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April 2005
Andreas Gläser
für satt.org


Liselotte Millauer:
Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

Die autorisierte Christian Anders-Biografie.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag Berlin 2005

Cover

408 Seiten, 48 Seiten Bildanteil, Hardcover mit Schutzumschlag, 19,90 €
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»Es fährt ein Zug nach Nirgendwo«
Die autorisierte Christian Anders-Biografie
von Liselotte Millauer

Die Christian-Anders-Biografie „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ ist ein besonderes Buch. Sobald ich erwähnte, dass ich es lese, bekomme ich einen höhnischen Kommentar mit der anschließenden Bitte, es zu verborgen. Liselotte Millauer interviewte, bevor sie die Arbeit mit Christian vertiefte, Staatsoberhäupter und Hollywoodgrößen. Im Buch über einen der erfolgreichsten deutschen Schlagerstars der 70er Jahre geht es um den nunmehr 60jährigen als Antonio Augusto Teichert geborenen Christian. Von seiner ersten Agentin Ann Busse bekam er den Künstlernamen, mal so eben, beim blättern im Telefonbuch. Das auf und ab in Christians Leben zeichnete sich bereits ab, als seine Mutter, die mit ihm im neunten Monat schwanger war, die Treppe hinunterstürzte, wobei er sich im Mutterleib einen Leistenbruch zuzog.

Christian Anders

Während der ersten Kapitel wird in der Familiengeschichte geforscht, da ist von der Großmutter mit hellseherischen Fähigkeiten die Rede, und von der Mutter, die mit zwei Kindern von Deutschland nach Italien geht, und dort ihr drittes Kind bekommt, ihren Gustl/Christian. Trotz aller Nachkriegswirren baut sie sich jenseits der Alpen eine gutbürgerliche Existenz auf, die sie jedoch der Sehnsucht nach Deutschland opfert. Das Drama des bis dahin glücklichen Gustl beginnt im hessischen Auffanglager, wo die Teicherts zu den Ärmsten zählen. Gustl klagt seine Mutter wiederholt an, weshalb sie ihn geboren habe. In der Schule wird er verprügelt, bis er sich erfolgreich wehrt. Seinen Kampf intensiviert er mit Karate, wo er es zum schwarzen Gürtel bringt. Er streift stundenlang mit der Gitarre durch den Wald, um seine Stimme zu schulen; „die Bäume waren die Zuschauer, die Zweige raschelten Beifall.“ In München gelandet, treibt er es mit den ersten 20 seiner 2000 Frauen, worunter sich diverse Schlüsselpersonen der Schlagerbranche finden.

Seinen ersten Vertrag erhält er 1966, drei Singles floppen. Als seine Produzenten ihm das Material der letzten Chance antragen, ist Christian entsetzt: knapp sechs Minuten „Geh nicht vorbei“. Zu lang und konzertant für einen Schlager. Christian nickt die Single ab und kämpft wie ein Schwarzgürtelträger um sie, als er beim RTL-Radio-Moderator Frank Elsner zu Gast ist, der das Lied per Werbeeinspielung teilen will. Christian droht ihm Gewalt an, seinen angehenden Manager Dieter Behlinda prüft er auf dessen Standfestigkeit, indem er ihn beim ersten Treffen schlägt und würgt. Die Halbweltgestalt ist hart im nehmen und wird für tauglich befunden. „Geh nicht vorbei“ berührt die Menschen, 1969 verkaufen sich 1,3 Millionen Singles. Im Berlin-Charlottenburger Edelbordell singen Willy Brandt, Christian Anders und die Damen des Hauses „Geh nicht vorbei“, „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ und sonstige Schlager des „Nutten-Mozarts“, der fortan im goldenen Rolls Royce durch die Lande rollt. Christian Anders verdient, nunmehr auch als Arrangeur, Produzent und Texter, Millionen in Deutschland. Nach den Konzerten warten die Frauen in seinem Hotel, mitunter beglückt er Mutter und Tochter, später macht er auch vor Rex Gildo nicht halt. In Marbella ist es eine 80jährige, die ihm das Gefühl gibt, dem Tod noch nie so nahe gewesen zu sein. Seine Millionen verzockt er beim Würfeln auf den Jachten reicher Araber, die aufgrund ihrer magnetisierten Spielutensilien besser vorbereitet sind. Sein Lieblingsspielzeug, eine Goldkugel, vergisst er im Vollrausch auf einer Toilette. Er ist eben Anders und singt unbeirrt vom verlassen werden, während er die Gefährtinnen seiner Lebensabschnittchen betrügt; Dunja Rajter ist nur eine davon. Nach fünf spanischen Jahren findet er sich mittellos und depressiv in Berlin wieder, aus Schuldengründen flüchtet er nach Los Angeles.

Es wird esoterisch, Christian heißt nun Lanoo, bleibt ein Multitalent, und schreibt das 2000seitige „Buch des Lichts“ und ähnlich ausufernde Beiträge zur Rettung der Menschheit, wie „Der Mann der AIDS erschuf“ und „Der wahre Bankenschwindel“. Seine hellseherischen Fähigkeiten lassen ihn den Zusammenbruch des Euro für 2008 voraussagen. An Gönnerinnen mangelt es weiterhin nicht. Christian ist hin und her gerissen zwischen L.A., wo er als Guru sein Auskommen findet, und Deutschland, wo er als Sänger seinen alten Fehlern verfällt, was den Leser bald nicht mehr wundert. Heute lebt er in Koblenz, auf einer Burg, oder doch Nirgendwo? Letzteres muss vermutet werden, nachdem er dieser Tage auf seiner Website darüber schwadronierte, dass George Bush schlimmer als Adolf Hitler sei, da Hitler die Juden im Geheimen ermordete, wogegen Bush die Iraker und andere Völker öffentlich mordete. Der TV-Sender Pro Sieben und der ARD-Radio-Sender SWR 4 haben die Zusammenarbeit für geplante Produktionen schleunigst gekappt.