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September 2005
Christina Mohr
für satt.org


GRLZ – Women Ahead of Their Time
Sampler
Crippled Dick Hot Wax! 2005

GRLZ – Women Ahead of Their Time
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GRLZ
Women Ahead of Their Time

Eins vorab: Dieser Artikel wird ohne verachtungswürdige Begriffe wie „Frontfrau“ oder „Rockröhre“ auskommen, obwohl es ausschließlich um Frauenbands geht. Der Sampler GRLZ – Women Ahead of Their Time war so sehr längst fällig wie schon lange nichts mehr und man kann dem Label Crippled nicht feste genug für diese Idee auf die Schulter klopfen.

Simon Reynolds schreibt in seinem 500-Seiten-Wälzer Rip it up and Start Again, dass erst mit Postpunk, also in der Zeit nach 1978 die eigentliche kreative Phase der modernen Popmusik begann und keineswegs mit Punk, der noch viel zu rock’n’roll- und damit schwanzorientiert agierte. Doch für diese Erkenntnis reicht es völlig, sich die vorliegende Compilation zu besorgen, die – leider – nur etwas über 40 Minuten lang ist. Zur Zeit werden ja viele Bands wieder ausgegraben, die auf einmal als Vorbilder für angesagte Jungsbands wie Bloc Party herhalten müssen: von Orange Juice ist da die Rede, von Gang of Four und neuerdings auch von der Pop Group. Alles wunderbare Bands, deren Wiederentdeckung lohnt und vorbehaltlos empfohlen sei; aber: wo sind die Frauen? Kennt niemand mehr die Slits, will niemand mehr was mit den Au Pairs zu tun haben? Sind sie alle irgendwann in die Babypause gegangen und wurden fortan nicht mehr wahrgenommen als visionäre, kreative und hochpolitische Vorreiterinnen für heutige Musikerinnen?

GRLZ ist eine Schatztruhe voller baßlastiger, energiegeladener Stücke, die zeigen, dass Musikerinnen in den frühen Achtziger Jahren voller Spielfreude und Leidenschaft mit Musikstilen wie Dub, Reggae, Wave/No Wave, Punk und Jazz experimentierten – funky, eckig und ungemein tanzbar. Ähnlich wie Konk oder Liquid Liquid, mit dem Unterschied, dass diese Bands eben reine Männerclubs waren.

Einige Songs auf GRLZ dürften bekannt sein wie zum Beispiel C-30, C-60, C-90 von Bow Wow Wow, einem Malcolm-McLaren-Erzeugnis, das aus den Überresten von Adam & The Ants gecastet wurde. Ohne Sängerin Annabell Lu Win hätte die Band wahrscheinlich wesentlich weniger Beachtung gefunden, aber McLaren erkannte füchsisch die enorme Bühnenpräsenz des burmesischen Einwandererkinds, die eindrucksvoll und sexy für Wirbel sorgte. Ihr großer Hit, der auch auf vielen Punk-Hit-Samplern vertreten ist, wird hier nicht auf Englisch gesungen, sondern auf Spanisch, glaube ich.

Authentischer als Bow Wow Wow waren die unvergleichlichen Slits, ich erinnere mich noch gut daran, als ich mit ungefähr 12 eine Slits-Platte kaufte und meine zufällig mithörende Oma fassungslos den Kopf schüttelte: „Die sind total durchgedreht – völlig verrückt!“ Ja genau, das hatte meine Oma gut erkannt, Ari Up, Palmolive, Viv Albertine und Tessa Pollit waren auf jeden Fall verrückt und durchgeknallt und haben großartige Girlpower-Hits hinterlassen wie beispielsweise Typical Girls. Außerdem bekommen sie von mir den Preis für die beste Coverversion ever, ihre intensive, gefährliche und wahnwitzige Wiederbelebung von I Heard It Through The Grapevine, die der/die umsichtige Compilator mit auf diese Platte gepackt hat.

Daß Neneh Cherry mal aufregendere Sachen machte, als mit Youssou N‘Dour „7 Seconds“ zu säuseln, wird offenbar durch die beiden Songs von Rip, Rig & Panic, einem Jazz- und Wave-Experimentalkollektiv, dem sie einige Jahre angehörte. Die Platten von R, R & P gehören zum Spannendsten und Interessantesten der frühen Achtziger Jahre und es dauert hoffentlich nicht mehr lange, bis auch diese wunderbare Band ihre späte Würdigung erfährt.

Aber auch die unbekannteren Bands und Sängerinnen auf GRLZ sind keine Verlegenheitsfüller, jeder Song ist für sich genommen ein Hit, zeitlos und voller Kraft. Delta 5‘s umwerfendes Mind Your Own Business muß unbedingt laut gehört werden und verleiht Energie und Überschwang für mindestens fünf Jahre. Softness von der damals erst 19 Jahre alten Dorothy erschien auf Industrial Records und der Text stammt gar von HRM Genesis P. Orridge himself.

Nicolle Meyer, hier mit Nowhere By Mir vertreten, gehörte zur lustigen Fred Banana Combo, und fotografierte mehrere Jahre lang exklusiv Joseph Beuys. Viele weitergehende Infos und Anekdoten stehen im Booklet zur CD (GRLZ wird auch limitiert auf Vinyl erscheinen!).

Es gibt also jede Menge zu entdecken, GRLZ liefert eine Vorlage, stellt aber auch Aufgaben an den/die geneigte/n Hörer/in: Bitte weiterforschen nach ESG, Au Pairs, The Raincoats, The Waitresses, Mania D, Malaria!; Kleenex/Lilliput, Bush Tetras, Cristina – to be continued.