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November 2005
Robert Mießner
für satt.org


Chumbawamba:
A Singsong And A Scrap

Edel Records 2005

cover
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A Singsong and a Scrap

TRADITION UND REBELLION
Chumbawamba „A Singsong And A Scrap"

Leeds, 1982/83: Seit über drei Jahren ist Margaret Thatcher im Amt. Es wird ein England vor ihr und ein England nach ihr geben. Das alte Jahr war kein gutes. Falklandkrieg und Arbeitslosigkeit haben ihm den Stempel aufgedrückt. Das neue beginnt keinen Deut besser. Phil Collins führt die UK-Single-Charts mit „You Can’t Hurry Love“ an. In einem besetzten Haus im Stadtteil Armley wird den Musikern von Chumbawamba klar: Sie lagen richtig, als sie sich nach dem Schlachtruf der Hooligans von Leeds United benannten. Ihre erste Veröffentlichung liegt bereits hinter ihnen – auf dem Label ihrer Vorbilder, der Anarcho-Punks von Crass, haben sie sich an der Compilation „Bullshit Detector“ beteiligt. Der Titel spricht für sich. Genau wie ihr erstes Plattenlabel, dass sie Agit-Prop nennen werden und ihre erste Single „Revolution".

Chumbawamba
Chumbawamba (Foto: Shirlaine Forrest)

Zwanzig Jahre später ist Thatcher Geschichte und role-model einer deutschen Kanzlerin. Tony Blair gibt den Sonderbotschafter für George W. Bush. Beleg für die Beständigkeit der Verhältnisse, gegen die Chumbawamba angetreten sind und die sie 2005 ungleich subtiler, aber nicht weniger deutlich als 1982 attackieren. Als „newfolk agitprop acoustic Metallica“ wollen sie sich auf „A Singsong And A Scrap“ präsentieren. Eine Abkehr und eine Veränderung soll das Album markieren. Die Überraschung ist ihnen gelungen.

Auf 12 Songs und einem Bonustrack greifen sie die Idee von „English Rebel Songs“ (1988) auf und entdecken die Rebellion in der Tradition. A-Capella-Chöre, Flöten, Melodeon und Akkordeon sind an die Stelle von Samples, Breakbeats und Loops getreten. Das Album, veredelt durch Gastmusiker der Oysterband und Abgesandte aus der englischen Folkszene, schlägt einen weiten Bogen. Die Anarchistin Emma Goldman, der die Band das Zitat „Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution“ verdankt, Joe Hill, Songwriter und Revolutionär wie Joe Strummer, der 2002 mit 50 Jahren verstorbene Gründer von The Clash, treten auf. Carlo Giuliani, während der Anti-Globalisierungsproteste in Genua 2001 von der Polizei erschossener Demonstrant, wird mit einer Neuinterpretation von „Bella Ciao“ geehrt. Folktradition und Landlosenbewegung werden verhandelt.

Ein Vorhaben, das humorlos und belehrend hätte enden können. Es aber nicht tut. Nicht von ungefähr beginnen Chumbawamba ihren Theoriekurs mit „Laughter In A Time Of War". Verglichen mit den Bearbeitungen englischer Folklore von Test Department oder Charlie Hadens Music Liberation Orchestra klingt „A Singsong And A Scrap“ ohrenfreundlich und fast wie ein Lagerfeuersoundtrack. Auf der selben Seite der Barrikade muss aber gefragt werden, wer letzten Endes mehr Hörer finden wird. Radikale Inhalte in zugänglicher Verpackung – möglicherweise liegt darin der besondere Kunstgriff des Kollektivs. Ihre Musik haben sie einmal als Punk, aber nicht Punk-Rock beschrieben. Eine Unterscheidung, die auch auf „Tubthumper“ (1997) oder „Anarchy“ (1998), beide weitgehende Ausflüge in Richtung Pop, bereits Sinn gemacht hat. „A Singsong And A Scrap“ fusioniert Dialektik mit Stille. Für den Lautsprecherwagen eher ungeeignet.