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März 2006
Erik Westermann
für satt.org


Belle and Sebastian:
The Life Pursuit

Rough Trade 2006

Cover
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Eternal sunshine
of the adolescent mind

Belle and Sebastian:
The Life Pursuit

Belle and Sebastian, die Ikonen leicht weinerlichen aber nichtsdestotrotz poetischen Indie-Pops, feiern 10-jähriges Bandbestehen. Ganz still und leise, wie es so ihre Art ist. Viel hat sich getan in den vergangenen zehn Jahren. Von der Gründung als Kurzzeitprojekt ursprünglich waren nur zwei Alben geplant hin zur Band, deren Debüt ‚Tigermilk’ als Erstpressung inzwischen für fast 600 Euro den Besitzer wechselt, und die in so ziemlich jedem Flecken der Welt seine Fans hat. Eine Konsensband möchte man sagen, deren unprätentiöse Art doch so mancher jungen Dame sowie dem korrespondierenden, sie anhimmelnden jungen Mann, das Herz aufgehen ließ. Eine Gruppe, die auch, und vielleicht gerade, für die post-20-jährigen die Niederlagen des Heranwachsens und jugendlichen Weltschmerzes in eine musikalische, konservierende Form goss. Und jetzt, fast pünktlich zum zehnten Jahrestag, erschien Belle & Sebastians.

Dem Hörer eröffnet sich, weit weniger schüchtern als dies noch auf ihren ersten, den ‚großen drei’ Platten der Fall war, die musikalische Welt Stuart Murdochs und seiner sechs Mitstreiter. Die Koordinaten sind in Grundzügen die altbewährten: der Gegensatz zwischen naiver Musik und abgründigen Texten. Eine Kunstwelt voll sympathischer ‚britischer’ Exzentritäten, eine Welt der ewigen Adoleszenz, in der sich doch jeder irgendwie wieder findet. Oder gern wieder finden würde. Diese Kontinuitäten finden sich, es muss einmal angemerkt werden, auch im durchgehend schönen und liebevollen Artwork des B&S Oeuvres. Dies ist auch bei „The Life Pursuit“ nicht anders.

Das Streben nach Neuerung jedoch, nach Weiterentwicklung, der Wunsch den altbekannten musikalischen Orbit zu verlassen und dem Bild der niedlichen, melancholischen Schotten andere Facetten hinzuzufügen treibt sie um, wie jede ambitionierte Band. Angestoßen wurde die Veränderung nicht zuletzt durch das Ausscheiden der Gründungsmitglieder Stuart David sowie der zauberhaften Isobel Campbell. Schon mit ‚Storytelling’, dem in vielerlei Hinsicht misslungenen Fast-Soundtrack aus dem Jahr 2002, begann eine klangliche Umorientierung, die ihren vorläufigen Höhepunkt auf dem mediokren ‚Dear Catastrophe Waitress’ fand. Angeschoben durch den Produzenten Trevor Horn, der der Welt schon Perlen wie Yes, ABC, Frankie goes to Hollywood und die russischen Lesbi-Lolitas von Tatu brachte, machte sich der Band-Waggon auf in Richtung Breitwand-Pop. Nach der vorangegangenen Krise sicherlich grundsätzlich eine notwendige Veränderung. Diese Stoßrichtung findet auf ‚The Life Pursuit’ ihre konsequente Fortsetzung. Diesmal mit Tony Hoffer als Producer, der bereits für Platten von Beck, Air, Supergrass, Turin Brakes, den Thrills, Phoenix sowie der neuen Stars verantwortlich zeichnete – Bands verschiedenster Couleur in disparater Mischung.

Das Ergebnis ist durchwachsen. Auf Albumlänge ist das um Motown oder auch glamige Einflüsse erweiterte Klangspektrum einfach zu zuckrig, zu erschöpfend und zu inkonsistent. Natürlich gibt es auch diesmal wunderschöne Momente: „Dress up in you“ in bester, getragen-elegischer B&S Manier, das teils spacige „We are the Sleepyheads“ oder auch das überdrehte „Sukie in the graveyard“. Selbiges, ebenso wie der „Song for Sunshine“, das sind aber eben auch die potentiellen Bruchstellen, an denen die Verbreiterung des Sounds, der musikalische Fortschritt, potentiell in Manieriertheit umschlägt, und das begräbt, was Belle and Sebastian in guten Momenten ausmacht - ihre Zartheit, ihre Schüchternheit.. Nichts gegen die Scissor Sisters – in etwa so kommt „Song for Sunshine“ daher – die Distanz zwischen den beiden Formationen ist jedoch zu groß und eine Annäherung gänzlich unnötig.

Der verspielte Prozess des Erwachsenwerdens, des Strebens im Leben, ist sicherlich auch für Belle and Sebastian nicht zu vermeiden. Jedoch sollte diese Suche nach weiteren Gefilden und neuen Ufern nicht die Essenz des eigenen Wesens übertünchen. Denn dann stünde als Endpunkt, nolens volens, die vollkommene Belanglosigkeit. Glücklicherweise ist man davon noch ein gutes Stück entfernt.