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Februar 2006
Petra Zimlich
für satt.org


Martin Büsser:
Antifolk. Von Beck bis Adam Green

Ventil Verlag 2005

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Antifolk Vol. 1
Compiled By Adam Green
Rough Trade 2005

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» antifolk.net

ANTIFOLK

Ende der 90er Jahre – von den Dancefloors schallten dominant technoide Klänge – kam plötzlich die Wandergitarre zu einem unerwarteten Comeback. Gammelige Jungs und Mädchen tauchten auf den kleinen Bühnen der Musikwelt auf und sangen melancholisch introvertierte und dabei intelligent witzige, skurrile Lieder. Wichtigster Aspekt jeglicher Performance schien der zur Schau gestellte Dilettantismus. Die Anleihen bei längst verstorbenen Songwritern wie Tim Buckley oder Nick Drake waren nicht zu übersehen und -hören. Während die großen Plattenfirmen eine ökonomische Krise beklagten, fanden kreative Musiker zu Eigeninitiative und Do-it-Yourself zurück. Unglaublich, aber wahr: Der Song an sich stand wieder im Mittelpunkt, kommerzieller Erfolg war nebensächlich, die direkte Kommunikation mit dem Publikum stand im Vordergrund.

Aber nicht die Wiederentdeckung des Folk, nein, der Antifolk wurde proklamiert. Die Verwendung des "Anti-Begriffs" darf dabei jedoch keinesfalls als Statement gegen, vielmehr für eine Modernisierung des Folk verstanden werden. Hatte doch bereits Bob Dylan 1965 spießige und dogmatische Tendenzen innerhalb der Szene beklagt.

"New Acoustic Movement", "Sadcore" oder "Quiet is the new Loud" sind Synonyme für eine Bewegung, die eigentlich gar keine Bewegung ist oder war. Ziel war vielmehr von Beginn an die musikalische Rückkehr des Subjekts, die individuelle Handschrift des Musikers, der direkte authentische Ausdruck. Mit dieser Feststellung startet Martin Büsser in den kleinen Band Antifolk. Von Beck bis Adam Green, der im November 2005 im Ventil Verlag erschienen ist. Martin Büsser hat bereits mit einigen anderen Büchern gezeigt, wie eng er mit der Musik, die er beschreibt, verwoben ist. Die Nähe zu seinem Thema ist auch dem neuen Band anzumerken. Eine solche Nähe kann unzweifelhaft ein Nachteil sein, besteht doch die Gefahr fehlender Objektivität. Hier ist jedoch die eigene Begeisterung mitreißend, die direkten Kontakte des Autors erlauben unzensierte Einblicke. Martin Büsser schildert anschaulich und aus der Perspektive des Begleiters, wie sich Bands wie die Moldy Peaches oder Einzelkämpfer wie Jeffrey Lewis in vielen kleinen Clubs und mit selbst gebrannten CDs mittels perfektem Unperfektionismus und großer Naivität eine kleine Fangemeinde eroberten, wie es den Musikern gelang, größtmögliche Intensität zu erzeugen, ohne sich dabei als Star zu inszenieren und wie Antifolk schließlich zu einem Gütesiegel der so genannten independenten Musikszene mutierte. Antifolk versucht nicht, nicht lustig zu sein und weigert sich konsequent, sich dem Kulturbetrieb anzudienen. Einem Kulturbetrieb, in dem laut Magnus Klaue von der FAZ "Erwachsensein, wie schon Adorno wusste, oft genug nur ein anderes Wort für Regression ist."

Historisch greift Büsser zurück bis in die 60er Jahre. Mit den Fugs, David Peel, Jonathan Richman oder Daniel Jonston wird die Ahnengalerie der Antifolkmusik aufgerollt, das Sidewalk Café findet ebenso seinen Platz wie die Einflüsse des Punk. Daneben gibt es ein langes Interview mit Adam Green aus seiner Zeit vor dem Ruhm und Suhrkampbändchen. Und einen kleinen kritischen Rück- und Ausblick auf das Phänomen der "Greenmania". Adam Green, bei dem die Geste kindlicher Introvertiertheit mittlerweile zum reinen Showelement degradiert ist, liefert außerhalb des Buches Anschauungen für die negative Entwicklungen … Von einer Authentizität im Sinne des Antifolk findet sich bei ihm keine Spur mehr.

Zwanzig Jahre Antifolk referiert Büsser sehr anschaulich und leicht lesbar anhand von Interviews und persönlichen Gesprächen. Am Ende des Buches wird deutlich: Als kommerziell erfolgreicher Trend oder gar als neue Subkultur mit der Reichweite von Punk oder HipHop hat sich Antifolk nicht durchgesetzt. Die bewusst gewählte Selbstmarginalisierung hat ihren Preis. Die Relevanz der Strömung darf jedoch nicht unterschätzt werden.

Jedem, der sich für diese Musik interessiert, bei der es nicht wichtig ist, ob die Töne stimmen oder das Schlagzeug aus der Spur gerät, ob man seinen Text vergisst oder der Einsatz stimmt, sei dieses Buch wärmstens an Herz gelegt. Am Ende weiß man ALLES. Denn Martin Büsser, ein Musiknerd wie aus dem Bilderbuch, scheint auf jedem Konzert gewesen zu sein, das irgendein Antifolkmusiker je in Deutschland gegeben hat.

Bei Rough Trade gibt es den Sampler Antifolk Vol. 1, auf den bisher kein Vol. 2 folgte und höchstwahrscheinlich auch nie folgen wird. Er gibt einen kleinen Überblick über die vielgestaltige Szene.