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Dezember 2005
Robert Mießner
für satt.org


Friends Of Dean Martinez:
Lost Horizon

Glitterhouse / Indigo 2005

Cover
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MORRICONE MEETS GIL EVANS
Friends Of Dean Martinez
im Knaack-Club Berlin
24. November 2005



Foto © Marko Kaplan
(Foto: Marko Kaplan)

Geschichtslos soll es bekanntlich gewesen sein, das vergangene Jahrzehnt. Ein Blick zurück in das Jahr 1995: Sub Pop, für immer mit dem Titel „Entdecker des Grunge“ geadelt wie beladen, landet einen Überraschungscoup. Diesmal nicht mit der Versöhnung der Ramones mit Led Zeppelin, sondern mit dem Charme noch früherer Tage. Das Label aus Seattle tritt eine Reise an. Aus dem hohen Norden der USA, von der Grenze zu Kanada führt sie in den tiefen Süden des Landes nach Tucson, Arizona. Wo bereits seit 1980 ein Musikerkollektiv um Howe Gelb an seiner sehr speziellen Version amerikanischer Musik arbeitet. Leiber & Stoller, Bob Dylan und Captain Beefheart sind die Ankerpunkte ihres Koordinatensystems. Giant Sand heißt ihre Band, „Desert Rock“ ihr Stil. Hinter dem Etikett verbirgt sich eine schillernde Mischung aus Swing und Rock, Blues und Country. Die natürlich nach einem eigenen Instrumentarium verlangt. Steel-Gitarre und Vibraphon, bedient von Bill Elm und John Convertino, gehören unbedingt dazu. Ebenso wie ausgedehnte Instrumentalexkursionen.

Am Rand der Sonora-Wüste und mit Mexiko südlich des Highway muss die Idee, Giant Sands Konzept ohne Worte und Gesang in die Tat umzusetzen, schon länger in der vibrierenden Luft gelegen haben. 1993 schlägt dann die Geburtsstunde der Friends Of Dean Martinez. Kaum aus der Taufe gehoben, erfahren sie eine Lektion über Hierarchien und Beständigkeit in der amerikanischen Musikszene. Ihren ursprünglichen Namen Friends Of Dean Martin müssen sie schnell ablegen – Las Vegas ist näher, als es scheint und der Arm des Rat Pack länger, als sich denken lässt. Dabei widmet sich die Band hingebungsvoll dem Geist des amerikanischen Südwestens. Auf ihrem Debüt „The Shadow Of Your Smile“ (1995) stehen neben Surfrock und Lounge-Ästhetik Thelonious Monk, Johnny Burke und Erroll Garner. Sub Pop hat den Zeitpunkt der Veröffentlichung brilliant gewählt. Ein Jahr zuvor ist Johnny Cash mit „American Recordings", produziert von Rick Rubin, ein triumphales Comeback gelungen. Der Soundtrack von Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ (1994) lebt von Dick Dale, Chuck Berry und The Revels. Die Geschichte ist in die Rockmusik zurückgekehrt – nicht als Ballast, sondern als Frischzellenkur. Als die Friends Of Dean Martinez ihr zweites Album „Retrograde“ (1997) nennen, liest sich der Titel geradezu als Manifest.

Die Band beweist Traditionsbewußtsein, ohne in die Falle bloßer Nostalgie zu tappen. Wechselt das Plattenlabel und veröffentlicht in New York auf Knitting Factory und Narnack, in Europa auf Glitterhouse. Umzüge und Umbesetzungen folgen. John Convertino und Drummer Joey Burns gründen OP 8 und Calexico. Las Vegas hätte bald ernstlich Anlass für Argwohn. „Atardecer“ (1999), „A Place In The Sun“ (2000), „Wichita Lineman“ (2001) und „Under The Waves“ (2003) markieren den Weg zu „Random Harvest“ (2004). Die Friends Of Dean Martinez klingen von Album zu Album abenteuerlustiger und experimentierfreudiger. Cocktailpartys und das Revival der Nierentische werden ohne sie auskommen müssen. „Lost Horizon", erschienen im Oktober, ist Schönheit mit Ecken und Kanten. Und sollte einen deutlichen Warnhinweis tragen: „Diese Platte macht schnell süchtig". Am 24. November haben die Friends Of Dean Martinez – Bill Elm, Steel-Gitarre und Elektronik, Mike Semple, Gitarre und Andrew Gerfers, Schlagzeug – Station in Berlin gemacht. Anlass für satt.org, sich zwischen Bar und Bühne mit Bill Elm zu unterhalten. Ein zuvorkommender und auskunftsfreudiger Musiker gab Auskunft über Jazz und Filmmusik, Bulgakow und Berliner Ausgehzeiten.

***

Bill, innerhalb von knapp anderthalb Jahren seid ihr wieder in Berlin. Mit einem neuen Album im Gepäck, das direkter als sein Vorgänger „Random Harvest“ (2004) klingt. „Hidden Out Of Sight“ ist regelrecht Rock, „Heart Of Darkness“ hat wieder Anklänge von Surf. Möchtest Du uns mehr über „Lost Horizon“ verraten?

Es ist die Aufnahme, die den Unterschied macht. Für „Random Harvest“ haben wir uns wochenlang im Studio vergraben und die Songs unzählige Male überarbeitet und abgemischt. Auf „Lost Horizon“ spielen wir eher als Live-Band unter Studiobedingungen. „Landfall", das erste Stück, ist so entstanden. Daher kommt wohl der Eindruck. Und die Musik von Clark-Hutchison ist ein wichtiger Einfluss auf dem Album. Sie waren in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern aktiv. Haben psychedelische Blues-Instrumentals mit indianischen Einflüssen gespielt. Eine außergewöhnliche Band.

Ihr geht nicht nur weit in die Rockgeschichte zurück, sondern covert euch diesmal selbst. „Dusk“ ist bereits auf „Random Harvest“ zu hören.

Das ist einer unserer Live-Klassiker. Auf „Random Harvest“ hatten wir eine lange, sehr ausgearbeitete Version. Wir wollten den Song diesmal akustisch und reduzierter aufnehmen. Es hat einfach atmosphärisch gepasst.

Sich selbst zu covern ist eine Spezialität vieler Jazzmusiker. Auf eurem Debüt spielt ihr „Ugly Beauty“ von Thelonious Monk. Kannst Du Friends Of Dean Martinez-Hörern Tips für die Jazzsammlung geben?

Nichts leichter als das! Fünf Namen fallen mir sofort ein. Hört euch Jimmy Smith an der Orgel an. Grundsätzlich jede Platte mit Elvin Jones am Schlagzeug. Er ist nie verkehrt. Kenny Burrell, wenn es um Gitarristen, Charlie Haden, wenn es um Bassisten geht. Und an Gil Evans kommt ihr nicht vorbei.

Seine Alben mit Miles Davis?

Ja, aber auch seine ganz eigenen Aufnahmen. Nimm „The Individualism Of Gil Evans“ (1963). Da ist „Las Vegas Tango“ drauf. Und Jones und Burrell spielen auch mit. Dann war er Arrangeur von Burrells „Guitar Forms“ (1965). „Lotus Land“ auf der Platte ist einzigartig. Ich kann beide nur sehr empfehlen.

Eure Alben zeigen eine deutliche Affinität zu Filmmusik. „Lost Horizon“ bildet da keine Ausnahme. Wen schätzt ihr ganz besonders? Ennio Morricone, Alfred Hitchcocks Bernard Herrmann? Wie sieht es mit Angelo Badalamenti aus?

Klassische Filmmusik ist oft Orchestermusik und lebt von den Arrangements. Und uns interessiert Musik, die gut komponiert und arrangiert ist. Bei Morricone ist das immer der Fall. Herrmanns Arbeiten für Hitchcock sind ein sehr schönes Beispiel, wie Film in Musik übersetzt werden kann. Badalamenti hat für David Lynch geschrieben. Bei ihm habe ich eher gemischte Gefühle. Einige seiner Stücke gefallen mir sehr, andere überzeugen mich weniger. Als Tip von mir persönlich noch Jon Brion. Er ist hier wohl weniger bekannt, hat aber den Soundtrack zu „Magnolia“ komponiert.

Ihr tragt diesen visuellen Aspekt auch auf die Bühne. Woher kommen eigentlich die Filme, die ihr auf euren Konzerten zeigt?

Das sind hauptsächlich Ausschnitte aus Dokumentarfilmen. Aufnahmen aus der Südsee, Reportagen – oft haben sie Freunde von uns gedreht. Einer von ihnen wird auch heute abend wieder dabei sein.

Einige dieser Videos lassen an das Grenzgebiet zu Mexiko denken. Ist das ein zusätzlicher Einfluss?

Oh, das wird überschätzt. Sicher, es ist auf unseren frühen Platten zu hören, als wir noch in Tucson gelebt haben. Aber mit Austin, Texas als Hintergrund würde ich das nicht mehr so sehen.

Nicht zu überhören sind dagegen Elemente von Ambient und Dub.

Ja, und David, unser Drummer, spielt das auch. Er trommelt beim Echo Base Soundsystem. Sie kommen auch aus Austin und experimentieren viel mit Dub und Reggae. Wir haben sogar vor kurzem zusammengearbeitet und eine Coverversion von Morricones „The Sicilian Clan“ aufgenommen.

Wir kennen euch als strikte Instrumentalband. Habt ihr Pläne, mit Gastsängern zu arbeiten, wie es Dirty Three oder Mogwai kürzlich getan haben?

Nun, für die USA haben wir jetzt unsere eigene Plattenfirma, Aero Recordings, gegründet. Das gibt uns natürlich mehr Möglichkeiten. Wir mögen Micah P. Hinson. Er stammt ursprünglich aus Memphis, Tennessee und ist bereits als Teenager nach Texas gekommen. Micah ist einer unserer großen Songwriter. Wir werden sehen.

Aero ist eure Basis in den USA. In Europa werdet ihr von Glitterhouse betreut.

Worüber wir sehr froh sind. Wir sind nicht die Band, aus der eine Plattenfirma schnell viel Kapital schlagen kann. Glitterhouse wissen das genau. Ihnen geht es um die Musik, nicht um das schnelle Geld. Aber zuhause wurde es wirklich Zeit mit dem eigenen Label.

Unternehmen wir einmal einen Schwenk auf dem Globus. Wir sitzen hier in Berlin wenige Flugstunden von Moskau entfernt. Ihr habt dort unlängst auf einer Party des russischen Playboys gespielt. Wie ist es dazu gekommen? Welche Eindrücke habt ihr aus Russlands Hauptstadt mitgenommen?

Der Auftritt für den Playboy – das war ganz unspektakulär. Ihr Musikredakteur ist ein großer Fan von uns. So sehr, dass er einen Artikel über uns in seinem Magazin untergebracht hat. Er ist Sponsor eines Clubs in Moskau und wir haben seine Einladung einfach angenommen. Aber dann ist doch noch etwas passiert. Eher zufällig hatte ich kurz vorher „Der Meister und Margarita“ gelesen. Ja, und als wir also unser Konzert beendet hatten, kamen die Russen zu uns und fragten: „Ihr wisst jetzt nicht, wer hinter dieser Bühnenwand gewohnt hat?"

Bulgakow – im Ernst?

Ja, ich wollte es selber erst nicht glauben. Aber genauso war es. Da lese ich sein Buch und wenige Wochen darauf spielen wir sozusagen vor seinem Arbeitszimmer. Faszinierend.

Habt ihr in Moskau die russische Seele entdeckt?

Schwer zu sagen. Hier kommt mir vieles vertraut vor. Aber Russland, Russland ist wirklich anders.

Das russische Staatsfernsehen hat neulich eure Musik in einer Sendung verwendet.

Was, wir im russischen Fernsehen? Das ist ja genauso unglaublich. Worum ging es denn da?

Eine Alltagsreportage mit euch auf der Tonspur.

Wirklich? Ich fasse es nicht. Hier sind dafür übrigens ziemlich wenig Leute. Warum eigentlich ist der Laden so leer?

Eine Berliner Unsitte. Hier geht man erst nach 23 Uhr aus dem Haus und hält sich dabei für cool.

Das wäre nichts für mich, absolut nicht. 22.00 ist es jetzt. Bei uns kommt das Publikum pünktlich und die Konzerte fangen früher an. Du kannst danach sogar noch mit Freunden essen gehen. Daraus würde heute wohl nichts mehr werden …

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Foto © Lasta Slavicek

Friends Of Dean Martinez
(Foto: Lasta Slavicek)

So verlockend die Idee eines anschließenden Besuchs beim Mexikaner ist – Bill Elm hat vermutlich weniger an die Auftritte der Friends Of Dean Martinez gedacht. Es soll schon vorkommen, dass sie die Bühne erst nach drei Stunden wieder verlassen. In Berlin entscheidet sich das Trio, ein Set normaler Länge zu spielen. Normal heißt bei ihnen zwei Stunden. Eventuell mit Blick auf die Fülle oder besser Leere des Clubs - zweistellig ist die Zahl der Besucher geworden. Ein Armutszeugnis für eine Hauptstadt, die für sich den Titel der Hipstermetropole Deutschlands reklamiert hat. Wer sich schon immer gewünscht hat, Gast eines exklusiven Konzerts in exklusiver Runde zu sein – dies wäre die Chance gewesen.
Dass sich der Freundeskreis nicht davon abhalten lässt, einen in sich stimmigen und furiosen Auftritt zu absolvieren, spricht für ihn und gegen das Vorhandensein jeglicher Rockstarallüren.

Instrumentalmusik hat es schwer und macht es sich schwer. Zu schnell erliegt eine Band der Versuchung, als Alleinunterhalter zu agieren und ausschließlich Virtuosität zur Schau zu stellen. Kein Zweifel, die Friends Of Dean Martinez sind exzellente Musiker. Dennoch lässt das Trio keinen einzigen Moment auch nur den Eindruck aufkommen, ambitionierte und verkopfte Schrauber und Tüftler seien am Werk. Selbst wenn Videoprojektion und Computer zu ihren festen Instrumenten gehören. Weil sie nicht vergessen haben, dass gute Songs, ob nun mit Gesang oder ohne, zumeist eines tun: Sie entwerfen eine Welt für sich und berichten von ihr. Die der Friends Of Dean Martinez besteht aus Reisen und nicht ankommen wollen, aus Aufbrüchen am frühen Morgen und Nachtfahrten. Nach wenigen Minuten ist man bereit, ihnen überallhin zu folgen. Sei es auf die Landstraße, sei es in die Wüste. Mit ihnen kann man nicht verloren gehen.