Die Casady-Schwestern Bianca und Sierra alias Coco Rosie machen's einem leicht, zumindest, was ihre Verortung innerhalb einer bestimmten Community angeht: Im Booklet ihrer neuen CD grüßen sie Diane Cluck, Spleen und Jana Hunter, Bianca macht Liebe mit Devandra Banhart, der auf Noah's Ark ebenso mitsingt wie der queere Superstar Antony. Die Schwestern malen sich Bärte auf, tragen indische Gewänder und lieben es, Grenzen jeglicher Art zu ignorieren. Also alles ganz easy, bitte einsortieren unter Neofolk und Transgender oder wie? Sooo einfach ist der Einstieg ins Coco-Rosie-Universum dann auch wieder nicht, denn es gibt ja – zuallererst – die Musik. Und die ist wirklich außergewöhnlich, ihr 2004er Debüt La Maison de Mon Reve verzauberte und verstörte gleichermaßen durch den Gebrauch allerlei Kinderspielzeug, Tröten, Rasseln, die von den beiden Schwestern wie „normale“ Instrumente eingesetzt wurden. Dazu der Gesang von Sierra (ausgebildete Opernsängerin) und Bianca, deren krächzendes Organ klingt wie eine bröckelige Björk. La Maison … enthielt wunderschöne Songs wie Terrible Angels, die die verwirrte Popwelt augenreibend zur Kenntnis nahm, Coco Rosie vereinten Punkattitüde mit hippieeskem Folk und ihre Konzerte gehörten zum Zauberhaftesten, was einem in 2004 begegnen konnte.
Nur ein Jahr später, die Schwestern haben unzählige Auftritte und Reisen hinter sich, haben die beiden ihr Nomadenleben auf einem neuen Album verarbeitet: Noah’s Ark ist kein Jota glatter oder eingängiger als La Maison, erneut muß man sich einlassen auf das bizarre Werk, das jedoch binnen kürzester Zeit einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Hinter all den verspielten Details wie Spieluhren, miauenden Katzen oder Telefonklingeln verbergen sich ungemein starke Songs, die nach bester Front-Porch-Manier sehr low-fi eingespielt sind und das Gefühl erzeugen, mitten in Coco Rosies seltsamem Kaminzimmer zu sitzen. Ähnlich wie Jesus & Mary Chain (obwohl die Musik beider Bands kaum unterschiedlicher sein könnte), die ihre schwelgerisch-schönen Melodien unter Feedbackgewittern vergruben, dekonstruieren Coco Rosie vertraute Songstrukturen und verarbeiten Shanties, Gospel, Folk und Mörderballaden zu versponnenen Miniopern. Gruselige Kinderlieder, intoniert von zwei „terrible angels".
Dass Bianca und Sierra in keinerlei Kategorien passen ist beinah unnötig zu erwähnen, aber sie sind durchaus noch ungewöhnlicher als andere ungewöhnliche Musiker. Wer zum Beispiel läßt auf dem Cover seine Mutter nicht bloß grüßen, sondern präsentiert sich mit ihr auf einem Foto als gehörte sie zur Band? Coco Rosie tun das, als Triumvirat im Frida-Kahlo-Style posieren Töchter und Mutter, wie ein sehr abgefahrenes Heiligenbild wirken die drei.
Die Coco-Rosie-Welt hat aber noch sehr viel mehr zu bieten, besonders hervorzuheben ist der Song Beautiful Boyz, in welchem der Überraschungsstar des letzten Jahres, Antony (hier ohne seine Johnsons) sein Falsett erklingen läßt. Im Text geht es um „pimps and queens and criminal queers / all those beautiful boyz / tattoos of ships and tattoos of tears". Sehr zart, sehr eindringlich, sehr schön.
Der Titelsong ist minimalistisch gehalten, ein Kindergebet vermischt mit einem seltsamen Traum, zum Refrain wird ein magnetisierender Beat ausgerollt: „Thank you God for this fine day / Bless all the children of the world / and thank you for the plants / and the animals / bring me sweet dreams tonight / and help me be good tomorrow".
Gott spielt noch öfter eine zentrale Rolle, im ersten Stück K-Hole geht es wesentlich düsterer zu als in Noah’s Ark: „Tiny spirit in a k-hole / bloated like soggy cereal / God will come and wash away / our tattoos and all the cocaine / and all of the aborted babies / will turn into little bambies".
Schön, dass Coco Rosie trotz aller Rätselhaftigkeit und Nonkonformität doch irgendwie als „Pop“ durchgehen – die einschlägigen Blätter widmen ihnen Doppelseiten, die Journalisten lieben die abgedrehten und fotogenen Schwestern. Die größtmögliche Aufmerksamkeit sei ihnen hiermit gewünscht!