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Oktober 2005
Christina Mohr
für satt.org


Jovanka von Willsdorf & Chrish Klose:
Gequälte Brötchen. Ein Küchenzauberbuch

Schwarzkopf & Schwarzkopf 2005

Jovanka von Willsdorf, Chrish Klose: Gequälte Brötchen.
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Home is Where the Kühlschrank steht

Jovanka von Willsdorf
& Chrish Klose:
Gequälte Brötchen.
Ein Küchenzauberbuch

Ein Kochbuch? In der Rubrik „Musik"? Jahaa, denn dieses Kochbuch hat Jovanka von Willsdorf, die Sängerin der Quarks geschrieben und das allein rechtfertigt schon die Aufnahme, finde ich. Dazu kommt, dass Jovankas Rezepte all jenen entgegen kommen, die anderes im Kopf haben als eine ordentliche Vorratshaltung und die ihr sauer verdientes Geld lieber in Platten und Ausgehen investieren als in eine High-End-Designerküche. Das luxuriöse 30teilige Topfset aus Edelstahl braucht kein Mensch, ebensowenig wie die von französischen 3-Sterne-Köchen handgeschliffenen Messer. Ein bißchen Salz im Schrank zu haben ist gut, und wenn sich noch drei alte Brötchen, ein Apfel und vielleicht ein Restchen Honig finden, ist ein erstklassiges Frühstück garantiert!

Jovanka und die kongeniale Illustratorin Chrish Klose haben sich vorgenommen, das Essen und das Kochen aus den Fängen hyperaktiver TV-Köche, mehlsoßenfabrizierender Omas und erbsenzählender Spielverderber zu befreien, denn: Ein erhobener Zeigefinger ist nur für eines gut, und zwar zum Ablecken! Jovanka von Willsdorf haßt Kochbücher à la „Ich helf Dir kochen“ oder „Die 25 besten Nudelsalatrezepte". Essen soll satt und Spaß machen, und Kochen ist kein Hexenwerk: Gequälte Brötchen ist ein liebevolles Küchenzauberbuch, eine Reise ins Dosengemüse-Märchenland und eine Wundertüte voll ungeahnter Köstlichkeiten. So lernen wir zum Beispiel, dass Schoko-Weihnachtsmänner und –Osterhasen kleingeschreddert im Tiefkühlfach gerne auf ihren zweiten Frühling oder Advent in Form einer improvisierten leckeren Soße oder auch als Schokostreusel warten. Möchte man an einem verträumten Sonntagmorgen den oder die Liebste/n mit einem Frühstücksei überraschen und es ist – oh Schreck! – tatsächlich nur ein Ei da (und teilen ist bei einem Ei unmöglich, das legt Madame v. Willsdorf schlüssig dar), gibt es hier eine Menge alternativer Ideen, was man mit einem Ei so alles anfangen kann. Ei-Gießen beispielsweise!

Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis verrät, dass die Zubereitung und der Verzehr von Nahrungsmitteln eine kreative Herausforderung sein kann und soll: Von der Kunst der Stunde über Die einfachsten Dinge bis zur Tassen-Agenda führt uns Jovanka; ferner klärt sie die Leser über die Tiefkühllüge auf (" … das Problem der Tiefkühlpizza ist ihr Name! Würde das Ding stattdessen heißer Keks‘ oder einfach Turbo Cracker‘ heißen, man wüßte gleich, woran man ist …") und schreibt gar einen Liebesbrief an den Mais: „Liebster Mais, Du warst immer da und bist es auch jetzt, und nicht nur für mich …."

Da Jovanka im Leben schon viel herumgekommen ist und weiß, wovon sie spricht, empfiehlt sie den Brühwürfel als sinnvolles Mitbringsel aus fernen Ländern: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie so ein eckiges kleines Ding einem binnen weniger Minuten und Handgriffe die gesamte abendliche Skyline Bangkoks durch den Mund in die Erinnerung zurückzaubern kann (natürlich nur, wenn auch der Würfel aus Bangkok mitgebracht wurde)."

Wir alle kennen das ungeschriebene, aber unumstößliche Gesetz, dass das Telefon immer dann klingelt, wenn man die Nudeln gerade in den Topf gekippt hat (auch gerne „Murphys Law“ genannt). Während plauderfreudige Mütter oder liebeskummerkranke Freundinnen Hand und Ohr mit Beschlag belegen, verkocht die Pasta von al dente zu totaler Pampe. Aber auch hier weiß die Autorin Rat: Unter der Überschrift Das Nudel-Fiasko wartet sie mit jeder Menge fantasievoller Varianten für den vermeintlich wertlos gewordenen Teigmatsch auf – Kirschauflauf ist nur eine der leckeren Möglichkeiten. Man soll sein Essen immer fragen: „Was kann ich noch mit Dir anfangen?“ und es wird gewiß antworten, man muß nur genau hinhören. Die verkochten Nudeln jedenfalls haben zu Recht um eine zweite Chance gebeten. Jovanka buchstabiert das etwas andere Küchen-ABC von A-nchovis über F-lachmann bis P-wie Polenta, geißelt die Geisterbahn der Gesundheitsmonster und hokuspokusfidibus wird auch dem letzten Kochmuffel und Herdplattenverachter klar, dass in der Küche mehr Pop und gute Laune stecken, als Muttis Römertopf und das obligatorische WG-Chili-con-Carne je verheißen konnten.

Und steht der Bandname Quarks am Ende doch für etwas Eßbares und nicht für hypothetische Elementarteilchen?