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August 2005
Christina Mohr
für satt.org


Art Brut:
Bang Bang Rock’n’Roll

Fierce Panda/Banana Recordings/Cargo Records 2005

Art Brut: Bang Bang Rock’n’Roll
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Art Brut:
Bang Bang Rock’n’Roll

Young, Loud and Snobbish

Art Brut live:
14.9.: München, Atomic Café
15.9.: Hamburg, Knust
17.9.: Münster, Gleis
18.9.: Frankfurt am Main, Mousonturm
19.9.: Köln, Gebäude 9

"People think I'm being ironic all the time, but I'm not. I'm just really enthusiastic!" sagt Eddie Argus, und hört man nur die ersten Sekunden auf Bang Bang Rock’n’Roll, nimmt man ihm den Enthusiasmus sofort ab: "Look at us, we formed a Band!" schreit er, voller Stolz und Begeisterung über diese ungeheure Leistung. Art Brut sind ein Quintett aus Bournemouth, GB, die Bescheidenheit eventuell für eine Zier halten, aber keineswegs für ein adäquates Mittel, den eigenen Zielen näher zu kommen. Deshalb benannten sie sich auch gleich nach einer ganzen Kunstrichtung, den Begriff Art Brut hatte 1945 zuerst Jean Dubuffet verwendet. Als Art Brut, also "rohe unverfälschte Kunst" werden Kunstwerke bezeichnet, die abseits des etablierten Kunstbetriebs enstanden, geschaffen von Autodidakten aller Couleur, aber auch Werke von Geisteskranken, Gefangenen, Außenseitern, Unangepaßten – verlockender Name für rebellische Musiker also, und eigentlich verwunderlich, daß es nicht schon längst eine Band dieses Namens gab. Die Band Art Brut besteht aus dem bereits erwähnten Sänger Eddie Argus, den Gitarristen Chris Chinchilla und Ian Catskilkin, der Bassistin Fredie Feedback und dem Drummer Mikey B – Art Brut scheinen große Spaßvögel zu sein! Aber Spaß macht es auch, ihre Platte zu hören, und zwar gewaltig. Dank Art Brut gibt's in diesem Jahr kein Sommerloch, "Bang Bang Rock’n’Roll" ist bestens geeignet, langweilige Grillpartys aufzumischen, nimmt man die CD mit ins Schwimmbad, darf mit Reinspringen von der Seite und jeder Menge Arschbomben gerechnet werden. Aber alles mit Stil, bitte: Eddie Argus steckt schließlich noch nicht mal einen Schlüsselbund in die Taschen seines Jackets, damit sie nicht ausbeulen.

Der Energielevel des ersten Songs "Formed a Band" wird fast durchweg gehalten, großspurig und –mäulig, irgendwo zwischen den Sex Pistols und den Undertones, verliebt wie Jonathan Richman und angekotzt wie The Fall jagen Art Brut durch die 12 Stücke; im zweiten Song "My little Brother" macht sich der ältere Bruder Gedanken über den jüngeren, der sich in den Fängen des "bösen" Rock’n’Roll befindet: "My little brother just discovered Rock’n’Roll. He's only 22 and he's out of control" – eine rührend-absurde Sorge, es sei denn, die beiden Brüder würden in den Fünfziger Jahren leben. In "Emily Kane" singt Eddie Argus über seine erste Liebe, die er nie vergessen konnte: "Other girls went and other girls came / I'm can't get over my old friend / I'm still in love with Emily Kane"; "Rusted Guns of Milan" behandelt das delikate Thema erektiler Funktionsstörungen; in "Fight" wird der männliche Discoparkplatz-Kampf verteidigt: "Some people like things left unspoken / I prefer a habit out in the open / come on, come on, let's have a fight", und die Gatti Gang, legendäre italienische Räuberbande, die bei einem ihrer "Coups" ganze 18 000 Lire erbeutete, also ungefähr 2,50 Euro, taucht als Symbol glamourösen Scheiterns gleich in drei Songs auf. Eddie Argus klingt wie ein jugendlicher, lebensfroher Mark E. Smith (unvorstellbar?), er spricht/singt gegen eine ungestüme musikalische Mixtur aus frühem britischem Punkrock und wildem Garagenrock an, verneigt sich kurz vor Pulp und Blur, aber nicht zu lange, denn man überlegt schließlich einen Umzug nach Los Angeles: "Hang around with Axl Rose / buy myself some brandnew clothes ( …) I'm drinking Hennessy with Morrissey ( …) I'm considering a move to L.A." ("Moving to L.A.).

Art Brut verstehen es aufs Hinreißendste, jugendlichen Größenwahn und adultes Scheitern, enthusiastisches Rumgrölen mit schnöseligen Liebesbezeugungen zu verquicken – es gab schon lange keine Band mehr, die so gerne schwätzt und labert und dabei durchgehend unterhaltsam bleibt. Ja, man will mit ins Schlafzimmer zu Eddie und seiner neuen Freundin: "We went through the front door / we went upstairs / through the bedroom door / to the bedroom floor / I've seen her naked twice! I've seen her naked twice!" ("Good Weekend"), das ist so volle Kanne aufschneiderisch und angeberhaft – als wäre Eddie gerade 13 Jahre alt und die nackte Freundin noch ein echter Aufreger. Andererseits auch total englisch (More Sex please, we're british). Der unbefangene Umang mit Versatzstücken von Punk und Rock, der unerschütterliche, entwaffnend hochnäsige Glaube an die eigene Wichtigkeit und das Fehlen eines "The" vorm Bandnamen werden Art Brut ziemlich sicher davor bewahren, in die Armada der –zig vielversprechenden neuen Bands eingereiht zu werden, die alle die neuen Strokes oder Franz Ferdinand sein sollen. Aber Eddie Argus singt schließlich auch: "Popular culture don't apply to me!"