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Februar 2006
Jan Simon
für satt.org


Ursula Rucker:
Ma’At Mama

!K7 2006
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URSULA RUCKER / Europa tour 2006

06.03.2006
Berlin, Quasimodo
07.03.2006
Köln, Stadtgarten
08.03.2006
Hamburg, Fabrik
21.03.2006
München, Ampere

Von der Supa Sista
zur Ma’At Mama

Call me crazy, divine, Ma’at, true honeybun, Supreme Pontifica, electric lady, holy prostitute. I don't care what you call me. I know who I is (For Women)

Cover

Ursula Rucker, vierfache Mutter und Spoken-HipHop-Queen aus Philadelphia ist der Gegenentwurf zu BlingBling-Sexhäschen wie Lil’Kim oder Foxy Brown. Nach ihren ersten beiden Alben Supa Sista (2001) und Silver and Lead (2003) erschien jetzt bei !K7 Ma’At Mama (der Titel bezieht sich auf eine ägyptische Gottheit, die für die Weltbalance und universelle Ordnung zuständig ist). Rucker beweist mit Songs wie Black Erotica, dass man sexy sein kann ohne vulgär zu werden und dass Black Consciousness dieser Tage noch etwas anderes bedeuten kann als Gangstarap, der aus dicken Autos dröhnt.
Ursulas warme, heisere Stimme transportiert eindringlich und sinnlich Inhalte, die sonst kaum oder gar nicht von (weiblichen) Hiphoppern behandelt werden, wobei ihr Style mehr Spoken Word als Rap ist, die Musik mehr Soul als reiner HipHop. In Songs wie For Women und Broken präsentiert Ursula Rucker lässig-abgehangenen Streetsoul, sehr tanzbar, sehr groovend. Libations ist eine Hommage an schwarze "ancestors, forebearers"; und zwei ihrer Söhne, Sol und Sudan sind mit eigenen Intros auf der Platte zu hören.
Rucker glaubt an die Macht des Wortes – mehr als an die Macht von Statussymbolen. Damit ist sie im mittlerweile stilistisch sehr festgefahrenen HipHop eine Ausnahme-, eine Außenseiterfigur, obwohl sie selbst sagt, "HipHop ist mein Leben".

Das folgende Interview, das Jan Simon mit Ursula Rucker geführt hat, ist vorab auf rap.de veröffentlicht worden. rap.de ist Deutschlands größte HipHop-Online-Plattform und existiert seit 1998. Jan Simon ist freier Autor und Rechtsanwalt in Berlin mit Interessenschwerpunkt Urheber- und Medienrecht.

Jan Simon: Dein neues Album ist von einem alt-ägyptischen Prinzip beinflusst – Ma `at. Was ist nach diesem Prinzip zu beachten?
Ursula: Es ist recht einfach: Man muss versuchen, ein guter Mensch zu sein. Ich denke immer an diesen Spike Lee-Film "Do The Right Thing" und sage das oft: "Mach das Richtige, um ein guter Mensch zu sein", was auch immer das für dich persönlich bedeutet. Das mag sehr kitschig klingen, für mich ist es aber wichtig. Es geht nicht darum, perfekt oder ein Heiliger zu sein. Es geht darum, Leute richtig zu behandeln, denn alles kommt zu dir zurück. Auch wenn du gemein bist – und das kann ich auch sein.

JS: Das kann wohl jeder.
Ursula: Stimmt, aber ich habe eine besondere Art, gemein zu sein.

JS: Wie muss man sich das vorstellen?
Ursula: Ich musste neulich gerade darüber nachdenken und hatte letzte Nacht auch einen Traum darüber. Ich war wirklich gemein zu meinem Ehemann. Ich schrie ihn an "Motherfucker, get the fuck outta the car. I fuckin' hate you". Als ich dann aufwachte, dachte ich mir "Scheiße, so gemein warst du auch in der Realität schon". Das ist nicht cool. Manchmal ist es wichtig, Leuten die Meinung zu sagen und ihnen zu erklären, was man nicht mehr hinnehmen wird. Man sollte das aber auf respektvolle Art tun, es gibt eine Balance – darum geht es. Das ist es, was ich zurzeit versuche.

JS: Was hältst Du von der Tendenz, dass gerade unter Künstlern bestimmte Religionen wie z.B. der Buddhismus in Mode kommen?
Ursula: Ich bin in erster Linie katholisch, das war immer so und ich werde meinen Glauben auch sicher nicht ändern. Ich bin allerdings keine Hardcore-Katholikin - ich praktiziere bestimmte Rituale nicht und teile auch die Meinung der katholischen Kirche in vielen Fragen nicht, beispielsweise in Sachen Empfängnisverhütung und Abtreibung. Mein bester Freund ist allerdings Buddhist, und er hilft mir oft. Er hat diesen inneren Frieden, und ich respektiere ihn dafür. Ich absorbiere bestimmte positive Dinge des Buddhismus auch für mein Leben, aber ich werde nicht anfangen, Buddhismus auch zu praktizieren.

JS: Wie stehst Du dem Papstkult im Katholizismus gegenüber?
Ursula: Ich würde den Ring des Papstes sicher nicht küssen, das ist nicht mein Ding. Als ich klein war, kam der damalige Papst nach Philly und meine Mom hat mich mit nach Downtown genommen, um ihn zu sehen. Sie geht da sonst nie hin, also musste es sich um eine wichtige Sache handeln. Ich werde mich daran immer erinnern und schätze diese Erfahrung auch. Man konnte eine gewisse Wärme und ein gewisses Gemeinschaftsgefühl spüren, obwohl ich das damals noch nicht wirklich einordnen konnte. Ich war ein kleines Mädchen, wahrscheinlich sechs oder sieben Jahre alt. Ich erinnere mich, wie er in seinem Auto vorbei fuhr.

JS: Du stammst aus einer gemischtrassigen Beziehung und Deine Eltern haben in den 50ern in den USA geheiratet. Leben sie noch?
Ursula: Ja – sie leben noch und sind inzwischen seit 53 Jahren verheiratet.

JS: Ich könnte mir vorstellen, dass sie das Thema inzwischen leid sind. Wie gehen sie Dir gegenüber damit um?
Ursula: Sie waren immer offen dafür, mit mir darüber zu sprechen. Das ist eine sehr interessante Sache, im Prinzip aber auch ein Buch für sich. Eine gemischtrassige Heirat in den 50ern war verrückt. Der Vater meiner Mutter stammte aus Italien und war ein sehr strenger und harter Mann. Als sie heiratete, log sie. Sie lebte noch zu Hause und hat es niemanden erzählt. Mein Großvater fand es dann jedoch heraus und hat all ihre Sachen aus dem Haus geworfen. Danach hat er sie verleugnet. Sie haben das Problem zwar irgendwann gelöst, aber zu dieser Zeit war er sehr verletzt und wütend.

JS: Wie lief die Geschichte für deinen Vater? Für ihn war es ja sicher auch nicht leicht.
Ursula: Seine Story zu hören, ist schmerzvoll. Ich denke, er hat einiges auch immer noch nicht verarbeitet. Ich will auch noch vieles mit meinen Eltern besprechen - eines Tages setze ich mich vielleicht mit einem Rekorder hin und interviewe sie. Ich habe meine Mutter immer gefragt, wie es für sie war, zu dieser Zeit in den späten 50ern mit meinen Brüdern rumzulaufen. Sie sind beide viel älter als ich, elf und zwölf Jahre. Sie sagte immer "Weißt du was – sie waren meine Söhne. Ich habe es nie anders gesehen. Natürlich haben sich Leute nach uns umgedreht, aber für mich war es ganz natürlich. Sie waren meine Kinder. Nichts sonst." Ich liebe das an ihr. Als ich klein war, war ich mir der Sache durchaus bewusst. Die Kids haben mich oft damit aufgezogen, dass ich hellere Haut habe – das war für schwarze Leute früher ein Thema.

JS: Für Malcolm X soll das ja auch ein Problem gewesen sein.
Ursula: Stimmt. Bei mir selbst gab es einmal einen Vorfall im Supermarkt. Ich rannte weg, weil es mir peinlich war, dass meine Mutter weiß ist. Aber das hielt nur sehr kurz an. Wenig später dachte ich wieder "Sie ist einfach meine Ma". Erst als ich ein politisches Bewusstsein bekam und etwas "revolutionärer" wurde, bin ich mir gewisser Unterschiede in den Dynamiken bewusst geworden. Aber ich bin mir sehr bewusst, wer ich bin und bin darauf auch stolz. Mein Platz ist allerdings in der schwarzen Gemeinschaft, wenn es darum geht, wofür ich mich engagiere. Ich werde nicht gebraucht, um für italienische Rechte zu kämpfen (lacht). Das ist nicht wirklich nötig.

JS: Bist du mit einem schwarzen Mann verheiratet?
Ursula: Ja

JS: Wenn Du sagst, dass dein Platz in der schwarzen Community ist – schließt das für dich auch eine Beziehung zu einem weißen Mann aus? Ich frage, weil sich viele schwarze Künstler offen dagegen aussprechen. Wenn man z.B. Sachen von Common hört, weiß man, dass eine Beziehung zu einer weißen Frau für ihn keine Option wäre …
Ursula: Ja, ich habe da auch ein paar Sachen gehört. Für mich ist es aber ok, wenn die Leute wegen der Dinge, die passiert sind, so starke Gefühle haben. Vor dem Hintergrund des Kampfes, den Schwarze in Amerika und in der ganzen Welt hatten, kann man das niemandem vorwerfen. Das ist für mich dann eine legitime Haltung. Wenn jemand aber gefühllos, gemein und hasserfüllt ist, ist das etwas anderes. Aber jemanden zu lieben und sich mit ihm fortzupflanzen, mit dem du dich total verbunden fühlst und deine Gefühle über den Struggle teilen kannst – das ist ok. Für mich persönlich geht es aber generell nur um Liebe, und die hängt nicht von der Hautfarbe ab.

JS: Du hast inzwischen vier Kinder, was grundsätzlich schon viel ist. Dass Du dabei in den letzten Jahren drei Alben aufgenommen hast, ist es aber umso erstaunlicher. Wie funktioniert das zusammen?
Ursula: Manchmal weiß ich das selbst nicht. Es ist ein konstanter Kampf. Mein ältester Sohn wird nächsten Monat elf Jahre alt, er benimmt sich schon wie ein Teenager und ist jetzt in der fünften Klasse. Worüber er redet und nachdenkt, auch die Musik, die er mag – das ist schon erstaunlich.

JS: Gibt er schon mit dir und deinem Hintergrund als Musikerin in der Szene Phillys an?
Ursula: Insgeheim denkt er sicher, dass ich cool bin, aber er würde es mir nie sagen. Nie! Die Leute sagen meinen Kids immer "Do you know how cool your mom is?", aber von ihnen kommt dann nur "Mhm – whatever." Meine Freunde bekommen bei meinem Shows aber immer mit, dass meine Kids die gesamten Lyrics mitsprechen. Aber mir würden sie das natürlich nie sagen – trotzdem: it 's understood, they don 't have to say it.

JS: Dein Sohn kommt dann doch nun auch sicher langsam mit den Mainstream-Sachen in Kontakt – wie ist das für Dich?
Ursula: Er mag diesen Scheiß, ja. Sobald wir im Auto sitzen, macht er das Radio an und ich sage ihm dann regelmäßig, dass ich das "heute" nicht aushalten kann. Er sucht dann immer nach etwas anderem - neulich kam ein 50-Cent-Song und er meinte "Der ist doch ok". Ich sagte "Nichts davon ist ok". Für mich hat dieser Typ überhaupt keinen Flow. Für mich als jemand, der mit HipHop aufwuchs, hat dieser Typ keine Skills. Wenn du den in einen Raum mit Bahamadia oder KRS One steckst – was sollte da passieren? Er kümmert sich auch nicht um die Essenz von HipHop.

JS: Ja, es geht wohl mehr um einen allumfassenden Marketingplan. Hast Du seinen Film gesehen?
Ursula: Ich werde ihn mir nie ansehen. Ich sehe mir aber auch kein R. Kelly-Video an, wenn mal eins läuft. Ich glaube, dass Leute bei bestimmten Dingen standhaft sein müssen, auch wenn man neugierig ist. Ich selbst bin manchmal auch neugierig, aber ich werde mir bestimmte Sachen einfach nicht ansehen. Ich unterstütze diesen Schwarzen nicht, ich bin böse auf ihn, darüber was er getan hat. Die Leute vergessen das so schnell, selbst Frauen. Frauen, denen ich nahe stehe, sagen plötzlich "Ja, aber ich mag seine Musik." Ich meine dann "Du kannst dir diesen Kram doch nicht anhören, der Typ gibt einen Scheiß auf Frauen". Der würde auf dich pissen …

JS: Du hast mit "For Women" einen Song auf der Platte mit der Zeile "I aspire to be a video-whore" und "read the tattoo on my left breast – my name is Lexus" …
Ursula: Solche Frauen leben in meiner Nachbarschaft.

JS: Für mich ist es immer eine interessante Frage, wie sehr es an der Gesellschaft liegt, dass Frauen in einer solchen Position sind oder ob es nicht doch zu einem gewissen Teil auch an ihnen selbst liegt. Gerade wenn Du von den Reaktionen auf R. Kellys Musik redest. Auch wenn die Vorfälle ein paar Jahre zurück liegen - wie kann es sein, dass eine Frau das cool findet?
Ursula: Für mich wird das auch immer ein Rätsel bleiben. Was ist der fehlende Link? Ist es Common sense oder was fehlt? Ich habe ein paar unangenehme Erfahrungen in meinem Leben gemacht, ich war von Schmerz und Leid nicht abgeschirmt. Ich weiß, wie es ist, aufzuwachsen. Meine Eltern haben sich immer bemüht, aber wir waren nicht reich, auf keinen Fall. Und in Philly siehst du eben, was Leute Ghetto nennen – die Neighbourhoods sind alle da. Man weiß also, wie es ist, und da frage ich mich schon, weshalb ich nicht so bin, wie diese anderen Frauen? Ich bin keine Soziologin, aber was diesen Song angeht: Wenn du in solchen Umständen aufwächst, zieht dich das runter. Die Leute verlieren ihren Sinn für die Optionen, die sie haben. Sie sehen nicht, dass sie eine Wahl haben. Sieh dir all diese Images an – Frauen wollen immer nur für jemand anderen gut aussehen. Selbst mir geht es ja manchmal so. Ich denke zum Beispiel "Scheiße, mein Bauch ist nicht mehr so flach, seitdem ich meine Kinder bekommen habe" – solche Sachen eben. Natürlich mag ich es, gut auszusehen, aber ich werde nicht für jemand anderen einen Standard aufrecht erhalten.

JS: Wie reagieren die Frauen auf Dich, die Du in dem Song kritisierst? Es ist ja offensichtlich, dass Du ihren Lifestyle und ihre Ziele nicht schätzt …
Ursula: Diese Referenz ist nicht lediglich negativ. Ich feiere diese Frauen damit auch, denn es gibt Dinge an ihnen, die einfach sehr "schwarz" sind und zu unserem "Schwarz-Sein" und unserer Kultur in Amerika dazu gehören. Es ist mehr eine Art Aufforderung an sie, weniger eine Kritik: "Ich feiere was ihr seid und was ihr sein könntet." Ich sprach gerade mit einer Frau aus Berlin, deren Freund hier in einem ärmeren Viertel arbeitet, und die mir erzählte, dass es hier genauso ist. Die Mädels hier wollen unbedingt in ein Video, das ist ihr Ziel – ist das nicht sehr seltsam? Es scheint ein weltweites Phänomen zu sein.

JS: Auch im "Children 's Poem" setzt Du Dich mit der Verschiebung von Werten auseinander.
Ursula: Ja, es geht zum Beispiel um Oralsex. In dem Gedicht sage ich "You better go and get your little girl up of her knees and tell her she don 't have to suck no boys dick to keep him“. In Amerika ist das eine Art Modeerscheinung: Es gibt diese After-School-Parties, wo sie alle Schwänze lutschen – im Ernst.

JS: Weil es auch nicht als richtiger Sex gesehen wird beziehungsweise als erster Schritt vor richtigem Sex?
Ursula: Und sie sind überzeugt, dass es ok ist. Wenn sie sich sagen "Ich mag diesen Jungen und ich will, dass er das merkt", dann machen sie das, damit er nicht das Interesse verliert. Das soll ok sein? Ein zwölfjähriges Mädchen auf seinen Knien? Mein Sohn ist jetzt fast elf – wenn ich raus finde, dass er von einem Mädchen einen geblasen bekommt, fange ich an zu weinen. Ich habe echt Angst. Ich wüsste nicht, was ich tun soll.

JS: Auf Deinem Album finden sich sehr viele verschiedene musikalische Einflüsse wieder. "Black Erotica" zum Beispiel ist ein Jazz-Song.
Ursula: Ich fühle mich, als ich wäre ich erwachsen geworden, wenn ich den Song höre. Jetzt habe ich "richtigen" Jazz auf meinem Album!

JS: Wer hat den Song produziert?
Ursula: Anthony Tidd und der Typ ist erstaunlich. Ich habe ihm erzählt, worum es in dem Gedicht geht. Eines Tages kam ich ins Studio, und er spielt den Song - ich dachte, ich wäre zurück in den 60ern in einem Jazz-Club mit John Coltrane. Ich nahm das Gedicht dann mit dem Trompeter Jonathan Finlayson live auf. Er spielte mit mir und ich liebte es. Das war wahre Magie – ich stand in der Vocalbooth und er in einem anderen Raum, so dass wir uns sehen konnten. Ich war übrigens sehr nervös, als ich "Black Erotica" machte. Niemand glaubt ja, dass ich schüchtern bin, aber tatsächlich ist es so. Für mich war das das erste Mal, dass ein Song so intensiv von Sexualität handelte.

JS: Versuchst du, solche Lyrics deinen Kindern zu erklären?
Ursula: Ich fühle mich seltsam, wenn ich das Stück zu Hause spiele und sie das hören wollen. Ich springe dann zum nächsten Song. Sie mögen die Musik allerdings, ich glaube aber nicht, dass sie wissen, was diese Dinge alle bedeuten.