Silence Foto: Joze Suhadolnik
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Im Sommer 2004 bat der portugiesische Choreograph Gagik Ismailian die slowenische Popband Silence, die Musik für sein nächstes Projekt „Veronika decides …“ – eine zeitgenössische Tanzperformance nach Motiven von Paulo Coelhos „Veronika beschließt zu sterben“ zu schreiben. Die Premiere des Stücks fand im Frühjahr 2005 an der Nationalen Opera in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana statt. Der an der Theaterkasse angebotene Soundtrack fand bei den Besuchern reißenden Absatz. Nachdem das Album endlich auch in Deutschland zu kaufen ist, sprach Katarina Mazurkiewicz mit Silence-Sänger und -Mastermind Boris Benko über die Arbeit an „Veronika":
Ein portugiesischer Choreograph entscheidet sich, eine zeitgenössische Tanzperformance nach Motiven eines Buches, das wiederum von einem brasilianischen Bestsellerautor geschrieben wurde, zu produzieren. Dann bittet er eine slowenische Band, die Musik dazu zu schreiben. Was für eine interessante Mischung! Kannst du kurz erklären, wie diese internationale Kollaboration zustande kam? Gab es einen bestimmten Grund, warum Choreograph Gagik Ismailian ausgerechnet auf Euch zukam?
Gagik Ismailian hat bereits in der Vergangenheit in Slowenien gearbeitet. Vor einiger Zeit hat er in Ljubljana eine moderne Tanzperformance für die Nationale Slowenische Opera kreiert. Während seines Aufenthaltes besuchte er damals auch andere Veranstaltungen und interessierte sich sehr für unsere lokale Theater- und Ballettszene. Eine der Vorstellungen, die er sich damals angesehen hat, war die Performance „Maison des Rendez-vous“ der zeitgenössischen Tanztheatergruppe Betontanc. Die Musik dazu haben wir ebenfalls geschrieben. Unsere Arbeit gefiel Ismailian so gut, dass er sich an uns wandte, als er die Arbeit an „Veronika“ aufgenommen hat.
Was waren seine genauen Vorgaben? Hat er euch so was wie: „ich brauche etwa 80 Min. Musik, geteilt in, sagen wir, 12 Tracks, manche von denen melancholisch klingend, andere dagegen sollen schnell sein …."gesagt?
Ich muss zugeben, seine Vorgaben waren anfänglich äußerst vage. Er wollte opulente Tracks haben. Dabei erzählte er uns nicht, welche Emotionen die Musik transportieren sollte - dafür hatte er wieder eher eine Vorstellung davon, welche Klänge in den Stücken vorkommen sollten. Für uns war es deswegen etwas schwierig, da wir bis dato mit solcher Vorgehensweise noch nie konfrontiert wurden, aber nach einer Weile haben wir uns daran gewöhnt.
Choreographen haben wahrscheinlich generell eine ganz andere Herangehensweise an die Musik als die Musiker …
O ja, sie beschreiben Musik auch ganz anderes …
Eben. Wie kann eine Person mit einer vagen Vision einer Tanzbewegung einem Musiker seine Idee überhaupt vermitteln?
Durch die Bewegung. Es war wirklich interessant. Er betrachtete die Stücke aus der Rhythmus-Perspektive, während wir Musiker beim Hören eher auf Harmonie und Melodie bedacht sind. Dies führte schon einige Male zu Missverständnissen.
Kanntest du das Buch, bevor ihr mit der Arbeit an „Veronika“ angefangen habt?
Nein, ich habe es im Nachhinein gelesen …
Im Nachhinein?!
Ich meine natürlich, nachdem Gagik Ismailian uns gefragt hat, die Musik zu schreiben.
Dem Presseinfo zum Soundtrack kann man entnehmen, dass die Performance nicht auf dem Buch „Veronika decides to die“ basiert, sondern lediglich davon inspiriert wurde. War es der Grund warum der Titel der Performance „Veronika decides …“ und der des Soundtracks nur „Veronika“ lautet?
Ja, zweifellos. Wenn du dir die Performance anschaust, kannst du vielleicht erkennen, dass sie von dem Buch inspiriert wurde, aber ich glaube, dass der Choreograph sehr viel von seiner eigenen Persönlichkeit mit einfließen ließ. Herausgekommen ist am Ende deswegen kein 100%iges Coelho-Stück, sondern eine Mischung mit einer ganzen Menge Ismailian darin.
In wieweit unterscheidet sich die Endversion des Soundtrack von der Anfangsvision des Choreographen?
Silence Foto: Joze Suhadolnik
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Das weiß ich nicht … Ich denke, am Ende war er damit zufrieden, aber während der Arbeit hat er mehrfach wiederholt, dass wir eigentlich was ganz anderes machen als das, was er im Sinne hatte. Ich glaube, du solltest eigentlich ihm diese Frage stellen …
Die Portugiesen sind wahrscheinlich das melancholischste Volk von allen Südländernationen. Denke nur an Fado, es ist ganz schön melancholisch, oder? Meinst du nicht, dass es Ismailian geholfen hat, euer Konzept zu verstehen?
Da bin ich mir nicht so sicher. Eigentlich ist er nämlich kein Portugiese, sondern Armenier. Er ist auch ein ganz besonderer Mensch. Ich weiß nicht recht, wie ich es erklären soll … Er ist ein richtiger Kosmopolit. Wie gesagt: er ist Armenier, lebt in Lissabon, ist mit einer Französin verheiratet. Ich glaube deswegen nicht, dass er als ein typischer Portugiese durchgehen kann.
Na bitte, die Geschichte wird immer internationaler!
Ja, das stimmt.
Welcher ist eigentlich der schwierigste Teil der Arbeit an einem Soundtrack für eine Tanzperformance, bedenkt man, dass die Musik lediglich einen Teil der Geschichte erzählt? Der andere wird ja durch die Bewegungen, Kostüme, Bühnenbild etc getragen.
Als Musiker denke ich gar nicht in den Kategorien „Geschichteerzählen". Ich picke aus der Geschichte Emotionen und versuche, sie in Musik umzuwandeln, die sie unterstreicht oder zumindest sich von den Emotionen, die nach dem Lesen des Textes entstanden sind, inspirieren ließ. Gewöhnlich versuchen wir nie, mit der Musik eine Geschichte zu erzählen. Ich kann zumindest für mich als Musiker sprechen. Musik ist viel zu abstrakt, um mit ihrer Hilfe Geschichten zu erzählen.
Ist ein Soundtrack im Allgemeinen nicht eine Art besseres Konzeptalbum?
Wie meinst du das?
Ein guter Soundtrack klingt homogen, ein bisschen wie ein gutes Konzeptalbum klingen soll, findest du nicht?
Ich weiß nicht, „Veronika“ entstand in relativ kurzer Zeit und es klingt tatsächlich homogen. Andererseits denke ich nicht, dass sich ein Soundtrack stark von „normalen“ Studioalben unterscheidet, zumindest nicht in unserem Fall.
Findest du es nicht manchmal schwer, als Sänger den Mund zu halten? Man hört dich zwar auf vielen „Veronika"-Tracks: An manchen Stellen singst du eigentlich gar nicht in dem Sinne, aber benutzt du deine Stimme als zusätzliches Instrument?
Eigentlich genieße ich gerade die stillen Momente (lacht) ….Ich bin nicht immer auf das Singen versessen. Ich betrachte meinen Gesang tatsächlich als zusätzliches Instrument. Gerade in einem Soundtrack funktioniert so was perfekt. Wenn ein Stück mit Gesang nicht paßt, dann lässt du es eben weg! Auf einem „normalen“ Studioalbum wäre das undenkbar. Songs sind eben Songs und du brauchst die Vocals. Dadurch bist du manchmal ganz schön eingeschränkt.
Im Info zum „Veronika"-Soundtrack hast du geschrieben, dass ihr euch entschieden habt, das Gesungene in einer imaginären Sprache, die aus verschiedenen Sprachen der Welt gebastelt wurde, vorzutragen, um „die Universalität der Aussage des Buches von Coelho zu unterstreichen". Bist du selbst nicht manchmal skeptisch, wenn es um solch „universelle Wahrheiten“ in den esoterischen Märchen geht, die Coelhos Lieblingsmetier zu sein scheinen?
Oh ja, ich weiß, was du meinst. Wir haben viel darüber nachgedacht. Ich glaube, es hat eigentlich mehr damit zu tun, dass ich großer Fan von Lisa Gerrard (Dead Can Dance) bin. Sie hat in solch ähnlicher, imaginären Sprache viele Jahre lang gesungen und es hat mir sehr gut gefallen, deswegen wollte ich es auch einmal ausprobieren. Es war also nur ein Experiment.
Benötigt ein modernes Märchen eine ebenfalls märchenhafte Musikuntermalung? So klingt es zumindest in meinen Ohren
Wie - ein Märchen?
Irgendwie schon. Es klingt nicht düster-klaustrophobisch …
Oh, das ist wirklich interessant. Eigentlich wollten wir, dass die Musik sich schon ein bisschen klaustrophobisch anhört. Das was du jetzt sagst, ist uns neu.
Der Soundtrack zu „Maison de Rendez-vous“ klingt um einiges klaustrophobischer als „Veronika"
Klar, es stimmt natürlich. „Maison …“ war im Allgemeinen eine viel düsterere Tanzperformance. Es gab auch kein Happy End, keinen Lichtblick, nichts. Coelho ist da schon anderes. Die Geschichte ist zwar nicht gerade leichtverdaulich, aber sie endet doch mit einem Happy End.
Oder mit einer Art „Gruppenkatharsis" …
Ja, das mussten wir natürlich auch in die Musik mit einfließen lassen. Das Element der Hoffnung spielt in seinen Büchern eine sehr wichtige Rolle.
Ok, das Wort „märchenhaft“ war wahrscheinlich doch falsch. Sagen wir, die Musik klingt wie ein Traum, der nicht zu einem Alptraum mutiert.
Ja, da ist ein Licht am Ende des Tunnels. Diese Aussage haben wir versucht, durch die Musik auszudrücken.
Für eine „normale“ Person ist eine psychiatrische Klinik kein Platz, an dem man sich geborgen fühlt. Doch gerade das tun all die Protagonisten in dem Buch. Das Ganze scheint so absurd.
Ja, ich muss zugeben, dass ich persönlich kein großer Fan von Coelho bin. Das Buch war uns auch keine große Hilfe. Wir haben sogar versucht, es zu ignorieren. Hätten wir uns direkt von dem Roman inspirieren lassen, wäre uns am Ende die Musik wahrscheinlich gar nicht so gut gelungen.
Also auch nach Beendigung der Arbeit an dem Soundtrack hat sich deine Attitüde zu Coelho und seinen esoterischen Märchenerzählungen nicht sonderlich verändert?
"Esoterisches Märchen“ ist eine durchaus zutreffende Beschreibung. Das ist genau das, was ich an dem Roman nicht gut fand. Mir gefiel das Ende gut, aber, wie soll ich es ausdrücken? All die Leute in dem psychiatrischen Krankenhaus wirken irgendwie ein bisschen zu … philosophisch für meinen Geschmack.
Eigentlich hat Veronika kein Problem, von der Kleinigkeit abgesehen, dass sie, scheinbar ohne triftigen Grund, versucht sich das Leben zu nehmen …
Ja, anfänglich hat sie tatsächlich kein Problem …
Ich habe mich gefragt, ob Coelho nicht frauenfeindlich ist. Die Protagonistin hat keinen Grund, sich umzubringen, es entsteht der Eindruck, alle Frauen seien hysterisch und dumm.
Ja, es ist tatsächlich interessant, da war eine andere Frauenfigur in dem Buch, die mit Elektroschocks behandelt wurde.. Vielleicht stimmt deine Frauenfeindlichkeitstheorie sogar.
Dazu verursacht Veronika am Ende des Romans eine erdbebengleiche Revolution in dem psychiatrischen Krankenhaus. Das Ganze endet in einer Art kollektiver Katharsis! Und der Leser fragt sich „Warum eigentlich? Was hat die Frau überhaupt getan?!"
Ja, das Ganze ist auch für mich sehr realitätsfremd. Aber das wiederum ist es, was seine Fans so an Coelho mögen. Seine Geschichten sind eben als moderne Märchen zu verstehen.
Ist der Roman sehr populär in Slowenien? Die Geschichte spielt in eurem Land, also muss sie bestimmt bei euch besonders viele Leser gefunden haben, oder irre ich mich?
Eigentlich glaube ich, dass auch in Slowenien „Der Alchimist“ Coelhos berühmtestes Buch bleibt, aber natürlich ist „Veronika beschließt zu sterben“ bei uns zu Hause sehr bekannt und zwar deswegen, weil die Geschichte hier stattfindet. Es war bei uns auch der Aufhänger der Werbekampagne für das Buch und es funktionierte gut.
An manchen Stellen des Soundtracks hört man das weiße Rauschen und andere seltsame Geräusche, so dass das Ganze so klingt, als wäre es um die gleiche Zeit entstanden wie euer 1998er Album „Unlike a Virgin". Als ob es aus einer Periode stammt, die ihr als Popband Silence hinter euch gelassen habt.
Nun ja, mit dieser Periode haben wir eigentlich nie ganz abgeschlossen. Der Choreograph wollte von uns etwas härtere, „psychotische“ Klänge, also haben wir die Ideen dazu von einem Punkt aus gesammelt, an dem wir schon einmal waren und sie dann natürlich weiterentwickelt. Wir mochten den Klangkosmos von „Unlike a Virgin“ sehr gerne.
Leute, die einen Filmsoundtrack kaufen, haben den dazugehörigen Film gewöhnlich gesehen. Bei einem Theatersoundtrack ist es ein bisschen anders. Sobald der Vorhang fällt, fängt die Musik an, ihr eigenes Leben zu leben und jeder Hörer kann sich dazu eigene Bilder vorstellen. Von diesem Punkt also hört die Theatermusik auf, als Teil des Konzeptes zu funktionieren und wird sozusagen „eigenständig". Wart ihr euch darüber im Klaren?
Natürlich. Jedes Mal, wenn wir Musik schreiben, denken wir über sie als Endprodukt nach. Wir sind in der Hinsicht etwas egoistisch und denken mehr an die Musik, als an die Performance als Ganzes, was wahrscheinlich nicht sehr nett ist, aber wir sind in erster Linie Musiker, also sollte es auch irgendwie verständlich sein.
Kannst du dir einen Soundtrack vorstellen, bei dem du die Mitarbeit abgelehnt hättest?
Ich weiß nicht, ich glaube nicht ….Es hängt mehr damit zusammen, wer in das Projekt involviert ist, als mit dem Thema. Wir haben mehrere Soundtracks für Puppenspiele für Kinder gemacht, also haben wir wie du siehst, wirklich kein Problem mit Themen, manchmal eher mit den Leuten.
Vielen Dank für das Gespräch!