überhaupt kein "L" - ein Zeichen? Wofür? Jedenfalls hat Robert Forster seine Zelte in Deutschland abgebrochen und lebt wieder in Australien, davon erzählt der Opener Here Comes a City, ein klassisches Forster-Stück, schmissig, treibend, ein Song über Bahnhöfe und Dostojewski-Leser. Die übrigen neun Stücke sind nicht mehr so klar wie sonst in "typisch McLennan" oder "typisch Forster" aufzuteilen. Gut, Forster mag es hier und da ein wenig rauher und Grant McLennan ist noch immer der Mann für die feinsten Melodien, aber die frühere Konkurrenz zwischen den beiden scheint – im fortgeschritteneren Alter – immer weniger wichtig zu sein. Der Schönheit der Songs tut dieser Umstand keinen Abbruch, da die Annäherung keineswegs Verwässerung oder Verleugnung der jeweiligen Eigenheiten bedeutet. Oceans Apart ist allerdings keine so offensichtliche Hitplatte wie Rachel Worth (mit Surfin‘ Magazines und The Clock), die Songs brauchen einen Tick länger, um sich dann aber als unvergeßliche Ohrwürmer zu entpuppen. Das locker-trabende Born to a Family beschreibt, wie es ist, wenn man der Misfit der Familie ist: "Born to a Family of honest workers / Then I came along / Golden boy who belonged / And changed the system / of honest workers / I was square into the hole / there was someting in my soul / what could I do?"
Darlinghurst Nights fällt schon durch seine Länge (über sechs Minuten) aus dem Rahmen, ungewöhnlich ist bei diesem Stück auch der Bläsereinsatz, der für einen Ausklang á la Sgt. Pepper sorgt. Auf No Reason to Cry verarbeitet Grant McLennan mutmaßlich die Trennung von Ex-Bandkollegin Amanda Brown: "Been fifteen years since we last spoke / The wounds have healed on my throat" und liefert gleichzeitig das rührendste Liebeslied der Platte. Das rockige This Night's For You präsentiert die Band in ausgelassener Spiellaune und sorgt für Vorfreude auf die kommenden Liveauftritte. The Statue läßt eine Groovebox das Tempo vorgeben, aber ansonsten gibt es keine technischen oder kompositorischen Experimente. Oceans Apart ist eine vollkommene, runde Sache mit wunderschönen Momenten, in denen die Go-Betweens zeigen, dass sie noch immer lässig großartige Melodien aus dem Ärmel schütteln können, ohne Anzeichen von Verschleiß oder Anstrengung zu zeigen. Und dass sie – ob im Sommer, Herbst oder Winter – einfach die schönsten Popsongs der Welt schreiben.