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Januar 2006
Gerald Fiebig
für satt.org


PHIL OCHS:
Farewells And Fantasies

Phi Ochs: Farewells And Fantasies
Die definitive Phil-Ochs-Collection ist das derzeit leider vergriffene 3-fach-Album „Farewells and Fantasies", auf dessen ausführliches biografisches Booklet sich auch dieser Artikel stützt.
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The Broadside Tapes
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All The News That’s Fit To Sing/ I Ain’t Marching Anymore
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In Concert
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Pleasures Of The Harbor
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Tape From California
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Rehearsals For Retirement/Gunfight At Carnegie Hall
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Wichtige Phil-Ochs-Links:
» www.cs.pdx.edu
Seit Jahren die beste Phil-Ochs-Website, auch wegen der weiterführenden Links
» www.law.umkc.edu Phil Ochs wurde im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chicago 1968 als Zeuge vor Gericht vernommen. Ein hochinteressantes Zeitdokument, das viel über das politische Klima aussagt, in dem Phil Ochs' Songs entstanden.
Für die Hinweise auf die Links danke ich Mathias Huber.

"Getting Elvis Presley
to become Che Guevara"

Gerald Fiebig über Phil Ochs

Was ist ein Protestsong? Die wohl knappste und treffendste Definition lautet: „A protest song is a song that’s so specific that you cannot mistake it for bullshit". Phil Ochs, von dem diese Definition stammt, hat selbst einige der wichtigsten und besten Protestsongs nicht nur der 60er Jahre geschrieben. Schade, dass ihn heute fast keiner mehr kennt.

Phi Ochs

Philip David Ochs wurde am 19. Dezember 1940 in El Paso, Texas geboren und wuchs an verschiedenen Orten des amerikanischen Westens auf. Wie für so viele aus seiner Generation wurden Elvis und Buddy Holly, aber auch Hank Williams und Johnny Cash für ihn zu prägenden Figuren. 1958 begann Phil an der Ohio State University Journalistik zu studieren und sich zunehmend politisch zu engagieren. Offenbar wirkten die Protestsongs von Woody Guthrie, Pete Seeger und den Weavers, die ihm sein Kommilitone Jim Glover vorspielte, wahrhaft bewusstseinsbildend auf Phil. Nach dem Ende seines mit Jim Glover gegründeten Folkduos Singing Socialists (später in Sundowners umbenannt) zog Phil 1962 nach New York. Die Folkclubs in Greenwich Village, in denen auch der junge Bob Dylan auftrat, und Folksong-Magazine wie „Broadside“ schienen nur auf jemanden wie ihn gewartet zu haben: Sein Talent, aktuelle Themen ("topics") detailliert zu kommentieren und sie in mitreißende Melodien zu verpacken, wurde schnell deutlich. Denn über die Pflege traditioneller Folksongs war man in New York schon hinaus: Man wollte die Idee einer „Musik von unten", die sich mit Künstlern wie Woody Guthrie verband, auf aktuelle politische Themen anwenden und nannte sich daher „topical song movement".

1962 begann mit der Kubakrise beinahe der dritte Weltkrieg, 1963 wurde John F. Kennedy erschossen, weit weg baute sich die Eskalation in Vietnam auf. Phil Ochs begleitete die Ereignisse mit seinen Songs, die er bald nicht nur auf den Veranstaltungen von „Broadside“ spielte (einige davon sind auf der Compilation „The Broadside Tapes 1“ von 1963 dokumentiert, der leider nie ein zweiter Teil folgte), sondern auch auf dem Newport Folk Festival 1963 – neben Pete Seeger, Peter, Paul & Mary, Bob Dylan und Joan Baez, deren Version von „There But For Fortune“ wahrscheinlich bis heute die meistverkaufte Aufnahme eines Ochs-Songs sein dürfte. 1964 erschien auf dem jungen Independent-Label Elektra sein erstes Album „All The News That’s Fit To Sing“. Es war nach dem Motto der „New York Times“ betitelt ("All The News That’s Fit To Print“) und unterstrich deutlich Ochs’ Anspruch, als „singender Journalist“ direkt am Puls der Zeit zu musizieren.

Die Platte wurde mit einem zweiten Sessiongitarristen aufgenommen, dessen Job es war, das richtige Tempo zu halten – Ochs neigte dazu, während eines Songs immer schneller zu werden. Eine glaubwürdige Anekdote, denn auf den musikalisch überzeugendsten Nummern der Platte hat man wirklich den Eindruck, dass er von der Vehemenz, mit der er seine Message vermitteln will, förmlich mitgerissen wird. Zweifelsohne das Highlight ist das stark an Woody Guthries „This Land“ angelehnte, in jeder Hinsicht hymnische „Power and Glory", eine Huldigung an die amerikanische Landschaft und den Staat USA. Für den heutigen europäischen Hörer wirkt es unverständlich, wie ein solches Lied neben beißend satirischen Invektiven gegen die amerikanische Außenpolitik wie „Talking Vietnam", „Talking Cuban Crisis“ oder „Ballad of William Worthy“ stehen kann (letzteres über einen US-Journalisten, dem nach einer Reise ins kommunistische Kuba der Reisepass entzogen wurde: „But somehow it is strange to hear the State Department say: You are living in the free world, in the free world you must stay"). Auf den zweiten Blick erschließt sich dann, dass in den USA, die ihre staatliche Existenz immerhin einer eindeutig demokratischen Idee verdanken (und nicht, wie nahezu alle europäischen Staaten, einer irgendwie monarchischen oder totalitären Vergangenheit) Patriotismus gegenüber der „Idee Amerika“ und linke Kritik am Verfall dieser Idee sich nicht nur nicht widersprechen, sondern sich geradezu gegenseitig bedingen können – ein Konzept, das sich durch Ochs’ ganzes Werk zieht.

Der Titelsong der zweiten LP „I Ain’t Marching Anymore“ (1965) ist der paradigmatische Antikriegssong der 60er. Die Frage, wer wen beeinflusst hat, mögen Dylanologen klären – Ochsologen gibt es meines Wissens nicht –, fest steht, dass „I Ain’t Marching Anymore“ eine ähnliche Struktur hat wie Dylans „With God On Our Side": Das lyrische Ich zählt die diversen Kriege auf, in die die USA seit ihrer Gründung verwickelt waren, von den Indianerkriegen bis Hiroshima. Bei Ochs ist es allerdings, in einer politisch noch brisanteren Zuspitzung als bei Dylan, ein Soldat (der archetypische „unbekannte Soldat", sozusagen), der spricht und am Ende den Befehl verweigert: „Call it peace or call it treason, call it love or call it reason, but I ain’t marching anymore.“ Ein schamloses Plagiat dieses Songs unter dem Titel „Universal Soldier“ bescherte Donovan einen Hit. Unter den anderen Songs des Albums sticht „Here’s To The State Of Mississippi“ hervor, die leidenschaftlich-zornige Abrechnung mit dem Rassismus der Südstaaten. Auch hier werden die demokratischen Werte des „echten“ Amerika gegen deren Pervertierung durch die Rassentrennung verteidigt: „Mississippi, find yourself another country to be part of".

Ochs’ drittes Album war das schlicht betitelte „In Concert“ (1966), das allerdings anders als heutige Livealben lauter neue Songs enthielt. Aus heutiger Sicht ist weniger Ochs’ eigene Version seines größten Erfolgs „There But For Fortune“ der Klassiker auf dieser Platte, sondern „Love Me, I’m A Liberal", dessen ungebrochene Aktualität auch dadurch belegt wird, dass es in den letzten 20 Jahren gleich zweimal von Amerikas Politpunk Nr. 1 und Ex-Green-Party-Präsidentschaftskandidat Jello Biafra gecovert wurde (einmal mit den Dead Kennedys und einmal mit Mojo Nixon). Nicht nur in der Ansage zu diesem Song demonstriert Ochs mit charmant-witzigen Bonmots ("In American politics, there are many varying shades of opinion; one of the shadiest of these is the Liberals.") seine Entertainer-Qualitäten. Auf die Rückseite ließ Ochs statt Linernotes Gedichte von Mao Tse-Tung drucken, die er lediglich mit der Frage kommentierte: „Is this the enemy?"

Nach „In Concert“ wechselte Ochs zur kalifornischen Plattenfirma A & M. Als Grund für den Wechsel kann man vermuten, dass Phil die Protest-Folk-Szene in New York und auch die mit dem Protestsong-Format verbundenen künstlerischen Einschränkungen satt hatte. Mit seinem Umzug nach Los Angeles wollte er in den neuen Soundkosmos vorstoßen, den Alben wie „Pet Sounds“ von den Beach Boys und „Sgt. Pepper“ von den Beatles für die Popmusik eröffnet hatten. Mit „Pleasures Of The Harbor“ (1967) gelang ihm das auch ziemlich gut. Produzent Larry Marks sorgte mit diversen Gastmusikern für eine weitgespannte Stilvielfalt von Ragtime über filmmusikartige Streicheeinsätze bis zu elektronischen Experimenten – und doch wirkte die Platte sehr konsistent. Man könnte sie Phil Ochs’ Konzeptalbum nennen. In den Texten schlug sich das Konzept allerdings nicht nieder – ihnen war vor allem die Abwendung vom expliziten Protest gemeinsam. Was aber nicht bedeutet, dass Phil Ochs jetzt Liebeslieder geschrieben hätte (übrigens gibt es wohl von keinem Songwriter mit vergleichbar vielen Veröffentlichungen so wenige Liebeslieder wie von ihm – strenggenommen eigentlich gar keines). Vielmehr wurden die Texte metaphorischer, bild- und auch rätselhafter. Politische Themen tauchen nach wie vor auf, aber eher wie Szenen aus einem nicht enden wollenden Alptraum.

Diese Entwicklung setzte sich auch auf seiner nächsten Platte „Tape From California“ (1968) fort. Das Titelstück zeigt deutlich, dass sich Phil Ochs in Kalifornien nicht wohl fühlte: In der psychedelischen Westcoast-Gegenkultur scheint er eher eine weitere Verfallserscheinung des alten Amerika gesehen zu haben, das gerade in Vietnam seine moralische Glaubwürdigkeit verspielte, als einen lebensbejahenden Gegenentwurf zum Establishment. „It doesn’t take a seer to see the scene is coming soon", heißt es im Titelsong. Was zunächst wie wohlfeiler Kulturpessimismus klingt, gewinnt in der Tat beinahe prophetische Züge, denkt man an die traumatischen Ereignisse in Altamont oder die Morde von Charles Mansons Family, die wenig später nicht nur den „Sunshine State“ erschüttern sollten. „Tape From California“ enthält nur acht zum Teil sehr lange Songs, von denen gut die Hälfte Highlights in Ochs’ Oeuvre bilden. In „White Boots Marching In A Yellow Land“ und „The War Is Over“ gelang es ihm überzeugend, sein Engagement gegen den Vietnamkrieg auch mit anderen musikalischen Mitteln zu transportieren als mit der guten alten Folk-Klampfe; „Half A Century High“ ist eine tieftraurige, aber vollkommen anti-kitschige, weil lyrisch und produktionstechnisch höchst luzide Bestandsaufnahme eines 25-jährigen Lebens ("But now it can be told: I’m a quarter of a century old, but I’m half a century high"), die konsequent in Kino- und Fernsehmetaphern geschildert wird (bis hin zum statischen Rauschen eines schlecht eingestellten Fernsehgeräts, das die ganze Aufnahme grundiert). Das ebenfalls brillante Titelstück verweist auf Ochs’ beginnende Schreibkrise ("My rhymes are all repeating, ballads growing blind / Words have turned to water, the women turned to wine"); nichtsdestotrotz enthält die Platte mit dem 13-minütigen Epos „When In Rome", der ins Surreale gewendeten Geschichte einer in fanatische Gewalt pervertierenden Revolution, Phil Ochs’ – nicht nur in lyrischer Hinsicht –größte Leistung; musikalisch gesehen ist nur selten in der Popgeschichte eine deartige Brutalität nur mit einer akustischen Gitarre artikuliert worden.

All sein Pessimismus konnte Phil Ochs nicht auf das reale Trauma vorbereiten, das er 1968 auf dem berüchtigten Parteitag der Demokratischen Partei in Chicago erlebte. Die weitgehend friedlichen Demonstrationen der Kriegsgegner, die einen Anti-Vietnam-Kurs der Demokraten erreichen sollten, wurden von der Polizei mit beispielloser und völlig unverhältnismäßiger Brutalität zerstreut. Das Establishment statuierte ein Exempel; für Ochs, den das FBI als einen der Hauptverantwortlichen für die Proteste in Chicago verfolgte, ein Zeichen, dass die politische Kluft innerhalb der amerikanischen Gesellschaft unüberbrückbar geworden war und das Ende des „Projektes Amerika“ gekommen war: „The World Began in Eden But Ended In Los Angeles“ hieß ein an Deutlichkeit nicht mehr zu überbietender Song seiner fünften LP „Rehearsals For Retirement“ (1969). Das Cover zeigte den Grabstein des Sängers – „Died: Chicago, Illinois 1968". Bekenntniskitsch? Die Platte straft das Cover Lügen. Balladeske Verarbeitungen der Chicagoer Ereignisse stehen neben unerwartet rockigen Vignetten der in der amerikanischen Gesellschaft allgegenwärtigen Gewalt; brillant vor allem „Another Age". Das genau austarierte Verhältnis von geisterhaften Pianoballaden und Up-Tempo-Rock macht dieses als Abgesang intendierte Album zu Ochs’ im durchaus positiven Sinne „reifster“ Platte.

Der wirkliche Abgesang kam mit der letzten Studio-LP „Greatest Hits“ (1970). Das Album wurde produziert von Van Dyke Parks, der bereits mit Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson zusammengearbeitet hatte, und ist keineswegs eine schlechte Platte, sondern ein Sammelsurium toller musikalischer Ideen. Beunruhigend ist bloß die offensichtliche Ratlosigkeit in Bezug auf die Frage, wo es noch hingehen soll. Ein für Phil-Ochs-Standards erbärmlich kabarettistischer Anti-Nixon-Song steht neben faszinierend unterkühlten Cembalo-Balladen und mehreren waschechten Countrysongs (!). Für das angestammte linke Phil-Ochs-Publikum müssen fett produzierte Countryrockkracher wie „Gas Station Women", „Chords Of Fame“ oder „Basket In The Pool“ eine absolute Provokation gewesen sein.

Auf den ebenfalls 1970 entstandenen Liveaufnahmen, die später als „Gunfight At Carnegie Hall“ (1974) erschienen, wird aber deutlich, worum es Ochs mit diesen Countrysongs ebenso wie mit Liveperformances von sehr hörenswerten Elvis- und Buddy-Holly-Medleys (neben der tollen Liveversion von „Tape From California") im Elvis-Goldlamé-Anzug ging: „Getting Elvis Presley to become Che Guevara", den Pop der amerikanischen Mainstreamkultur unterwandern. So erklärte er es jedenfalls seinem politisierten Publikum. Man kann indes vermuten, dass es Phil Ochs persönlich mit dieser Strategie auch darum ging, sein Musiker-Ich, das er als politisch gescheitert sah, durch die prägende Musik seiner Jugend zu „heilen“ und damit die Rolle der linksradikalen Galionsfigur abzustreifen, die ihn zunehmend auslaugte. Leider blieb der Versuch ohne Erfolg. Nach „No More Songs", dem letzten Stück der „Greatest Hits", sollte Phil Ochs keine neuen Songs mehr veröffentlichen. Jim Glover, der Phil mit Folk-Music „infiziert“ hatte und mit ihm die Singing Socialists gegründet hatte, sang auf der Aufnahme des Stücks mit.
Die Ära des Songwriters Phil Ochs ging zu Ende. Die von seinem Vater geerbten manischen Depressionen taten das Ihre. Am 9. April 1976 erhängte sich Phil Ochs im Haus seiner Schwester in Far Rockaway, New York.

Am 19. Dezember 2005 wäre Phil Ochs 65 Jahre alt geworden.