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Oktober 2005
Gerald Fiebig
für satt.org


Companeros Compasos: Skateboardträger
Elfenart 2005

Companeros Compasos: Skateboardträger

"Fast so kompliziert
wie das Bahnpreissystem"
Die Punkband Companeros Compasos
zwischen Pop und Protest

Seit 2000 gibt es die deutsche Band Companeros Compasos, die ihren Stil selbst als Punchpunk bezeichnet. Jetzt legt das Trio auf dem Label Elfenart Records nach mehreren Demos sein erstes offizielles Album „Skateboardträger“ vor.
Musikalisch ist die 12 Songs umfassende CD im aufwändigen, typisch fun-punk-mäßigen Cartoon-Singlecover schnell beschrieben: Melodischer Punk-Pop in kurzen, knackigen Portionen, professionell und trotzdem nicht zu sauber produziert und mit einigen hübschen Synthie- und Saxofontupfern garniert. Wer das Genre liebt, wird das Album mögen.

Companeros Compasos

Teile der Punkszene werden es vielleicht etwas weniger mögen, wenn sie genau auf die (durchweg deutschsprachigen) Texte hören beziehungsweise diese auf dem Cover nachlesen. Titel wie „Punk ist auch nur Disco“ oder „Punkrock vs. Vollspacken“ (die durch betrunkenes Randalieren Konzerte stören) machen deutlich, dass Companeros Compasos ihrem potenziellen Publikum ganz schön die Leviten lesen. Stumpfe Parolen und exzessiver Bierkonsum widersprechen ihrer Auffassung von Punk. Andererseits wird in vielen Textpassagen deutlich, dass sie in Punk mehr sehen als nur einen Musikstil. Oder vielmehr sehen möchten. Denn eine gesellschaftskritische Position zu formulieren, die über das mit Edding auf die speckige Jeansjacke gemalte A im Kreis und das auf dem Bahnhofsvorplatz geschnorrte Bier hinausgeht, gelingt ihnen nicht, so sehr sie sich auch den Kopf zermartern über die Widersprüche unserer Gesellschaft, in der es oft nicht leicht auszumachen ist, „wer der Feind des Ganzen ist". Da würde es schon helfen, dieses Ganze benennen zu können, aber „a propos System, wir sind gegen wen?"

Es zeigt sich: Da der globalisierte Kapitalismus zum einzigen Weltsystem geworden scheint, ist es schwierig geworden, einen antikapitalistischen Protestsong zu schreiben. Denn es gibt keine sinnlich greifbaren, anschaulichen Gegen-Bilder zum Kapitalismus mehr, wie man sie für einen Popsong in der Regel braucht. In den Zeiten der Systemkonkurrenz hatten es Bands da leichter: Die Beatles etwa mussten aus „Surfin’ USA“ nur „Back In The USSR“ machen, und schon hatten sie auf spielerische Weise ein politisches Statement formuliert.

Um heute das System zu kritisieren, müsste man stattdessen so sperrige Begriffe wie eben „Kapitalismus", „Sozialabbau“ und – als Gegenentwurf – „Nachhaltigkeit“ und „Existenzgeld“ singen. Wirklich rocken tut das nicht. Companeros Compasos wagen sich mit nahezu hysterischem Mut dennoch an die Materie heran, „und die Beatles singen weiter und ich bin eine ICH-AG“ – eine ruppige Hymne auf Zweifel und Ratlosigkeit, die auch musikalisch das Highlight des Albums bildet.

Wim Wenders prophezeite bereits in den 80ern, der „Allerspätestkapitalismus“ werde über den „Allerspätestkommunismus“ siegen, weil er seine Ideologie in „großartigen leeren Formen“ transportiere, während der Realsozialismus mit „großartigen leeren Inhalten“ operieren müsse. Auch in den Songs der Companeros Compasos gibt der alltägliche Konsum – Sneakers und Trainingsjacken, Kino und IKEA – eben die griffigeren Bilder her, deshalb sind Songs über diese Themen eben in der Überzahl. Aber die Companeros Compasos wissen, dass Jungsein und Spaßhaben noch keine subversive Position ausmacht.

Punkrock spielen aber auch nicht. Das ist das Fazit, das man aus den 12 Songs von „Skateboardträger“ ziehen kann. Wo Punk musikalisch revolutionär war, war er’s nicht, weil er den Rock’n’Roll wiederbelebt, sondern weil er ihn zerlegt und mit anderen Kraftquellen kurzgeschlossen hat: Die Stooges hörten John Coltrane. Gang of Four lasen marxistische Theoretiker und sangen von den „working classes“ und dem „bourgeois state". Das hat nicht verhindert, dass sie heute als Einfluss mit hohem Hipness-Faktor von allen möglichen Bands zitiert werden. Wer weiß, vielleicht steht die Ära des Systemkritik-Popsongs kurz bevor und die Companeros Compasos haben es geahnt: „Wohnst du noch, oder lebst du schon?"