"Negativ und nicht gut für seine Tochter" sei diese Musik. Also sprach Jerry Moss, Chef von A&M Records und wies 1966 dem 25-jährigen Captain Beefheart die Tür. Wir wissen nicht, was aus Moss’ Tochter geworden ist und können nur hoffen, dass sie, wie alle guten Töchter und Söhne, die väterlichen Worte als Empfehlung verstanden hat. Welchen Weg Captain Beefheart danach gegangen ist, wissen wir dafür schon genauer. Nicht selten rätselhaft und oftmals schrill, aber jedes Mal faszinierend und einzigartig, geben seine Platten und seine Bilder darüber Auskunft. Ihr Urheber soll bei dieser Gelegenheit gebührend gefeiert werden. Er ist am 15. Januar 65 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch in die Mojave-Wüste und Grüße in den geheimgehaltenen Ort, an dem Captain Beefheart seit 1982 in völliger Abgeschiedenheit mit seiner Frau lebt. In dessen Nähe, soviel darf vermutet werden, eine vergleichsweise kurze und umso folgenreichere Reise durch die Musik ihren Anfang nahm.
Captain Beefheart (Foto © Anton Corbijn)
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Lancaster, eine 100.000-Einwohner-Stadt am westlichen Rand der Wüste: Ende der fünfziger Jahre begeistert sich Don Van Vliet, High-School-Absolvent und Jugendfreund Frank Zappas, für Mississippi Delta Blues und den neuen, aufregenden Jazz von John Coltrane, Ornette Coleman und Cecil Taylor. Noch ist er nur aufmerksamer Zuhörer und gelegentlicher Musiker. Seine erste Leidenschaft galt der Bildhauerei und Malerei. Er muss hochbegabt gewesen sein – hätte er doch als Jugendlicher ein ausgedehntes Stipendiat in Europa antreten können. Stattdessen sitzt er jetzt in dieser Wüstenstadt, in die seine Eltern, verstört über den talentierten Sohn, absichtlich gezogen sind. Nicht ohne vorher darauf hinzuweisen, dass Künstler prinzipiell schwul seien. Die Hoffnung, der Nachwuchs möge sich in der Einöde zu einem nützlichen Glied der Gesellschaft entwickeln, sollte sich nur bedingt erfüllen. Van Vliet schreibt sich am Antelop Valley Junior College Lancasters für ein Kunststudium ein, hat die Theorie bald satt und verlässt die Institution schnellstens. Er wird ökonomisch aktiv und der gewesene Student findet sich als Manager einer Schuhhandelskette wieder. Später erinnert er sich für den Rolling Stone: "Ich habe aus dem Laden tatsächlich ein florierendes Unternehmen gemacht. Nur, um es in einer Art von künstlerischem Statement auf dem Höhepunkt des Weihnachtsgeschäfts im absoluten Chaos zu verlassen." Das Desinteresse an erfolgreicher Unternehmensführung wird Van Vliet sich für die Zukunft erhalten.
Als die sechziger Jahre anbrechen, ist es um die klassische amerikanische Karriere geschehen. Von Lancaster sind es gerade 52 Meilen Wüstenpiste nach Rancho Cucamonga, wo Freund Zappa bereits an Musik und Filmen arbeitet. Hier wird aus Don Van Vliet Captain Beefheart. Wie und warum gerade dieser Name, das weiß schon bald darauf niemand mehr genau zu sagen. Als Zappa in die Metropole Los Angeles aufbricht, geht es für seinen Kompagnon zurück in die Stadt seiner Jugend. Er versammelt eine Truppe von Wüstenmusikern um sich und 1964 stehen Captain Beefheart & His Magic Band in den Startlöchern. In den kommenden knapp 20 Jahren werden sie zum Markennamen einer Musik, die so kommerziell erfolglos ist, wie sie künstlerisch radikal ist. Der weiße Captain Beefheart macht den schwarzen Blues und Jazz seiner Jugend mit europäischer Avantgarde, mit Strawinsky und Ives scharf. Singt, oder besser rezitiert Texte, die mehr mit Dadaismus und Expressionismus als mit der beginnenden klassischen Schule von Rocklyrik gemein haben. Das alles mit der tiefsten Stimme, die zu diesem Zeitpunkt auf einer Platte zu hören ist. Sie umfasst viereinhalb Oktaven. Bei den Aufnahmen zum Debüt "Safe As Milk" (1967) gelingt es ihm, ein 1.200 $ teures Telefunken-Mikrofon buchstäblich zu zersingen. Pikanterweise mit "Electricity", dem Song, den Jerry Moss seiner Tochter vorenthalten wollte.
Auf erratisches Gehabe ist er in Zukunft abonniert. Zum Selbstzweck wird es ihm nicht. Captain Beefheart verteilt auf seinen Konzerten Flugblätter mit ökologischen Botschaften. Als er seinen Klassiker "Trout Mask Replica" (1969) einspielt, zieht die Magic Band kurzerhand zu ihm ins Haus. Er bestellt acht Baumdoktoren, die sich um die Unversehrtheit der Eukalyptuspflanzen im Garten kümmern sollen. Der Chef bedient nämlich auch das Saxofon und hat Angst, die Gewächse könnten durch sein impulsives Spiel Schaden nehmen. Weniger Rücksicht nimmt er auf die Plattenfirma. Die darf die Rechnung für die extra angereisten Spezialisten begleichen. Legenden zuhauf ranken sich um "Trout Mask Replica". Zappa, als Produzent engagiert, soll am Mischpult eingeschlafen sein. Captain Beefheart erzählt, die 28 Songs des Doppelalbums in achteinhalb Stunden nachts alleine am Klavier geschrieben zu haben. Sie seinen Musikern beizubringen, habe dann mehrere Monate im Übungsraum gefordert. Nicht nur sich und der Magic Band verlangt er viel ab. Das breite Publikum ist in seinen Hörgewohnheiten überfordert. Er macht es ihm auch nicht leicht: "Als Mann spiele ich Männermusik für Frauen, obwohl andere Männer auch ihren Spaß dran haben dürfen." Nach seinem bevorzugten Perkussionisten gefragt, nennt er schon mal Muhammad Ali. Und bezieht sich explizit auf die Weigerung des Boxers, in den Vietnamkrieg zu ziehen. Kein Wunder, dass Beefhearts Manager sich in ihren Geschäftserwartungen getäuscht sehen. Es hilft nicht, dass Folgealben einen zugänglicheren Künstler zeigen. Plattenverträge enden in Gerichtsprozessen. Captain Beefheart geht ohne Magic Band nach England. Die Platten, die er auf der Insel einspielt, gelten hartgesottenen Fans als kommerzielle Todsünden.
Es braucht die Rückkehr zum anfänglichen Experiment, um Ende der siebziger Jahre eine kurze Renaissance zu erleben. 1978 gelingt es ihm, bei Virgin Records zu unterschreiben. Die Zeichen der Zeit stehen nicht schlecht. Punk und New Wave verpassen Rock, in Indiensehnsucht und Kunstwillen handzahm geworden, eine dringend nötige und heilsame Schocktherapie. Captain Beefhearts radikalisierter Blues steht Pate. Nicht wenige der jungen Rebellen dürften ihm gründlich zugehört haben. So Zeit und Tonträger vorhanden, vergleiche man "Doc At The Radar Station" (1980) mit "Grotesque (After The Gramme)" (The Fall, 1980) und "Prayers On Fire" (The Birthday Party, 1981). Die Überraschung ist garantiert. Und wäre im Sinne des Jubilars. Der sich just in dem Moment, als er gelehrige Schüler gefunden hat, aus dem Musikgeschäft zurückzieht. "Ice Cream For Crow" (1982) ist sein letztes Album geblieben. Das Virus der Kompromisslosigkeit wirkt hingegen weiter. Über den Future Blues von Hugo Race + True Spirit demnächst mehr an dieser Stelle.
Tiger Boat (Don Van Vliet, 1987)
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So lange Captain Beefheart Platten veröffentlichte, hat er es abgestritten, Songwriter oder Komponist im herkömmlichen Sinne zu sein: "Ich bin kein Musiker, sondern Bildhauer." Mitte der achtziger Jahre die Sprache seiner Jugend aufgreifend, begründet er dies in seiner eigenen Diktion: "Jetzt mache ich Musik auf der Leinwand." Man Ray, Modigliani, Leger und Matisse werden zu Rivalen von John Lee Hooker und John Coltrane. Die rätselhafte Welt seiner Songs lässt sich seitdem in expressiven Bildern bewundern. Bewohnt von Wölfen, Fledermäusen, Geistern, Skeletten und Katzen, verhelfen sie ihrem Maler, der sich seitdem wieder Don Van Vliet nennt, zu einer späten Reputation. John R. Lane, ehemals Direktor des San Fransisco Museum Of Modern Art: "Er hat sich die Malerei größtenteils selbst beigebracht hat und ist ein moderner Primitiver. Seine Bilder verfügen über psychische, spirituelle und magische Kräfte." A.R. Penck und Julian Schnabel werden zu erklärten Fans. Ausstellungen und Verkäufe sichern Van Vliet ein Leben, das er sich als Musiker nicht hätte leisten können. Ein Leben im Geiste seiner Favoriten Duke Ellington, Lightnin’ Slim, Shakespeare, Philip Larkin, Vladimir Nabokov, John Huston und David Lynch. Der Rest ist Spekulation. Don Van Vliet alias Captain Beefheart gibt seit Jahren keine Interviews mehr. Es heißt, er sei schwer krank.