Ach ja, die "A Tribute to …" Sampler sind schon eine Sache für sich. Das Machen eines solchen gestaltet sich anscheinend denkbar einfach: kaum fällt der Name des zum Abschuss ….ehm, pardon - zum Interpretieren freigegebenen Künstlers (bevorzugt werden dabei die kultigen Relikte der vergangenen Jahrzehnte und zwar sowohl die, die noch gut im Geschäft sind, als auch die leider Verblichenen), schon rennen die Scharen von Bands und Solomusiker verschiedensten Bekanntheitsgrades den Ideengebern der Scheibe die Bude ein, um ihnen ihren eigenen Neuinterpretationen (das böse Wort "Cover" wurde schon längst aus ihrem Vokabular gestrichen) der gerade relevanten Werke voller Stolz zu präsentieren. So könnte man zumindest meinen, betrachtet man die beachtliche Anzahl solcher Kompilationen beim Plattenhändler um die Ecke und den allgemeinen Anteil von Coverversionen in den Charts überhaupt. Nach meiner groben Einschätzung, aus der Abteilung "(noch) keine Leichen, dafür aber seit Jahrzehnten Kult" musste deswegen bis Dato das Liedgut von Depeche Mode, Sisters of Mercy und Kraftwerk am häufigsten dran glauben.
Nicht, dass ich generell etwas gegen das Covern hätte, Gott bewahre. Schade nur, dass dabei eher selten was wirklich gutes, sprich Unerwartetes rauskommt. Doch es gibt natürlich auch Ausnahmen.
Und da wir gerade eben bei Kraftwerk waren, es gäbe da eine Kompilation …
Das Kultlabel Mute beglückt uns in diesem Sommer mit einem Sampler namens "Trans Slovenia Express Vol. 2". Auf dem Silberling präsentieren verschiedene, wie der Name schon vermuten lässt, slowenische Künstler ihre Interpretationen der Werke der deutschen Elektrohelden mit, und das sei an dieser Stelle vorweg gesagt, teilweise erstaunlich guten Resultaten.
Nun die Frage, warum gerade die Kompositionen von Kraftwerk als Ausgangsmaterial herhalten mussten, lässt sich ganz einfach beantworten. Bereits 1994 brachte das Label von Daniel Miller den ersten Teil der Kraftwerk Tribute Kompilation raus. Damals ging es darum, dem Rest der Welt zu zeigen, dass die slowenische Musikszene einiges mehr als die düsteren Elektroniker von Laibach zu bieten hat. Die für die Mehrheit der Hörerschaft total unbekannten Bands an die weltbekannten Tracks von Kraftwerk ranzulassen, empfanden die Macher der Kompilation anscheinend als die beste Alternative. Das Konzept ging wohl auf. Und da eine Dekade in der Musikbranche in etwa einer geologischen Epoche entspricht, sei es allemal an der Zeit, die neue Garde der slowenischen Künstler vorzuführen.
Doch zuerst trifft der Hörer die alten Bekannten. Denn den Anfang macht, genau wie bereits vor elf Jahren, das keiner-verletzt-die-Regeln-der-deutschen-Grammatik-so-charmant-wie-wir Künstlerkollektiv Laibach. Verwirrenderweise ist deren Beitrag "Bruderschaft" eigentlich KEINE Kraftwerk Coverversion, sondern eine Eigenkomposition, die aber genauso klingt, als ob die Altmeister sie persönlich geschrieben hätten.
Als nächstes präsentiert das Duo Silence, zusammen mit Gastsängerin Anne Clark, die man eigentlich treffender als "Gastrednerin" bezeichnen müsste, eine grandiose digital-analoge Neuinterpretation von "Spiegelsaal" – umbenannt zur "Hall of Mirrors".
Die großartige Stimme des Silence Sängers, Texters und Komponisten Boris Benko kommt auf dem Album übrigens nochmals zur Geltung – in der sehr gelungenen Version von "Radioactivity" umgesetzt von dem Frauenstreichquartett Rozmarinke.
Die nächsten "analogen" Künstler auf dem Sampler – die Alternative Rocker von Siddharta füllen in ihrer Heimat locker ganze Sportstadien. Ende Mai gaben sie ein verdammt gutes Konzert im Bielefelder Forum, nur leider - aus Mangel an Publicity - vor praktisch leeren Rängen. Und das ist sehr schade, da die Band erst auf der Bühne ihre wahren Qualitäten enthüllt. Deswegen bin ich mir ganz sicher, dass auch "The Robots" live dargeboten noch um einiges besser klingen würde.
Die vier oben genannten Bands gehören seit langen zu meinen Favoriten, doch der "Trans Slovenian Express Vol. 2" brachte auch für mich zwei vollkommen neue auditive Offenbarungen.
Absolutes Highlight - The Stroj – eine Band bestehend aus neun Drummern, die, ein wenig nach dem Stomp! Prinzip, die Alltagsgegenstände als Instrumente benutzt wie in dem atemberaubenden Track "Metal on Metal".
Und dann, hoppla schon wieder ein Kollektiv – diese Variante der Künstlergruppierung scheint bei den Slowenen ganz populär zu sein - Bast mit ihrer jazzig- experimentellen Version von "Mitternacht" – einfach phantastisch! Interessanterweise wurden beide Bands von einem Veteran der ersten Kraftwerk Kompilation nämlich Aldo Ivancic produziert. 1994 war er darauf mit seiner Elektro-Punkband Borghesia vertreten.
Die letzte "analoge" Beitrag stammt von der Künstlerin Lara B, einer der bekanntesten Rocksängerinnen ihres Landes . Auch sie wählte "Spiegelsaal" bei ihr ebenfalls "Hall of Mirrors" genannt. Meisterlich produziert wurde sie übrigens von Peter Penko, der mit Laibach kooperiert und die ersten zwei Alben des oben erwähnten Popduos Silence ebenfalls produziert hat. Nun ja, in einem Land mit gerade mal 2 Mio. Einwohnern kann die Musikszene auch so groß und vielfältig sein, sie tauscht sich rege untereinander aus. Oder einfacher ausgedrückt: im Endeffekt kennt wahrscheinlich jeder jeden.
Wenn ein "analoger" Künstler einen elektronischen Klassiker mit Einsatz von "richtigen" Instrumenten und ohne durch Computer verfälschte Stimme neuinterpretiert, ist das Resultat, zumindest meiner Meinung nach, fast immer eine positive Überraschung, die einige neue Facetten des Stücks an die Oberfläche bringt und da kann die "digitale" Fraktion naturgemäß schwer mithalten. Genauso ist es leider auch auf der Kompilation. Nicht dass die hervorragend produzierten Beiträge von Sequan, iTurk, Moob, Alenia, O.S.T. oder Torul vergleichsweise schlechter wären, nichts dergleichen. Nur, dass solche Tracks hauptsächlich in den Clubs bei voller Tanzfläche funktionieren und, meiner äußerst subjektiven Meinung nach, nicht wirklich für den "Hausgebrauch" geeignet sind. Auffallend auf dem Silberling: es fehlen die zwei international bekannten Größen der Electroszene: DJ Umek und Random Logic. Ob die Herren keine Lust, oder schlicht keine Zeit hatten, um für den Sampler ihre Kraftwerk-Interpretationen beizusteuern, bleibt dahingestellt. Mein persönlicher Preis im Bereich "House-Techno-Electro/DJ/Laptop Künstler" geht auf jeden Fall spontan an DJ Octex für das NICHT-Benutzen des Vocoders auf seinem Track "Computer Love".
Alles in allem bleibt "Trans Slovenian Express Vol. 2" eine Kaufempfehlung. Bei etwa 50% Trefferquote, zumindest was den musikalischen Geschmack der Rezensentin angeht, hat die Kompilation ihren Sinn, nämlich auch die unbekannteren slowenischen Künstler zu etablieren, erfüllt. Auch der für Neues offene Durchschnittshörer findet auf der Scheibe gewiss persönliche Favoriten. Schon deswegen, weil fast alle Musikrichtungen außer Punk, Reggae und Dancehall drauf vertreten sind.
Einen kleinen "Schönheitsfehler" hat der Sampler aber doch. Mute Records geizt mit den Infos zu den Künstlern, nicht einmal die Homepageadressen der Involvierten wurden auf dem Cover abgedruckt. Andererseits, im Zeitalter von Google könnte man jedem, der die Play-Taste seines CD-Spielers betätigen kann, ebenfalls zumuten- den gesuchten Begriff ins richtige Feld einzutippen und "Enter" zu drücken. Die beiden beschriebenen Aktionen durchzuführen lohnt sich bestimmt. Es gibt noch vieles zu entdecken in der slowenischen Musikszene.