Der Popjournalismus hat ja schon viele schwammige Genrebegriffe hervorgebracht. Einer der am wenigsten trennscharfen, neben „Gitarrenrock", ist wohl Electro . Oder doch Elektro? Als bequemer Sammelbegriff bezeichnet das „E-Wort“ alles mögliche von Kraftwerk über eine bestimmte Form des Detroit Techno bis hin zu Electronic Body Music belgischer Prägung. Spannende Musik kann dabei allemal herauskommen. Für die Verbreitung derselben kann sich das Fehlen einer Schublade für Elektro-Musiker sogar als Nachteil erweisen: Keine der spezialisierten Musikzeitschriften fühlt sich zuständig.
Grund genug, das sehr hörenswerte Elektro-Projekt Der Unsichtbare selbst zu Wort kommen zu lassen. Andreas Köglowitz bildet zusammen mit Tarek Jumah alias Charly Kent das in Bayern und dem Ruhrgebiet ansässige Duo. Nach einigen Vinyl-Veröffentlichungen haben sie kürzlich ihre erste CD „Feinde der Freude“ vorgelegt. Auf Einladung des Berliner Electro-Plattenladens Das Drehmoment war Der Unsichtbare im Frühjahr 2005 auch im Komfort Klub in Berlin-Mitte live zu hören.
satt.org: Der Unsichtbare - der Name wirft die Frage auf: Ist die Anonymität der Person, die hinter der Musik steht, wichtig für dein künstlerisches Konzept? Oder ist der Name nur als Hommage an den B-Movie-Klassiker gleichen Titels zu verstehen?
Andreas Köglowitz: Keines von beiden. Der Name ist ein Tribut an einen Kindheitstraum. Ich wollte als Kind immer unsichtbar sein, aus verschiedensten Gründen.
Dein erstes Album hieß ja auch „Die elektronische Kindheit“ und verfolgte das Konzept, unterschiedlichste Einflüsse einer musikalischen Sozialisation auf einem Electro-Album zu verarbeiten – von NDW bis Motörhead. Nun klingt deine Musik aber weder nach NDW noch nach Motörhead, die Samples sind gut versteckt. Welche Künstler waren für dein eigenes Musikmachen wegweisend?
Schwere Frage. Mit ca. 10 Jahren habe ich angefangen, bewusst Musik zu hören, d.h. Musik aus dem Radio aufzunehmen und Platten zu kaufen. Meine erste Platte war Peter Schillings "Fehler im System". Bis ich ca. 14 war, war NDW angesagt und eigentlich kein Favorit dabei. Mit 14 kam ich dann auf den New Wave of British Heavy Metal. Ich wurde Iron-Maiden-Fan und kenne noch heute jeden Song auswendig, den sie bis 1987 rausgebracht haben. Des Weiteren hatten starken Einfluss auf mich Motörhead und Accept. Ende der 80er wurde es dann etwas grungiger mit Nirvana, Cypress Hill, aber auch Pantera. Anfang der 90er kam zuerst Acid, dann Industrial und dann Techno zusammen mit elektronischem Ambient, den ich auch lange selbst aufgelegt habe. Zu Elektro als DJ kam ich ca.1998. Während der ganzen Zeit hatte ich auch immer Spaß an klassischer Musik oder Jazzkonzerten. Ein genauer Einfluss ist also nicht auszumachen, eher eine Mischung des, nennen wir es "Ganzen".
Von seiner historischen Entstehung her ist Electro ja eine Spielart des Detroit Techno, plakativ gesprochen: die Antwort der Industriebranche Detroit auf HipHop. Gerade in Deutschland hat man den Eindruck, dass vielen Leuten, die "normalen" Techno mögen, Electro zu "düster" ist und Electro aus eben diesem Grund eher ein Nischendasein fristet. Deckt sich diese Einschätzung mit deine Erfahrung? Und in welchen Szenen findest du dein Publikum? Dein Albumtitel "Feinde der Freude" lässt ja vermuten, dass es dir um eine Musik geht, die den Hörer gerade mit dunklen Momenten konfrontiert.
Hm, ich denke Elektro oder auch Electro kommt aus verschiedenen Ecken, je nachdem, wo man steht. Für mich kommt Elektro aus den 80ern und mehr aus der Ecke Kraftwerk als Grandmaster Flash. Heute wird so viel als Electro bezeichnet, dass ich mich stark wundere, was daran Elektro sein soll. Vieles ist heute ein Marketingzug, um nicht schon wieder einen Techno-Act anzukündigen. Ich selbst suche mein Publikum nicht, sondern es findet mich … Es sind Menschen aus den unterschiedlichsten Richtungen und Ländern. Ein Versuch, meine Musik besser zu promoten, ist daran gescheitert, weil keine Zeitschrift die Musik einer genauen Richtung zuordnen konnte. Somit wurde fast nirgends darüber berichtet.
Zudem finde ich gar nicht, dass "Feinde der Freunde" mit den dunklen Momenten konfrontiert. Es zeigt eher einen Blickwinkel ungeschminkt. Wenn das in unserer momentanen Gesellschaft schon "dunkel" ist, dann sind wir eben alle im Vergleich zum Hochglanzwerbeprospekt etwas dunkel.
Mit „wir alle“ meinst du Musikerkollegen, die dieselbe Richtung vertreten, oder? Was mir an dem Album „Feinde der Freude“ gegenüber vielen anderen Platten des Genres auffiel, war, dass es neben Stücken, in denen Filmsamples eher andeutungshaft eine Geschichte skizzieren, auch einen explizit politischen Track gibt, geradezu einen Elektro-Protest-Track: „Ich bin das absolut Böse", sagt die Stimme in dem Stück „Präsident 43". Der 43. Präsident der USA ist George W. Bush. Wie wichtig sind solche politischen Aussagen für deine Musik?
Mit „wir alle“ meinte ich schon alle.
Ja, „Präsident 43“ ist eindeutig politisch anklagend. Der Song sollte zuerst „Bush“ heißen, das war vor seiner Wiederwahl. Mein Produzent wollte aber auf keinen Fall politisch sein, so gaben wir dem Song zuerst den Namen „Kefir“ (so auf der „Elektronischen Kindheit"-LP). Nach Bushs Wiederwahl konnte ich mich nicht mehr halten und musste ihn in „Präsident 43“ umbenennen, da ich auch ganz klar zeigen will, wo ich stehe, ob man das nun macht in der Musikszene oder nicht. Mir persönlich ist eine politische Aussage sehr wichtig, und in letzter Zeit will ich sie auch bewusst in der Musik mittransportieren. Nicht zu oft, aber ab und zu.
Zufällig ist der holländische Filmemacher Edwin Brienen ("Lebenspornographie", „Both Ends Burning", …) auf das Lied aufmerksam geworden und dreht zur Zeit ein Video dazu, was mich sehr freut.
Die Trennung von Komponist und Produzent, die du da andeutest, scheint mir für elektronische Musik, wo Komposition und Aufnahme ja fließend ineinander übergehen, eher ungewöhnlich. Wie muss man sich die Arbeitsweise des Duos Der Unsichtbare vorstellen? Und welche Instrumente, welche Software, welche Aufnahmegeräte benutzt ihr dabei?
Wir arbeiten als klassisches Team. Ich bereite Ideen vor, sammle Samples und Töne. Damit gehe ich dann mit Tarek Jumah ins Studio und sage erst mal, was ich will. Er versucht dann, das Ganze in Musik umzusetzen. Während des Prozesses ergeben sich oft von beiden Seiten neue Ideen, und am Ende steht nach viel Schweiß und mit rauem Hals ein neuer Song. Zudem haben wir das einfache Minderheitsprinzip, wenn einem etwas gar nicht gefällt, fliegt es raus. Viel Zeit vergeht bei uns mit improvisierten Überzeugungsreden.
Wir arbeiten mit dem Programm Logic. Als Instrumentierung verwenden wir oft gesampelte Töne, die wir zum Teil noch verfremden, oder mit den klassischen Plug-ins bei Logic. Aufnahme erledigt der Computer mit, und das Mastering findet auf einem großen Yamaha-Mischpult statt.
Euer erstes Vinyl-Album erschien ja auf dem Elektro-Label Kommando 6 , während die neue CD „Feinde der Freude“ über deine eigene Firma UBooks vertrieben wird. UBooks hat ja in musikalischer Hinsicht ein wesentlich breiteres Spektrum an Stilen zu bieten als Kommando 6, als Buchverlag ist UBooks hingegen stark an der Gothic-Szene orientiert. Versucht ihr mit dem Wechsel des Vertriebswegs diese Szene als Publikum zu erschließen, oder stehen eher finanzielle bzw. logistische Gründe dahinter?
Dahinter steckt einfach, daß Kommando 6 keine CDs veröffentlicht.
UBooks war erste Wahl, weil ich eben dort arbeite. Der Vertriebsweg ist uns aber trotzdem versperrt, da die Musikgroßhändler keine neuen Labels bzw. Acts mehr aufnehmen. Man kommt nur noch rein, wenn man Verkaufszahlen nachweisen kann, und die bekommt man nur über den Großhandel. Die Vielfalt der Musikszene wird dadurch in den nächsten Jahren nachhaltig eingeschränkt. Darin liegt zudem auch ein Hauptgrund für den Verkaufsrückgang in der Musikbranche allgemein. Hier schaufelt sich eine Branche ihr eigenes Grab. Zu kaufen gibt es die CD momentan nur über den Webshop des Ubooks-Verlags.
Für die meisten Musiker, die ihre Tonträger selbst produzieren, sind Liveauftritte ja die wichtigste Plattform, um ihre CDs zu verkaufen. Ist das bei Der Unsichtbare auch so? Und wie muss man sich die Livesituation, die musikalische Rollenverteilung bei einem so stark vom Aufnahmeprozess geprägten Projekt vorstellen?
Für mich ist es in erster Linie nicht wichtig, Tonträger von meiner Musik zu verkaufen, da ich nicht davon leben muss. Beim Unsichtbaren ist es sogar umgekehrt. Die Leute kaufen das Vinyl oder die CD und buchen uns dann für Livegigs. Die Vinylauflagen von 300–500 Stück sind meist innerhalb von ein paar Wochen abverkauft, da gibt es dann auch nichts mehr zu verkaufen.
Die Livesituation sieht so aus, dass wir versuchen, alles so "live" wie möglich zu gestalten, und da sind vier Hände nützlicher als nur zwei. Grundsätzlich geht es, dass ich auch alleine spiele, jedoch geht dann ein bisschen Livefeeling verloren, da ich nicht alles gleichzeitig spielen kann. Richtige Rollen gibt es da nicht, je nach Song spielt jeder das, was er am liebsten macht. Nur die Vocals liegen rein bei mir.
Gibt es in den kommenden Monaten bzw. im Herbst irgendwelche aktuellen Live-Termine, die man sich vormerken könnte?
Leider nicht. Die neue EP "Echtzeitreise" ist aber soeben bei Kommando 6 erschienen, somit werden im Herbst wohl ein paar Liveauftritte folgen. Infos darüber gibt es immer unter: www.der-unsichtbare.de
Schon im Vorfeld der aktuellen CD ist ja ein Track davon auf dem UBooks- bzw. USound-Sampler "The Official Black Market Soundtrack" zusammen mit Musik von über 20 anderen Künstlern aus dem Elektro-Bereich, aber auch ganz anderen Genres erschienen. Dieses Projekt wurde von dir initiiert, was auch deine Betonung der Verbindung Politik/Musik unterstreicht. Kannst du ein abschließend paar Sätze zu dem Album und seinen Hintergründen sagen?
Das Album ist das Ergebnis eines Aufrufes von www.gebrauchtemusik.de und Usound , dem musikalischen Ableger vom Ubooks-Verlag. Ende 2003 haben wir aufgerufen, musikalische Beiträge zu einem Sampler zu liefern, die sich mit den Themen GATS und Globalisierung beschäftigen. Vom Ergebnis waren wir sehr positiv überrascht, und es sind ein paar echte "Schmankerl" auf dem Album zu finden. Da man heute mit guter Musik kein Geld mehr verdienen kann, muss man wenigstens seiner Meinung Ausdruck verleihen, frei nach Kraftwerk: "Es wird immer weiter gehn, Musik als Träger von Ideen". Ich bin sicher, dass Usound und wahrscheinlich auch gebrauchtemusik.de wieder solch ein Projekt starten werden.
Das klingt nach einem erfolgreichen Projekt. Nun war es ja auch als Benefiz-Album konzipiert, mit dem Geld für die globalisierungskritische Arbeit von Attac eingenommen werden sollte. Habt ihr denn im Rahmen dieser nichtkommerziellen Zielsetzung (Spenden-)Geld verdient?
Hätte ich fast vergessen. Der Erlös kommt dem Attac-Netzwerk zu Gute. Wir haben einen guten dreistelligen Betrag für Attac erzielen können.
Na, dann sieht es ja so aus als könnte man mit guter Musik für eine gute Sache doch noch Geld verdienen ;-). Ich bedanke mich für das Interview und wünsche weiterhin viel Erfolg bei deiner Arbeit.