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The Gossip: Standing in the Way of Control
The Gossip haben sich wirklich einen passenden Namen ausgesucht: das Trio aus Arkansas, erstes US-Signing des Hamburger Labels Lado, kann sich über mangelnde Aufmerksamkeit derzeit nicht beschweren. Das liegt in erster Linie an Sängerin Beth Ditto und die größte Herausforderung bei einem Artikel über The Gossip dürfte darin bestehen, NICHT über Dittos Körpergewicht/die Figur zu schreiben, einfach nicht zu erwähnen, dass sie entzückend übergewichtig und tonnenförmig ist – aber zu spät, man kommt einfach nicht drumherum. Auf dem Albumcover präsentiert Miss Ditto ihre nackten runden Arme und unrasierten Achselhöhlen, und das allein ist schon irgendwie Punk: selbst die kämpferisch-queeren Le Tigre, mit denen The Gossip gut befreundet sind, sind auf ihren Promofotos so blankpoliert wie Supermodels. The Gossip verstehen sich als politisch und feministisch; wobei es in den Nullerjahren ja schon als feministisches Statement gelten kann, sich als dicke Frau auf der Bühne den Blicken auszuliefern. Heidi Klums Magersucht-Show auf ProSieben ist nur ein bitteres Beispiel dafür, wie Frauen heutzutage auszusehen haben - trotz aller Beteuerungen, dass füllige Frauen doch so sinnlich seien. Doch genug der Äußerlichkeiten, Beth Ditto ist schließlich keine wandelnde Dove-Reklame, sondern verfügt über eine gewaltige Stimme, die ihr bereits jetzt einen Platz im Indie-Olymp sichert. Sie shoutet derart, dass das Wort Rockröhre“ eine völlig neue Bedeutung bekommt und so pseudofeministische Rockladies“ vom Kaliber Alanis Morissette auf die hintersten Ränge verwiesen werden. Ditto ist ein Riot Grrl mit einer schwarzen Soulstimme, eine Kombination, die man so bisher noch nicht gehört hat. Die von ihr eindringlich gesungenen, gebrüllten, geflüsterten Parolen vergißt man nicht so leicht. Die Konzentration auf Beth Ditto birgt natürlich die Gefahr, dass die Band The Gossip auf der Strecke bleibt und die restlichen Mitglieder zu reinen Begleitmusikern der Sängerin mutieren (das Blondie-Syndrom). Andererseits ist Beth Ditto ein Glücksfall für eine eher mediokre Band, die ohne sie niemals weltweites Interesse erlangt hätte.
Und wie hört sich diese Symbiose an? Standing in the Way of Control ist bereits die dritte Platte von The Gossip, produziert von Guy Piciotto von Fugazi. Ob es an Piciotto liegt oder nicht, kann man nur mutmaßen, aber die Band hat sich von den trashigen Anfangstagen (ihr Debütalbum That's Not What I Heard erschien 2000 auf Kill Rock Stars) verabschiedet. Hauptkomponente ihres Sounds ist noch immer stompender Bluespunk, den sie nicht so minimalistisch-rauh einsetzen wie die White Stripes, sondern satter und raumfüllender. Und smashendere Albumanfänge als die ersten drei Gossip-Stücke (Fire with Fire, Standing in the Way of Control, Jealous Girls) hat man lange nicht gehört. Doch der USP (Unique Selling Point) der Band offenbart sich in Song Nummer vier, Coal to Diamonds, einer eindringlichen Soulballade, in der Ditto die ganze Bandbreite und Sexyness ihrer Stimme hören läßt. Auch die anderen beiden balladesken Stücke Holy Water und Dark Lines sorgen für die stärksten Momente des Albums, weil die Band hier experimentiert, den enggesteckten Punkrockrahmen erweitert. The Gossip lieben auch Disco und tanzen gern – bei Listen Up hört man House-Kuhglocken und dies funktioniert sehr gut. Die Mixtur Disco und Punk ist ja schon eine Weile en vogue, unzählige Bands zitieren derzeit Gang of Four und die frühen Talking Heads, aber The Gossip klingen nicht wie Bloc Party oder The Rapture. Die Band ist punk-geerdeter, unmittelbarer, mehr in-your-face als die eben genannten. Der Bonustrack, das Titelstück im Le-Tigre-Remix mit ordentlich Hall und Glamour, ist schon jetzt einer der Anwärter auf den Tanzhit des Jahres und zeigt, was man aus The Gossip alles rausholen kann.
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