Mick Harvey Foto © Penny Stephens |
Der Mann ist der einzige, der Nick Cave jemals auf der Bühne schlagen durfte. Sein Bandleader und Freund seit Schulzeiten hatte bei einem Konzert der Birthday Party den Einsatz verpasst. Thomas Wydler, Drummer bei The Bad Seeds und Die Haut, war er der erste Englischlehrer. Jenseits klischeehafter Anekdoten sind Mick Harveys Leistungen Legion. Zahllose Cave-Klassiker wie „Tupelo", „The Mercy Seat“ und „Red Right Hand“ sind mit aus seiner Feder geflossen. Seit 1975 ist der Multiinstrumentalist Nick Caves John Cale – ohne Zerwürfnis. Der charakteristische Sound der Bad Seeds, von Kritikern einst gerne mit einer elegant swingenden Müllhalde verglichen, wäre ohne ihn undenkbar. Crime & The City Solution, Hugo Race, Robert Forster, Anita Lane – dass Australien in Sachen Independent keine terra incognita ist, dafür hat er als Sessionmusiker, Produzent und Komponist eigenwilliger Soundtracks mit gesorgt.
Am 11. September hat Mick Harvey in der Kalkscheune sein kürzlich erschienenes Solo-Album „One Man’s Treasure“ vorgestellt. Für ihn ein Heimspiel – von Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre war West-Berlin Harvey und Cave Wahlheimat. In der Stadt, die laut Iggy Pop weder zu Ost- noch Westdeutschland gehörte, entstanden fünf Alben voller gefährlicher Schönheit. Dass die Frontstadt mittlerweile Hauptstadt und Harvey nicht mehr in Kreuzberg, sondern in der neuen Mitte auftritt, entbehrt nicht der Ironie. Dass für Harvey die Tage der Exzesse gezählt, Kreativität und Liebe zur Musik dabei aber nicht verloren gegangen sind, das beweisen Platte und Auftritt dagegen gleichermaßen. Bereits die Vorband setzt den Ton des Abends. The Natural Wonders, mit Harvey befreundetes Duo, eröffnen mit atmosphärischen Country Noir und lassen ihre Miniaturen gelegentlich von Chris Hughes, trommelnder Derwisch bei Hugo Race & True Spirit, veredeln.
Es braucht die obligatorische Stunde Verspätung, und Harvey selbst betritt die Bühne. Das Warten hat sich gelohnt. Hochkarätige Unterstützung hat sich der 47-jährige mitgebracht. An Orgel und Akustikgitarre assistiert ihm niemand geringerer als James Johnston, manischer Frontmann von Gallon Drunk und Blixa Bargelds Nachfolger bei den Bad Seeds. Zusätzlich ein Drummer, der auch schon mal das Klavier bedient und zum Mikrofon greift. Dass Harvey bereits bei The Birthday Party eher derjenige war, der im Chaos den Überblick behielt, wird überdeutlich. Statt Krawall und Radau regieren Einkehr und oftmals Stille. Was letzten Endes radikaler und konsequenter ist als der zehnte Aufguss von 1977. Der Abend gehört Lee Hazelwood und Jeffrey Lee Pierce, Tim Buckley und Serge Gainsbourg. Harvey wäre natürlich nicht Harvey, wenn er nicht noch Stücke aus dem australian songbook mit nach Berlin gebracht hätte. Neben Nick Cave, Conway Savage und Kim Salmon erfahren The Saint’s Chris Bailey und David McComb von den sträflich vergessenen Triffids die Ehre, von ihrem Landsmann kongenial interpretiert zu werden. Zwei Songs, die übrigens nicht auf „One Man’s Treasure“ zu finden sind und hoffen lassen, dass Harvey seine Streifzüge durch die letzten Jahrzehnte Musikgeschichte fortsetzen wird. Mit „Man Without A Home“ und „Will You Surrender“ spielt er seine beiden Eigenkompositionen des Albums, die sich nahtlos in die klingende Ahnengalerie einfügen. Und als er „Sad Dark Eyes“ anstimmt, weht sogar noch einmal der Geist der in den 80er Jahren fiebrig durchwachten Nächte durch die Kalkscheune, erhält der Jazzclub den verspäteten Anstrich eines Undergroundtempels.
Harvey selbst meistert dabei die ihm neue Rolle als Frontmann mit Humor und Understatement. Er macht seine Ansagen auf deutsch. Wo Nick Cave zur großen Geste greift, gibt sich sein Kollege subtil und gelassen. Er bleibt es auch, als einige Male die Technik seinen Ansprüchen nicht zu genügen scheint. Was den intimen Charakter des Abends nur noch verstärkt. Ein sichtlich enthusiastisches Publikum, unter ihnen eine Delegation aus Einstürzenden Neubauten und Bad Seeds, dankt es ihm und ermutigt den stillen Australier gar zu drei Zugaben. Einziger Wermutstropfen: Das Konzert war Harveys einziger Auftritt in Deutschland. Mittlerweile hat er seine kurze Europatour am 15. September in London beendet – wo er 1980 mit Cave & Co. begann, dem europäischen Punkrock australischen Blues zu lehren.