Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
Broken Social Scene und Stars haben gerade ihre jeweils dritten Alben herausgebracht – da ich deren jeweils erste und zweite Platten nicht kenne, konnte ich ganz unbelastet an die Musik herangehen: keine ablenkenden Vergleiche mit dem rohen Frühwerk und/oder der bekanntermaßen immer schwierigen zweiten Platte konnten mir Blick und Gehör vernebeln. Eins vorweg: Sowohl Set Yourself on Fire von den Stars (eigentlich nur Stars, ohne Artikel) und Broken Social Scene sind großartige Platten, die dem ausklingenden Jahr 2005 zu Glanz und Glorie verhelfen. Bei Stars kann das Cover in die falsche Richtung führen: die junge Frau mit Skimaske und Flammenwerfer (beides in rosa), die im Begriff ist, gesundheitsschädliche Pyrospielereien an sich zu verüben, läßt auf eher martialische Klänge schließen, Musik mit Kreissägen oder sowas. In Songs wie Ageless Beauty und One More Night schwingen sich geigenunterfütterte Melodien zu hymnischen Höhen auf: What I'm trying to say ist ein Hit par excellence: Standardformulierungen aus dem Lexicon of Love wie „I need you, I need you, I need you“ oder „I lo-o-ove you“ werden hier zum Besten gegeben, heraus kommt ein Liebeslied der eher ungewöhnlichen Sorte, eingeleitet durch die Zeile „You look so good in the clothes of a poser". In The First Five Times wird die süß-zarte Rezeptur, die herzlosen Menschen „kitschig“ erscheinen mag, zum ersten Mal mit Störelementen versehen: fiependes Feedback und Verzerrereinsatz versetzen dem Zuckerguß Risse. Auch der darauffolgende Song, He Lied About Death fällt aus dem harmonischen Rahmen: Angedeuteter Drum’n’Bass-Rhythmus geht über in ein furioses Finale, sehr energetisch. Funktioniert auf Set Yourself on Fire jeder Song für sich allein, sollte man das Broken-Social-Scene-Album am besten in Gänze hören, die einzelnen Stücke nicht aus dem Gesamtkonzert separieren. Die Songs klingen beim ersten Hören überladen, entwirren und entfalten sich erst nach mehrmaligem Durchlauf. 170 Tonspuren wurden angeblich im ersten Stück Our Faces Split the Coast in Half übereinandergelagert. Feuerwerk, Füllhorn, Kaleidoskop, Labyrinth, Wasserfall, Explosion/Implosion, Rausch, Vulkanausbruch – solche Worte kommen einem beim freien Assoziieren über diese Platte in den Sinn. BSS verwenden Bläser, HipHop-Beats und softige Pop-Partikel, um dann vorgefaßte Meinungen und Hörgewohnheiten im Handstreich über den Haufen zu werfen. Der bereits erwähnte Opener und Stück Nummer zwei, Ibi Dreams of a Pavement steigern sich in arkadische Soundgewitter, und man hört deutlich, dass Bands wie Sebadoh, Dinosaur Jr, My Bloody Valentine, The Sea and Cake und Tortoise ihre guten Wünsche über der Wiege ausschütteten, in der die Bandgründung stattfand, aber Broken Social Scene gehen über die musikalischen Konzepte der genannten Bands hinaus. Der Song Major Label Debut baut sich aus folkigen Klängen auf, es klingelt, flötet und klirrt sanft, das darauffolgende Fire Eye'd Boy kommt rhythmusbetonter daher, akzentuiert durch eine New-Order-Gitarre. Windsurfing Nation spielt schon vom Titel auf Daydream Nation von Sonic Youth an – Broken Social Scene maßen sich zwar (noch) nicht den direkten Vergleich mit Sonic Youth an, suchen aber durchaus die künstlerische Nähe. Superconnected ist wild und hymnisch, gesanglich wird der Geist von Jeffrey Lee Pierce heraufbeschworen; der Song gipfelt opulent und überschwenglich in einen wahren musikalischen Rausch. BSS hegen eine Vorliebe für obskure Songtitel, siehe Finish Your Collapse and Stay for Breakfast oder Handjobs for the Holidays, aber die Band verläßt sich nicht auf oberflächliche Kuriositäten. Die Musiker sind getriebene Kreative, schaffen es kaum, alle Ideen in einem Song unterzubringen. Das Album klingt deshalb sehr heterogen: zuweilen glaubt man, es liefe gerade ein Mixtape mit ganz unterschiedlichen Bands. Dieser Platte muss man Zeit gewähren; der spontane verwirrende Eindruck fügt sich nach etwa fünf bis sechs Durchgängen zu einem faszinierenden Gesamtbild, aus den Soundfragmenten schälen sich wahnwitzige Kompositionen heraus, und hier komme ich nochmal auf das Wort Kaleidoskop aus der freien Assoziation von weiter oben im Text. Fazit: Set Yourself on Fire der Stars ist eine Platte, die man schnell liebhaben wird, Broken Social Scene brauchen etwas länger, wirken dafür aber nicht weniger intensiv auf den emotionalen Haushalt. |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |