Nein, hier kein "die Grand Dame des Country" (noch schlimmer unhöflich: "die große alte Dame") oder ähnliche Formulierungen. Ungefähr so originell wie zum x-tenmal die "Coalminer's Daughter" aus der Rumpelkiste zu ziehen. Die Hintergründe sind wahrscheinlich ohnehin jedem klar, schließlich gibt's die Platte bereits einige Monate, samt Berichterstattung in den einschlägigen Blättern. Produziert und mitgewirkt hat Jack White, zwar ohne Meg White, dafür aber mit einer Band, die jung genug ist, um traditionelle C&W-Instrumente zu spielen, ohne daß man befürchten müßte, es könnten peinliche Truck-Stop-Cowboyhut-Träger von der Pedal Steel angelockt werden. Hinweise auf die Johnny Cash-Rick Rubin-Kollaborationen kamen natürlich sofort zuhauf, aber mir scheinen Vergleiche (wenn man unbedingt welche braucht) mit den letzten Platten von Solomon Burke und Al Green doch logischer: Hier wurde niemand gerettet, der ziemlich weit unten war, sondern hier hat ohne äußeren Zwang und ohne es nötig zu haben, eine/einer noch einmal frische Musik gemacht, die garantiert nicht Gottschalk-Oldie-Show-kompatibel ist. (In zweieinhalb Minuten bietet "Story Of My Life" übrigens eine Kurzfassung ihrer Biographie.) Und wer beim Video zu "Portland Oregon" gesehen hat, wie Loretta Lynn in einer Bar mit Jack White flirtet und ihm auch mal auf die Finger klopft, wenn er sich allzu offensichtlich nach irgendwelchem jungen Gemüse umschaut, kann auch (zumindest als Mann) "Oops" denken bei der Art wie die immerhin Siebzigjährige die Zeile "Your dreamin' boy she'll never look your way" (aus "Van Lear Rose") mit dieser unglaublichen Augenzwinker-und-um-den-Finger-wickel-Stimme bringt.
Dieses erste Stück "Van Lear Rose" ist gleichzeitig das titelgebende der Platte, und das ist klug gewählt, vereint dieser Song doch drei Motive, die immer wieder im Werk Loretta Lynns auftreten: das Coalminer-Milieu, der Familienverweis und daß die Liebe oft verschwurbelte Wege geht. Beim Lesen dieses Songtextes dachte ich an ähnliche Bilder, die in Townes van Zandts Kneipen-, Spieler- und Minergeschichten immer wieder auftauchen (unter anderem in einem Song namens "Loretta"), ein Eindruck, der durch die Opulenz des Arrangements beim Hören allerdings nicht gestützt bzw. überlagert wird. Selbst merkwürdig finde ich, daß ich gleich zweimal an die Flying Burrito Brothers denken mußte: beim "Trouble on the Line"-Intro an "Juanita" und bei "Little Red Shoes" an "Hippie Boy", weil hier auf ähnlich freie Art mit den Mitteln des Talking Blues gearbeitet wird. Rabiater geht's in "Family Tree" und "Mrs. Leroy Brown" zu: Ähnlich wie in "You Ain't Woman Enough To Take My Man" ein paar Jahre zuvor steckt Loretta Lynn klar ihren Claim ab, und die Beteuerung "I wouldn't dirty my hands on trash like you" betont eher noch die harte Rechte. Diese Frau packt das Mägdelein am Pferdeschwanz statt um ihren Mann zu betteln – der Gegenentwurf zu Dolly Partons "Jolene", das kürzlich ja von den White Stripes aufgenommen wurde. Schön auch, daß das textlich betuliche "God Makes No Mistakes" (ja, die Befürchtung bestätigt sich, hier ist Titel gleich Aussage) unmittelbar in eine Mord- und Gefängnisgeschichte übergeht, die gut von Johnny Cash stammen könnte. (Das naiv-religiöse Gottvertrauen aber halt auch.) Der einzige Track des Albums, über den ich meist hinwegspringe, ist "High On A Mountain Top", was aber vielleicht persönlich bedingt ist: inflationäres "Von den blauen Bergen kommen wir"-Singen damals im Kindergarten. Abgesehen davon und alles in allem: tolle Platte, tolle Frau, geht's weiter?